ASIEN/JAPAN - Generaldirektor der Soka Gakkai: Katholiken und Buddhisten fordern gemeinsam die Abschaffung von Atomwaffen

Mittwoch, 17 Januar 2024 waffen   geopolitik   buddhismus   papst franziskus  

Von Victor Gaetan *

" Jesus und Buddha waren Friedensstifter und setzten sich für Gewaltlosigkeit ein”.
(Papst Franziskus, 28. Mai 2022)

Nagasaki (Fides) - Im dritten Stock des Hauptquartiers der Vereinten Nationen in New York steht eine Statue der Heiligen Agnes, die ihr Lamm im Arm hält, als eindrückliche Erinnerung an die atomare Zerstörung.
Die Statue der Heiligen, die dafür bekannt ist, dass sie mehreren Anschlägen auf ihr Leben widerstanden hat, überlebte den Atombombenabwurf der Vereinigten Staaten auf Nagasaki am 9. August 1945. Die Bombe explodierte 500 Meter von der Urakami-Kathedrale entfernt, der damals größten katholischen Kirche Asiens, und verbrannte zwischen 60.000 und 80.000 Menschen, von denen nicht mehr als 150 Soldaten waren. Die Statue der Heiligen Agnes wurde mit dem Gesicht nach unten in den Trümmern der Kathedrale gefunden.
In freigegebenen Pentagon-Dokumenten wurde das Rätsel gelöst, warum Nagasaki angegriffen wurde, obwohl es nicht auf der ursprünglichen Zielliste stand: Im letzten Moment wurde der Name der Stadt von unbekannter Hand hinzugefügt, um Japans historischste katholische Gemeinde auszulöschen, als Vergeltung für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und dem Heiligen Stuhl im Jahr 1942. Die Vereinigten Staaten konnten dem Vatikan nicht verzeihen, dass er diplomatische Beziehungen zum Feind Tokio aufgenommen hatte.

Die Stimme der Hibakusha

Im UN-Gebäude, direkt vor der Statue der Heiligen Agnes, traf ich den Anti-Atomkraft-Aktivisten Hirotsugu Terasaki, den Generaldirektor der buddhistischen Laienbewegung „Soka Gakkai International“ (SGI), die weltweit etwa 12 Millionen Menschen vertritt.
Die 1930 gegründete „Soka Gakkai“ ist die größte organisierte religiöse Gruppe in Japan. Sie inspiriert sich an den Lehren des Nichiren-Buddhismus. Die Soka-Universitäten in Tokio und Aliso Viejo (Kalifornien), sind ebenfalls mit dieser Glaubensbewegung verbunden. Die „Soka Gakkai International“ arbeitet regelmäßig mit dem Heiligen Stuhl zusammen und nahm 2017 auch an der Vatikan-Konferenz mit dem Titel "Perspektiven für eine atomwaffenfreie Welt und integrale Abrüstung" teil. Papst Franziskus kondolierte öffentlich, als der dritte einflussreiche Präsident der „Soka Gakkai“, Daisaku Ikeda, im vergangenen November im Alter von 95 Jahren starb.
Terasaki war bei den Vereinten Nationen, um an der zweiten Sitzung der Vertragsstaaten des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen (TPNW) teilzunehmen. Dieser ehrgeizige Abrüstungsvertrag - der erste, der Ländern den Besitz von Kernwaffen verbietet - wurde von 93 Ländern unterzeichnet, zuletzt von Sri Lanka. Er trat am 22. Januar 2021 in Kraft.
Terasaki erklärte, dass das Engagement von „Soka Gakkai International“ für die Abrüstung mehr als ein halbes Jahrhundert zurückreicht und in direktem Zusammenhang mit den tragischen Erfahrungen des nuklearen Holocausts in seinem Land steht. Die Jugendsektion der „Soka Gakkai“ in Japan brachte 1972 eine Kampagne zum "Schutz des grundlegenden Menschenrechts auf Überleben" auf den Weg, indem sie die Zeugnisse von japanischen Atomkriegsüberlebenden, den so genannten Hibakusha (Überlebende der Atombombenabwürfe), sammelte und veröffentlichte. Im Laufe der darauffolgenden zwölf Jahre sammelten die Studenten Tausende von Zeugnissen, die insgesamt 80 Bände füllten.
"Meine persönliche Beteiligung führte dazu, dass ich mit den erschütternden Geschichten der Hibakusha konfrontiert wurde", erinnert sich Terasaki. "Einige erklärten sich zunächst bereit, interviewt zu werden, aber sobald das Interview begann, waren viele stumm und erstickten unter der Last ihrer Ängste und Schmerzen. Es gab aber auch die anderen, die mutig ihr Leid und ihr Trauma erzählten. Ich war völlig schockiert, als ich Zeuge ihres tief empfundenen Schmerzes wurde. Sie erschütterten mich bis in die Tiefen meiner Seele. Diese Zeugenaussagen haben mir die Unmenschlichkeit der nuklearen Zerstörung vor Augen geführt".
Von den 650.000 von der japanischen Regierung anerkannten Hibakusha leben noch über 113.000. Noch heute beeinflussen sie die zeitgenössische Abrüstungsbewegung und inspirieren ihre Führer: "Diese Menschen sind das Fundament des Friedensaufbaus", fasst Terasaki zusammen.

Vielsagende Kooperationen

Eine zufällige Partnerschaft trug dazu bei, die Anti-Atomwaffen-Bemühungen von „Soka Gakkai International“ im Jahr 2007 zu verstärken. Die „International Physicians for the Prevention of Nuclear War“ (die 1985 den Friedensnobelpreis für die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für die Katastrophe von Atomwaffen erhielten) initiierten die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) und baten die „Soka Gakkai International“ (SGI), sich als erster Beitragszahler anzuschließen, um die weltweite Unterstützung des Atomwaffenverbotsvertrags (TPNW) zu erreichen. Beide setzten sich besonders dafür ein, an Gewissen der jungen Menschen zu appellieren.
Terasaki erinnert sich: "Um unsere Vision einer atomwaffenfreien Welt zu verwirklichen, sahen wir uns gezwungen, ein großes globales Netzwerk zu schaffen, das die Menschen über die verheerende Realität von Atomwaffen aufklären sollte. Unsere Bemühungen begannen mit der Organisation von Studiengruppen für Diplomaten auf der ganzen Welt, um das Bewusstsein für die Folgen der nuklearen Belastung zu schärfen" - auch hier standen die humanitären Auswirkungen im Mittelpunkt der Diskussion. Zwei weitere Formen der Mobilisierung waren regionale Konferenzen gegen Atomkraft, von Zentralasien bis zur Karibik, und direkter Druck auf die Außenministerien.
Innerhalb von nur einem Jahrzehnt wurde der Atomwaffenverbotsvertrag im Juli 2017 von den Vereinten Nationen angenommen. Der Heilige Stuhl war einer der ersten Unterzeichner. "Es war wirklich eine wunderbare Leistung", bestätigt Terasaki, der den Beitrag vieler anderer Organisationen zu diesem Erfolg hervorhebt, darunter Pax, die niederländische katholische Friedensgruppe, und der Ökumenische Rat der Kirchen.
Es überrascht nicht, dass der Atomwaffensperrvertrag von den neun Ländern mit nuklearen Waffen nicht unterzeichnet wurde: Russland (5.889 Sprengköpfe), die Vereinigten Staaten (5.224 Sprengköpfe), China (410), Frankreich (290), das Vereinigte Königreich (225), Pakistan (170), Indien (164), Israel (90) und Nordkorea (30). Nach Angaben der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) haben fünf Staaten, die Atomwaffen im Auftrag der USA beherbergen, ebenfalls nicht unterzeichnet: Italien (35), die Türkei (20), Belgien (15), Deutschland (15) und die Niederlande (15).

Die unmenschlichsten Waffen

Die Hauptbotschaft der TPNW-Aktivisten ist, dass Atomwaffen die unmenschlichsten Waffen sind, die je geschaffen wurden. Sie verletzen das Völkerrecht, verursachen schwere Umweltschäden, untergraben die globale Sicherheit und ziehen Ressourcen von humanitären Notfällen ab. Atomwaffen müssen demnach abgeschafft, nicht nur kontrolliert werden.
In einer Titelgeschichte des Magazins „Scientific American“ vom vergangenen Dezember wurde jedoch vor den Plänen der US-Regierung gewarnt, ihr Atomwaffenarsenal mit zusätzlichen 1,5 Billionen Dollar zu modernisieren. Derzeit gibt es weltweit etwa 12.500 nukleare Sprengköpfe, wobei die USA und Russland über fast 90 % der Bestände verfügen.
"Der derzeitige Plan zur Erweiterung der nuklearen Kapazitäten entspringt dem unerschütterlichen Glauben an den Nutzen der nuklearen Abschreckung“, so Terasaki, „Wir müssen uns jedoch fragen, ob dies eine solide politische Strategie ist oder ob es sich um einen Mythos handelt, der geschaffen wurde, um die nukleare Bewaffnung aufrechtzuerhalten".
„Die derzeitige Ausweitung der Atomwaffen wird nicht zu Frieden und Sicherheit auf der Grundlage eines globalen nuklearen Gleichgewichts führen, sondern die globale Zerstörung in Richtung Apokalypse beschleunigen", fährt er fort.

Der moralische Diskurs

Ich fragte Terasaki, wie er die einzigartige Rolle von religiös inspirierten Organisationen wie der „Soka Gakkai International“ in der entstehenden Abrüstungsbewegung, wie sie im TPNW zum Ausdruck kommt, beschreibt. Er erklärte, dass die nächsten Schritte des TPNW zwar weitgehend diplomatisch und auf die Politik der Staaten ausgerichtet seien, dass aber glaubensbasierte Organisationen weiterhin die negativen Auswirkungen von Atomwaffen aus einer spirituellen und humanitären Perspektive heraus betonen müssten.
"Da die Welt mit wachsenden Herausforderungen konfrontiert ist, wird der Einfluss des moralischen Diskurses immer wichtiger", betont Teriyaki. Und dies ist eine Perspektive, die vom Heiligen Stuhl nachdrücklich unterstützt wird.
Gleichzeitig verleiht die Zugehörigkeit der „Soka Gakkai“ zur 1964 von Daisaku Ikeda gegründeten Komeito-Partei ihr einen einzigartigen Einfluss auf die Wahrnehmung der Regierungseliten; die „Soka Gakkai“ ist damit nicht "nur" eine buddhistische Laienorganisation. In den 1960er Jahren setzte sich Ikeda für die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen China und Japan ein. Zwischen 1974 und 1997 besuchte er zehnmal China und traf mit den Staatsführern Zhou Enlai und Deng Xiaoping zusammen. In den 1970er Jahren reiste Ikeda in die Sowjetunion und traf sich mit Premier Aleksey Kosygin, um auf dem Höhepunkt der Spannungen zwischen China und der UdSSR versöhnliche Botschaften zwischen Peking und Moskau zu übermitteln. Seit 1999 ist die Neue-Komeito-Partei (NKP) der Juniorpartner der Liberaldemokratischen Partei (LPD).
Ikedas Vision deckt sich mit der von Papst Franziskus: Der japanische Philosoph sagte: "Letztendlich wird der Frieden nicht dadurch erreicht, dass Politiker Verträge unterzeichnen. Menschliche Solidarität entsteht, wenn wir unsere Herzen füreinander öffnen. Das ist die Kraft des Dialogs".

Kasachstan und Bahrein

Teresaki verweist auf zwei inspirierende Beispiele der Zusammenarbeit, die er auf seinen Reisen zur Förderung des Friedens, der Denuklearisierung und des interkulturellen Dialogs erlebt hat: 2022 nahm er als Vertreter der Buddhisten am Siebten Kongress der Führer der Welt- und traditionellen Religionen in Kasachstan teil, und einen Monat später war er in Bahrain auf dem Forum "East and West for Human Coexistence".
Diese Veranstaltungen brachten ihn in engen Kontakt mit Papst Franziskus, dessen Enzykliken "mich tief berühren", sagt Terasaki.
"Besonders bewegt hat mich die Atmosphäre der Versöhnung zwischen katholischen und sunnitisch-islamischen Führern, die im selben Raum saßen", bemerkt er. "Diese Foren boten eine vielversprechende Plattform für religiöse Führer aus der ganzen Welt, um einen aufrichtigen und bedeutungsvollen Diskurs zu führen und sich über Einsichten und Weisheit über die dringenden globalen Probleme der Menschheit auszutauschen“.
Laut Terasaki ist ein grundlegendes buddhistisches Prinzip, das die „Soka Gakkai International“ in ihrem Engagement gegen Atomwaffen verfolgt, dass individuelle und gesellschaftliche Sicherheit ein und dasselbe sind und sich gegenseitig bedingen. Die Mahayana-Tradition, der die „Soka Gakkai International“ folgt, betont, wie ein Individuum durch Disziplin und Vertiefung der Praxis eine Veränderung im Inneren herbeiführt, die sich auf die Außenwelt auswirkt.
"Die ‚Soka Gakkai International‘ setzt sich dafür ein, die Würde des Lebens, das Glück aller Menschen und die kollektive Sicherheit der Welt zu schützen. Der Einsatz von Atomwaffen widerspricht diesen Zielen radikal, da er genau die Sicherheit gefährdet, die wir anstreben."
Wie Papst Franziskus 2019 in Nagasaki erklärte: "Der Frieden und die internationale Stabilität sind unvereinbar mit jedwedem Versuch, sie auf der Angst gegenseitiger Zerstörung oder auf der Bedrohung einer gänzlichen Auslöschung aufzubauen; sie sind nur möglich im Anschluss an eine globale Ethik der Solidarität und Zusammenarbeit“.
(Fides 17/1/2024)

*Victor Gaetan ist leitender Korrespondent des „National Catholic Register“ und berichtet über internationale Angelegenheiten. Er schreibt auch für die Zeitschrift „Foreign Affairs“ und hat Beiträge für den „Catholic News Service“ verfasst. Sein Buch „God's Diplomats: Pope Francis, Vatican Diplomacy, and America's Armageddon“ (Rowman & Littlefield, 2021) ist im Juli 2023 als Taschenbuch erscheinen. Besuchen Sie seine Website unter VictorGaetan.org.


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