ASIEN/HEILIGES LAND - Die Hamas und die Christen

Dienstag, 31 Oktober 2023 krisengebiete   kriege   politischer islam   jerusalem   islam  

Comunicaciones IVE

Von Gianni Valente

Gaza (Fides) - Im Gazastreifen lebten vor den Gräueltaten der Hamas und des islamischen Dschihad am vergangenen 7. Oktober und vor Beginn der israelischen Bombardierungen etwas mehr als tausend Christen inmitten von mehr als zwei Millionen palästinensischen Mitbürgern islamischen Glaubens. „Die lateinischen Katholiken", so Pfarrer Gabriel Romanelli Anfang 2022 gegenüber Fides, "waren weniger als 150“.
Niemand kann heute sagen, was aus ihnen wird, angesichts der sich aktuell abzeichnenden Katastrophe in Gaza. Unterdessen muss zur Kenntnis genommen werden, dass der Exodus der Christen aus dem Heiligen Land in den letzten 80 Jahren im Zusammenhang mit den blutigen Phasen des israelisch-palästinensischen Konflikts immer stark beschleunigt wurde. Und dass das Auftreten der Hamas auf der palästinensischen Bühne auch für die Christen in Gaza ein "Vorher" und ein "Nachher" markiert.

Vor der Hamas
Jahrzehntelang war die Identifikation mit der nationalen Sache Palästinas für viele palästinensische Christen in dem von den Konflikten, die das Heilige Land seit der Gründung des Staates Israel erschüttern, zerrütteten Umfeld auch ein nützliches Mittel, um ihre Identität als einheimische arabische Gemeinschaften zu bekräftigen und in dem Bezug auf eine gemeinsame "arabische Herkunft" ein Gegenmittel gegen konfessionelle Einschüchterung und Diskriminierung zu suchen. Die nicht-konfessionelle Ausrichtung vieler politischer Bewegungen in Palästina hat den Beitritt von Aktivisten aus christlichen Familien und Gemeinschaften begünstigt. Der Anteil der Christen in den Reihen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) war sicherlich höher als der der Getauften in der palästinensischen Bevölkerung. Unter anderem gehörten Habib Kawaji, Hanna Nasser und der anglikanische Bischof Elias Khoury dem PLO-Exekutivkomitee an. Historische Führer der marxistischen und radikalen Parteien wie George Abash von der Volksfront und Nayef Awatmeh von der Demokratischen Front stammten ebenfalls aus christlichen Familien.
In ihrem politischen Engagement brachten christliche Aktivisten ihre Identitätsansprüche jedoch nicht unter religiösen Gesichtspunkten zum Ausdruck, sondern "tarnten" sich mit der gemeinsamen "arabischen Herkunft" ihrer muslimischen Landsleute. Der 2003 ausgearbeitete Verfassungsentwurf des palästinensischen Staates garantierte die Freiheit der Religionsausübung und den staatlichen Schutz der heiligen Stätten der verschiedenen Religionen, verwies aber gleichzeitig auf die muslimische Scharia als Hauptquelle der Gesetzgebung.
PLO-Führer Jassir Arafat spielte brachte auch auf internationaler Ebene sein Augenmerk für die Christen in Palästina als einheimischen Bestandteil des palästinensischen Volkes ein. Bei seiner ersten Reise nach Rom im Jahr 1982 wurde Arafat auf Einladung der Interparlamentarischen Versammlung unter dem Vorsitz des italienischen katholischen Politikers Giulio Andreotti von Johannes Paul II. im Vatikan empfangen, zu einer Zeit, als noch kein westliches Staatsoberhaupt direkte Kontakte mit dem PLO-Führer aufgenommen hatte. Fünf Jahre später ernannte der Papst den Patriarchen Michel Sabbah zum ersten Mal zum Oberhaupt des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem in Palästina.

Nach dem politischen Triumph der Hamas
Arafat starb im November 2004 in Frankreich. Etwas mehr als ein Jahr später, im Januar 2006, gewann die islamistische Hamas-Bewegung - die in den Jahren zuvor auch im Westjordanland außerhalb der "Hochburg" Gaza an Zustimmung gewonnen hatte - die Wahlen und setzt sich damit gegen Arafats Partei, die Fatah, durch.
Bei diesen Wahlen standen auch christliche Kandidaten auf den Listen der Hamas und wurden mit den Stimmen der islamischen Mehrheit gewählt. In Städten mit starker christlicher Präsenz (Bethlehem, Beit Jala, Beit Sahour, Ramallah) unterstützen die bei den Kommunalwahlen 2005 gewählten Hamas-Ratsmitglieder die Bildung von Gemeinderäten, die von christlichen Bürgermeistern geleitet wurden. Sogar in Bethlehem, der Stadt, in der Jesus geboren wurde, regierte der lateinisch-katholische Bürgermeister Victor Batarseh mit Unterstützung der sechs Hamas-Räte und des vom Islamischen Dschihad gewählten Bürgermeisters, was seine Politik im Kampf gegen die Korruption der "alten" Parteien inspiriert. Selbst der damalige Erzbischof-Koadjutor, Fouad Twal, - der 2008 Lateinischer Patriarch von Jerusalem werden sollte - räumte in mehreren Interviews ein, dass viele christliche Wähler, verärgert über die Unbeweglichkeit, die Korruption der alten palästinensischen Parteien und die Nichterfüllung der Versprechen zur Schaffung eines Staates Palästina, zum politischen Triumph der Hamas beigetragen haben.
Nach ihrem politischen Triumph setzen die Hamas-Führer ihre Politik der beschwichtigenden Gesten und Erklärungen gegenüber ihren "christlichen Brüdern" fort. Bereits einige Monate vor den Wahlen hatte Mahmud al-Zahar, der später Außenminister in der Hamas-geführten Regierung wurde, erklärt: "Es wäre keine große Überraschung, wenn es in Zukunft einen Christen in der Hamas-Führung gäbe". Im Februar 2006, als der Gazastreifen und das Westjordanland ebenfalls von bewaffneten Gruppen heimgesucht wurden, die mit antiwestlicher Rache für die in einigen nordeuropäischen Ländern veröffentlichten Mohammad-Karikaturen drohten, besuchte Mahmud al-Zahar die katholische Kirche in Gaza und versprach vor Journalisten, bewaffnete Hamas-Eskorten vor christliche Einrichtungen zu stellen, "weil ihr unsere Brüder und Schwestern seid".
Im Jahr 2007, als der Konflikt zwischen Hamas und Fatah im Gazastreifen in bewaffnete Auseinandersetzungen ausartete und zur faktischen Spaltung der palästinensischen Regierung führte (Hamas im Gazastreifen, Fatah im Westjordanland), luden die Führer der islamistischen Partei westliche Journalisten ein, um zu zeigen, dass "Ruhe in den Gazastreifen eingekehrt" sei, und organisierten für sie eine Bustour, die auch vor der katholischen Kirche Halt machte und ein Treffen mit dem damaligen Pfarrer, Pater Manuel Musallam, einschloss.
In den Jahren, in denen der Gazastreifen unter der Herrschaft der Hamas verbleibt, in diesem Gebiet, das immer wieder von aufflammenden Kriegen zerrissen wird, die ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung anrichten, erleben die Christen Prüfungen und Leiden zusammen mit ihren Mitbürgern. Pfarrer Gabriel Romanelli, der derzeitige katholische Gemeindepfarrer, hatte gegenüber Fides wiederholt auf das apostolische Leben hingewiesen, das sich um die Gemeinde herum entwickelt. "Für mich ist es eine wirklich schöne Mission. Jedes Mal bin ich erstaunt, wenn ich daran denke, dass das Jesuskind nach der Überlieferung auf seinem Weg nach und von Ägypten durch Gaza kam, als die Heilige Familie, nach der unsere Pfarrei benannt ist, fliehen musste, um ihn vor der Bosheit des Herodes zu bewahren" (vgl. Fides 25/2/2022).
Im Dezember 2020 ordnete eine Abteilung des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten im Gazastreifen an, dass alle Muslime ihre "Teilnahme" christlichen Weihnachtsfeiern einschränken sollten. Diese Maßnahme offenbart die instrumentelle Doppelzüngigkeit so vieler Beschwichtigungsbekundungen, die zuvor von Hamas-Führern für ihre "christlichen Brüder und Schwestern" geäußert hatten. In Jerusalem prangert Pater Ibrahim Faltas, ägyptischer Mönch der Kustodie des Heiligen Landes, mit scharfen Worten die "dunkle Seite" in der Geschichte der Hamas an. Um Wiedergutmachung zu leisten, besuchten einige Hamas-Vertreter die Gemeinde in Gaza und ließen sich mit dem Pfarrer unter dem Christbaum fotografieren.
In Gaza konnten die Christen während der Herrschaft der Hamas an dem festhalten, was Pfarrer Gabriel Romanelli als das Wichtigste bezeichnete: "die physische Gegenwart Christi selbst in der Eucharistie zu bewahren" und darum zu bitten, dass er auch den täglichen Weg derer bewacht, die dort in seine Fußstapfen treten. Heute wird noch deutlicher, dass die Fortführung dieses Werkes in seiner Unversehrtheit ganz dem Wunder anvertraut ist und nicht den Strategien des menschlichen Widerstandes. ("Mutter, alleine schaffen wir es nicht, ohne deinen Sohn können wir nichts tun", vgl. Papst Franziskus, Gebet für den Frieden, 27. Oktober 2023).
(Fides 31/10/2023)


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