von Gianni Valente
Rom (Fides) - "Neuevangelisierung für die Weitergabe des christlichen Glaubens". Dies war der Titel der XIII. ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode. Es war die letzte an der Benedikt XVI. als Papst teilnahm. Aus der Arbeit dieser Versammlung gingen auch Impulse hervor, die später im Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“, dem wichtigsten offiziellen Dokument von Papst Franziskus, weiterentwickelt wurden.
Die Mission und die Verkündigung des Evangeliums sind der wichtigste rote Faden, der sich durch das Pontifikat von Papst Franziskus und das seines Vorgängers zieht.
Im Jahr 2011 stand die "Neuevangelisierung" im Mittelpunkt des jährlichen Treffens des Ratzinger-Schülerkreises, der in jenen Jahren jedes Jahr in Castel Gandolfo Rom zusammenkam. Im Mittelpunkt des geschlossenen Seminars stand jeweils ein bestimmtes Thema und die Teilnehmer hatten die Gelegenheit ihren ehemaligen Professor zu treffen.
Der künftige Papst hatte während seines gesamten geistlichen und kirchlichen Weges seine Auffassung von einer neuen missionarischen Dynamik zum Ausdruck gebracht, zu der die Kirche in der heutigen Zeit berufen ist, da sie durch tiefgreifende Prozesse der Entchristlichung in Ländern mit alter christlicher Tradition gekennzeichnet ist. Er hatte dies auch getan, als er als Kardinalpräfekt der Kongregation für die Glaubenslehre am 10. Dezember 2000 vor der von der Kongregation für den Klerus in Rom veranstalteten Konferenz der Katecheten und Religionslehrer einen langen und ausführlichen Bericht vorlegte. Darin enthalten sind höchst aktuelle Einsichten, die zum besseren Verständnis der Quelle jeder Art von missionarischer Tätigkeit und kirchlichen Wirkens in der heutigen Zeit beitragen können.
DIE VERSUCHUNG DER UNGEDULD
Dazu nahm Kardinal Ratzinger das Gleichnis vom Senfkorn Ausgangspunkt, wo Jesus das Himmelreich mit dem Senfkorn verglich, das "das kleinste von allen Samenkörnern ist; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten“. Wenn man von der 'Neuevangelisierung' in Kontexten spricht, in denen das christliche Gedächtnis verloren gegangen ist", betonte der künftige Papst Benedikt XVI., "muss man vor allem der 'Versuchung der Ungeduld‘ widerstehen, die Versuchung, sofort den großen Erfolg zu suchen, nach großen Zahlen zu suchen“. Dies, so Ratzinger, "ist nicht die Methode Gottes", für die "stets das Gleichnis vom Senfkorn gilt". Auch die Neuevangelisierung "kann nicht bedeuten, dass man sofort mit neuen, raffinierteren Methoden die großen Massen anzieht, die sich von der Kirche entfernt haben". Denn die Geschichte der Kirche lehrt, dass "große Dinge immer im Kleinen beginnen und Massenbewegungen immer vergänglich sind".
DER "METHODE" GOTTES FOLGEN
Die Dynamik des christlichen Zeugnisses - so der Präfekt und Theologe damals - sei daran erkennbar, dass es nur Gottes heilsgeschichtliches Handeln als Vergleichsbegriff habe: "'Nicht weil du groß bist, habe ich dich auserwählt, im Gegenteil - du bist der Geringste im Volk; ich habe dich auserwählt, weil ich dich liebe...', sagt Gott im Alten Testament zum Volk Israel und bringt damit das grundlegende Paradox der Heilsgeschichte zum Ausdruck". Gott zähle nicht mit großen Zahlen; äußere Macht sei nicht das Zeichen seiner Gegenwart. „Die meisten Gleichnisse Jesu weisen auf diese Struktur des göttlichen Handelns hin und gehen damit auf die Sorgen der Jünger ein, die vom Messias ganz andere Erfolge und Zeichen erwarteten".
Auch die Verkündigung des Christentums zur Zeit der Apostel führt Ratzinger auf die evangelischen Gleichnisse der Demut zurück: "Gewiss, Paulus hatte am Ende seines Lebens den Eindruck, das Evangelium bis ans Ende der Welt gebracht zu haben, aber die christlichen Gemeinden waren kleine, über die ganze Welt verstreute Gemeinschaften, unbedeutend nach weltlichen Kriterien. In Wirklichkeit waren sie der Sauerteig, der den Teig von innen heraus durchdrang und die Zukunft der Welt in sich trug".
Es geht nicht darum, die "Räume" der Kirche in der Welt zu erweitern. Ratzinger bemerkte in seinem Vortrag vor den Katecheten: "Wir suchen nicht nach einer Zuhörerschaft für uns selbst, wir wollen nicht die Macht und die Ausdehnung unserer Institutionen vergrößern, sondern wir wollen dem Wohl der Menschen und der Menschheit dienen, indem wir dem Raum geben, der das Leben ist. Dieser Verzicht auf das eigen Ich durch die Hingabe an Christus für das Heil der Menschen ist die grundlegende Voraussetzung für ein echtes Engagement für das Evangelium".
DAS "MERKMAL" DES ANTICHRISTEN
Ratzingers damalige Ausführungen im Hinblick auf die Merkmale der Sendung waren nicht von Opportunismus inspiriert, sondern von der notwendigen Anpassung des kirchlichen Wirkens an die Dynamik und das Geheimnis der Menschwerdung Christi. Eine Kirche, „die sich nur auf sich selbst bezieht", so der künftige Nachfolger Petri vor, "wäre Gegenzeugnis, denn das Zeichen des Antichristen ist, dass er in seinem eigenen Namen spricht, während das Zeichen des Sohnes seine Gemeinschaft mit dem Vater ist“. Schon damals sagte Ratzinger Worte, die im Hinblick auf das alleinige Vertrauen in die neuen Kommunikations- und Marketingstrategien aufschlussreich sind: "Alle vernünftigen und moralisch vertretbaren Methoden", so sagte er damals, "müssen untersucht werden. Es ist eine Pflicht, von diesen Kommunikationsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Aber Worte und die ganze Kunst der Kommunikation können dem Menschen nicht die Tiefe geben, die das Evangelium verlangt. (...). Wir können keine Menschen gewinnen. Wir müssen sie von Gott für Gott gewinnen".
MISSION UND MARTYRIUM
Die Bekehrung der Herzen ist das Werk der wirkenden Gnade Christi. Und sie bezieht sich auf geheimnisvolle Weise auf das Geheimnis seines Leidens. In einer weiteren Passage deutete der künftige Papst mit unmissverständlichen Worten auf das Band hin, das das Martyrium mit dem missionarischen Weg der Kirche durch die Geschichte vereint. "Jesus", sagte Joseph Ratzinger damals, "hat die Welt nicht mit schönen Worten erlöst, sondern mit seinem Leiden und Sterben. Sein Leiden ist die unerschöpfliche Quelle des Lebens für die Welt; das Leiden gibt seinem Wort Kraft". Auch für Paulus, den ersten großen "Missionar", "war der Erfolg seiner Mission nicht das Ergebnis großer Rhetorik oder pastoraler Klugheit; seine Fruchtbarkeit war an das Leiden, an die Gemeinschaft im Leiden mit Christus gebunden". Zeugen sind diejenigen, die "das ergänzen, was an den Bedrängnissen Christi noch fehlt" (Kol 1,24). In allen Epochen der Geschichte haben sich die Worte von Tertullian stets bewahrheitet: Das Blut der Märtyrer ist ein Same. Augustinus sagt dasselbe auf sehr schöne Weise, indem er das Johannesevangelium auslegt, und zwar an der Stelle, an der die Prophezeiung des Martyriums des Petrus und der Hirtenauftrag, d. h. die Einsetzung seines Primats, eng miteinander verbunden sind". Denn: "Wir können anderen kein Leben geben, ohne unser eigenes Leben zu geben. Der oben erwähnte Prozess des Verzichts ist die konkrete Form (die in vielen verschiedenen Formen zum Ausdruck kommt) der Hingabe des eigenen Lebens. Und denken wir an das Wort des Erlösers: ‚...wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es retten...‘.“
AUS DER ERFAHRUNG ZUR ERFAHRUNG
Bereits 1986 hatte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger bei einer anderen Gelegenheit, als er bei den Exerzitien für die Priester von „Communione e Liberazione“ predigte, die Anziehungskraft der Gnade, die von Christus selbst gewirkt wird, als Quelle jeder echten Evangelisierungsdynamik bezeichnet.
Ratzinger erinnerte daran, dass "die frühe Kirche nach dem Ende des apostolischen Zeitalters als Kirche verhältnismäßig wenig missionarische Aktivität entwickelte, keine eigene Strategie für die Verkündigung des Glaubens an die Heiden hatte und dennoch ihre Zeit zur Periode des größten missionarischen Erfolgs wurde“. „Die Bekehrung der antiken Welt", betonte Ratzinger, "war nicht das Ergebnis einer geplanten kirchlichen Aktivität, sondern die Frucht der Vergewisserung des Glaubens, einer Vergewisserung, die im Leben der Christen und in der Gemeinschaft der Kirche sichtbar wurde. Die konkrete Einladung aus der Erfahrung zur Erfahrung und nichts anderes war, menschlich gesprochen, die missionarische Anziehungskraft der frühen Kirche. Umgekehrt beruht der Glaubensabfall der Neuzeit auf dem Verlust der Glaubenserfahrung im Leben der Christen. (...) Die Neuevangelisierung, die wir so dringend brauchen, erreichen wir nicht mit ausgeklügelten Theorien: Das katastrophale Versagen der modernen Katechese ist nur allzu offensichtlich. Nur die Verflechtung einer Wahrheit in sich selbst und die Garantie dieser Wahrheit im Leben kann den vom menschlichen Herzen erwarteten Glaubensbeweis zum Leuchten bringen; nur durch diese Tür kommt der Heilige Geist in die Welt".
(Fides 3/1/2023)