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Ajaccio (Fides) - Mehr als zweitausend Jahre sind „seit der Menschwerdung des Gottessohnes“ vergangen. Und in bestimmten Momenten der Geschichte „hat der christliche Glaube das Leben der Völker und ihre eigenen politischen Institutionen geprägt“. Heute hingegen, „vor allem in den europäischen Ländern, scheint die Frage nach Gott zu verklingen, und mqn seiner Gegenwart und seinem Wort gegenüber immer gleichgültiger gegenübersteht“. Aber gerade deshalb müsse man „die Schönheit und die Bedeutung der Volksfrömmigkeit begreifen“, die selbst in den säkularisierten Kontexten so vieler Nationen den christlichen Glauben „mit einfachen Gesten und einer symbolischen Sprache, die in der Kultur des Volkes verwurzelt ist, zum Ausdruck bringt, die Gegenwart Gottes im lebendigen Fleisch der Geschichte offenbart, die Beziehung zur Kirche stärkt“ und mit ihren Praktiken „der Beziehung zum Herrn und den Inhalten des Glaubens Substanz verleiht“, so Papst Franziskus, anlässlich seiner 47. Apostolischen Reise, die ihn nach Ajaccio auf Korsika führte. Es handelte sich um einen Kurzbesuch (insgesamt nur 12 Stunden, einschließlich des Rückflugs) mit starker symbolischer Wirkung: Papst Franziskus nahm an der Abschlusssitzung des Kongresses über Volksreligiosität im Mittelmeerraum teil. An der Veranstaltung nahmen zahlreiche Wissenschaftler und Bischöfe aus Frankreich und anderen Ländern teil.
Als erster Papst, der Korsika besuchte, hielt Papst Franziskus bei seiner Landung in der Geburtsstadt von Napoleon Bonaparte vor dem frühchristlichen Baptisterium im Stadtteil Saint-Jean, das auf den Beginn des 6. Jahrhundert zurückgeht, inne. Das Baptisterium wurde 2005 bei Ausgrabungen durch ein Team des „Institut national de recherches archéologiques préventives“ (INRAP) entdeckt, die vor dem Bau eines Parkplatzes und eines Gebäudes durchgeführt wurden. Es gehört zur ersten Kathedrale von Ajaccio und besteht aus einem großen kreuzförmigen Becken und einem kleineren zylindrischen Becken, das vielleicht für die Fußwaschung der Katechumenen vor der eigentlichen Taufe bestimmt war. Der Papst betete schweigend vor dem Baptisterium.
Papst Franziskus warnte in seiner Rede zum Abschluss der Konferenz davor die „christliche Kultur und die säkulare Kultur“ einander entgegenzusetzen. Vielmehr gehe es darum, die mögliche „eine gegenseitige Offenheit zwischen diesen beiden Horizonten zu erkennen: die Gläubigen öffnen sich zunehmend gelassen für die Möglichkeit, ihren Glauben zu leben, ohne ihn anderen aufzudrängen“, wobei „den Nichtgläubigen oder Menschen, die sich von der religiösen Praxis distanziert haben, die Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität nicht fremd“ sei.
In seiner Ansprache stellte Papst Franziskus die Praktiken der Volksspiritualität nicht als Gewohnheiten dar, die die Gläubigen in einer separaten und ausgrenzenden Welt isolieren. Im Gegenteil, die Bräuche der Volksspiritualität können, gerade weil sie eine lebendige Beziehung zu Jesus, zur Jungfrau Maria und zu den Heiligen ausdrücken, ziehe die Praxis der Volksfrömmigkeit auch Menschen an „und bezieht sie mit ein, die an der Schwelle zum Glauben stehen, die ihn nicht eifrig praktizieren und in ihm dennoch die eigenen Wurzeln und Neigungen sowie Ideale und Werte erleben, die sie für ihr eigenes Leben und für die Gesellschaft für nützlich halten“. Die Spiritualität des Gottesvolkes, so der Papst, „wird oft zu einem Anlass zur Begegnung, zum kulturellen Austausch und zum Feiern. Es ist merkwürdig: eine Frömmigkeit, die nicht festlich ist, ‚riecht nicht gut‘, das ist keine Frömmigkeit, die aus dem Volk kommt, sie ist zu ‚destilliert‘“.
Indem er eine Passage aus dem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ zitierte, erinnerte der Papst auch daran, dass in der Spiritualität des Volkes „eine aktiv evangelisierende Kraft eingeschlossen ist, die wir nicht unterschätzen dürfen; anderenfalls würden wir die Wirkung des Heiligen Geistes verkennen“ (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 123; 126)“, der „im heiligen Volk Gottes wirkt und es in den täglichen Unterscheidungen weiterbringt. Denken wir an den armen Diakon Philippus, der eines Tages [vom Geist] auf eine Straße geführt wurde und hörte, wie ein Heide, ein Diener der Königin Kandake von Äthiopien, den Propheten Jesaja las und nichts verstand. Er sprach ihn an: „Verstehst du?“ - „Nein.“ Und er verkündete ihm das Evangelium. Und als der Mann, der in diesem Moment zum Glauben gekommen war, an eine Stelle kam, wo es Wasser gab, sagte er: „Sag mir Philippus, kannst du mich taufen, jetzt, hier, wo es Wasser gibt?“ Da sagte Philippus nicht: „Nein, er muss erst noch den Kurs machen, er muss die Paten mitbringen, die beide kirchlich verheiratet sind, er muss das machen...“. Nein, er hat ihn getauft. Die Taufe ist eben das Geschenk des Glaubens, das Jesus uns gibt“.
Papst Franziskus warnte vor der Gefahr, „dass die Volksfrömmigkeit nicht von Gruppierungen genutzt und instrumentalisiert wird, die ihre eigene Identität auf polemische Weise stärken wollen, indem sie Partikularismen, Entgegensetzung und ausgrenzende Haltungen fördern“. All dies, fügte der Nachfolger Petri hinzu, „entspricht nicht dem christlichen Geist der Volksfrömmigkeit“, die in ihrer eigenen Dynamik ‚ „den christlichen Glauben und die kulturellen Werte eines Volkes zu vermitteln, indem sie die Herzen vereint und zu einer Gemeinschaft zusammenschließt“. Und wenn dies geschehe, „geht daraus eine wichtige Frucht hervor, die auf die Gesellschaft als Ganzes und auch auf die Beziehungen zwischen den politischen, sozialen und zivilen Institutionen und der Kirche zurückwirkt“ so der Papst weiter. „Der Glaube bleibt keine private Angelegenheit – wir müssen auf diese, ich würde sagen, häretische Entwicklung der Privatisierung des Glaubens achten; die Herzen verbinden sich und machen weiter... –, etwas, das sich im Heiligtum des Gewissens erschöpft, sondern er geht – wenn er sich selbst ganz treu sein will – mit einem Engagement und einem öffentlichen Zeugnis einher: für menschliches Wachstum, sozialen Fortschritt und Sorge für die Schöpfung, im Zeichen der Liebe“, betont er.
Papst Franziskus erinnerte auch daran, dass gerade „aus dem christlichen Glaubensbekenntnis und dem durch das Evangelium und die Sakramente belebten Glaubensleben im Laufe der Jahrhunderte zahllose Hilfswerke und Einrichtungen entstanden sind, wie Krankenhäuser, Schulen, Pflegezentren – in Frankreich sind es viele! –, in denen sich die Gläubigen für die Bedürftigen eingesetzt und zum Wachstum des Gemeinwohls beigetragen haben. Volksfrömmigkeit, Prozessionen und Bittgänge, karitative Aktivitäten von Bruderschaften, das gemeinsame Gebet des Rosenkranzes und andere Frömmigkeitsformen können diese – ich erlaube mir zu sagen – „konstruktive Bürgerschaft“ der Christen nähren. Die Volksfrömmigkeit macht dich zu einem „konstruktiven Bürger“.
Papst Franziskus erinnert in diesem Zusammenhang an eine persönliche Anekdote, und gib eine Erfahrung wieder, die er in Salta, im Norden Argentiniens, anlässlich des dort gefeierten Festes des Señor de los Milagros gemacht hat: „Ich bin immer zum Beichtehören hingefahren“, so der Papst, „und das war eine harte Arbeit, denn alle Leute beichten. Und eines Tages, auf dem Weg nach draußen, traf ich einen Priester, den ich kannte: „Oh, du bist hier, wie geht es dir?“ - „Gut!“... Und als wir gerade gehen wollten, kam in diesem Moment eine Frau mit einigen Heiligenbildchen in der Hand auf uns zu und sagte zu dem Priester, einem guten Theologen: „Padre, würden Sie sie segnen?“ Der Priester, ein bedeutender Theologe, sagt zu ihr: „Aber, liebe Frau, waren Sie denn in der Messe?“ - „Ja, Padrecito“ - „Und Sie wissen, dass am Ende der Messe alles gesegnet wird?“ - „Ja, Padrecito“ - „Und wissen Sie, dass der Segen Gottes von Ihnen kommt?“ - „Ja, Padrecito“. In diesem Moment rief ihm ein anderer Priester zu: „Oh, wie geht es dir?“ Und die Frau, die so oft „Ja, Padrecito“ gesagt hatte, wandte sich an ihn: „Vater, segnen Sie sie mir?“. Es gibt eine Komplizenschaft, eine gesunde Komplizenschaft, die nach dem Segen des Herrn sucht und keine Verallgemeinerungen akzeptiert“.
Im Schlussteil seiner Ansprache erinnerte Papst Franziskus auch an das Potenzial einer Interaktion zwischen den Werken, die aus der Volksspiritualität erwachsen, um sich „auf einem gemeinsamen Weg auch mit den säkularen Institutionen – zivilen und politischen – zusammenzufinden, um sich gemeinsam im Dienste aller, angefangen bei den Letzten“ einzusetzen.
Der Bischof von Rom zitierte auch die von Papst Benedikt XVI. geprägte Definition der „gesunden Laizität“ „Benedikt XVI. hat gesagt“, so der Papst, dass „gesunde Säkularität“ bedeutet, „den Glauben von der Last der Politik zu befreien und die Politik durch die Beiträge des Glaubens zu bereichern. [...] Eine solche gesunde Laizität garantiert der Politik zu handeln, ohne die Religion für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, und der Religion, frei zu leben, ohne sich mit der politischen Wirklichkeit zu belasten, die von Interessen geleitet ist und sich manchmal mit dem Glauben nur schwer oder sogar überhaupt nicht vereinbaren lässt“.
(FB) (Fides 15/12/2024)