ASIEN/HEILIGES LAND - Ökumenisches Zeugnis: Warum es wichtig ist, dass Christen im Land Jesu “beiben”

Donnerstag, 28 August 2025 jerusalem   Ökumene   kriege   genozid   ortskirchen   ostkirchen   islam   judentum  

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Jerusalem (Fides) – „In diesen schmerzlichen Tagen wandeln wir als integraler Bestandteil der uns umgebenden Realität durch Täler, die von Tod, Vertreibung, Hunger und Verzweiflung verdunkelt sind“, heißt es in einem Dokument der ökumenische Gruppe „Eine Stimme aus Jerusalem für Gerechtigkeit“ (A Jerusalem Voice for Justice), die sich in einen langen Brief „an unser Volk und unsere Hirten“ wendet, um daran zu erinnern, aus welchen Quellen Christen in dieser Zeit des Grauens und des Leids, die das Heilige Land, das Land Jesu, entstellt, schöpfen können und zu welcher Mission sie berufen sind.

Die Gruppe „A Jerusalem Voice for Justice” ist spontan entstanden und hat sich angesichts der erneuten Ausbrüche von Gewalt und Terror im Heiligen Land zusammengeschlossen, um die Ereignisse und Prozesse zu analysieren, die das Leben der Völker im Land Jesu beeinflussen und erschüttern. Zu dem Netzwerk gehören unter anderem der emeritierte lateinische Patriarch von Jerusalem Michel Sabbah, der lutherische Bischof Munib Younan, der griechisch-orthodoxe Bischof Attallah Hanna, die Koordinatorin des ökumenischen Zentrums „Sabeel“, Sawsan Bitar, der palästinensische Theologe John Munayer, der Jesuitenpater David Neuhaus und Pater Frans Bouwen von der Gesellschaft der Afrikamissionare (Weiße Väter).


Das Zeugnis des “Bleibens”

„In Gaza“, so die Unterzeichner des Briefes zur aktuellen Lage im im Heiligen Land geschieht, „findet ein Völkermord statt, der sich auch auf andere Teile Palästinas auszuweiten droht. Die ethnische Säuberung in Gaza durch die systematische Zerstörung von Häusern, Krankenhäusern und Bildungseinrichtungen schreitet von Tag zu Tag voran. Ähnliche Praktiken werden im Westjordanland durch gewalttätige Angriffe israelischer Siedler mit Hilfe der israelischen Armee angewendet. Häuser werden abgerissen, ganze Dörfer zerstört und ihre Bewohner obdachlos gemacht; Tausende von Gefangenen befinden sich ohne jeglichen Rechtsschutz in Untersuchungshaft; Menschen werden getötet oder verletzt, Olivenbäume verbrannt, Ernten zerstört, Herden getötet oder gestohlen, Privateigentum geplündert”.

Angesichts dieser Zeit des Leids – heißt es in dem Brief – „bricht es uns das Herz, Familien zu sehen, die vertrieben werden oder gezwungen sind, Palästina-Israel zu verlassen. Wir verurteilen diejenigen nicht, die sich freiwillig dazu entschließen, denn wir wissen, welche Last wir alle zu tragen haben. Wir beten für sie, und unser Segen begleitet sie, wohin auch immer sie sich entscheiden zu gehen. Unter uns – den Gliedern des Leibes Christi, der im Boden Palästinas verwurzelt ist – gibt es jedoch auch diejenigen, die sich entschieden haben, zu bleiben, zu sprechen und zu handeln“.

Die Entscheidung, im Heiligen Land zu bleiben, ist laut den Mitgliedern der ökumenischen Gruppe „nicht nur eine politische, soziale oder praktische Entscheidung. Es ist ein spiritueller Akt. Wir bleiben nicht, weil es einfach ist oder weil es unvermeidlich ist. Wir bleiben, weil wir dazu berufen sind. Unser Herr Jesus wurde in Bethlehem geboren, wanderte durch die Hügel Galiläas, weinte über Jerusalem und erlitt einen ungerechten Tod, weil er seiner Mission bis zum Ende treu geblieben ist. Er ist nicht vor dem Leiden geflohen. Er hat sich darauf eingelassen und aus dem Tod Leben geschaffen. Ebenso bleiben wir nicht, um das Leiden zu romantisieren, sondern um die Gegenwart und Kraft des Herrn in unserem leidgeprüften Heiligen Land zu bezeugen.“

Für Christen bedeutet es in dieser dunklen Stunde der Geschichte, „zu bleiben und mit unserem Leben zu bezeugen: Dieses verwundete und blutende Land ist immer noch heilig“. Es bedeutet, „zu verkünden, dass das Leben der Palästinenser – Muslime, Christen, Drusen, Samariter, Bahai – und das Leben der jüdischen Israelis heilig ist und geschützt werden muss. Es bedeutet, daran zu erinnern, dass die Auferstehung im Grab beginnt und dass Gott auch jetzt, in unserem kollektiven Leiden, bei uns ist“. Die Verfasser des Briefes zitieren Worte, die der lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, bei seinem jüngsten Besuch in Gaza gesprochen hat: „Christus ist nicht abwesend in Gaza. Er ist dort, gekreuzigt in den Verwundeten, begraben unter den Trümmern und doch gegenwärtig in jeder Tat der Barmherzigkeit, in jeder Kerze in der Dunkelheit, in jeder ausgestreckten Hand gegenüber den Leidenden.“

Christen “bleiben” im Zeichen der Liebe

„Wir sind die Kinder der Auferstehung“, heißt es weiter im Brief von „A Jerusalem Voice for Justice“, „.Unsere Anwesenheit ist ein Zeugnis unseres auferstandenen Herrn Jesus Christus.“ Ein Zeugnis, das sich im Heiligen Land „seit Pfingsten ununterbrochen an den Orten manifestiert, an denen alles begann“. Ein Zeugnis, das in einem geliebten Land gedeiht, „nicht als Eigentum, sondern als Geschenk. Wir lieben unsere muslimischen und jüdischen Nachbarn nicht abstrakt“, betont der Brief, „sondern solidarisch und mit konkreten Taten. Bleiben bedeutet, weiterhin Bäume zu pflanzen, Kinder großzuziehen, Wunden zu heilen und Fremde aufzunehmen“. Wir nehmen eine Mission an, die nicht darin bestehen kann, „uns zurückzuziehen, sondern zu bauen: Häuser, Kirchen, Schulen, Krankenhäuser und Gärten“. Mit Realismus, anzuerkennen, „dass in diesem Leben vollkommener Frieden utopisch ist; dennoch werden wir ihn durch unser Zeugnis hier noch vollständiger im Reich Gottes genießen“.

Hintergrund der Einheit, die den Bemühungen der ökumenischen Gruppe zugrunde liegt, ist der Kontext einer „lebendigen Kirche, die im Land der Menschwerdung verkörpert ist“. Seit Pfingsten, erinnert die Botschaft, „wurden unsere Liturgien an Momente der Freude und des Leidens erinnert und fanden Ausdruck in vielen Sprachen und Kulturen: Aramäisch, Griechisch, Armenisch, Arabisch, Latein und vielen anderen“. „Unsere Sakramente gehen einher mit alter und unbesiegbarer Hoffnung. Heute beten wir, verwurzelt in unseren reichen und alten Traditionen, aber voll und ganz präsent und treu gegenüber der Welt, die uns umgibt”, so die Verfasser des Schreibens. Ein Raum und eine Zeit, in der Christen dazu aufgerufen sind, „Salz und Licht zu sein, genau an dem Ort, an dem Christus diese Worte zum ersten Mal ausgesprochen hat. Salz, das die Wunden der Diskriminierung, der Besatzung, des Völkermords und der anhaltenden Traumata heilt. Licht, das sich weigert zu erlöschen, auch wenn die Dunkelheit immer tiefer wird. Und selbst wenn wir nur noch eine Handvoll Menschen wären, würden wir unser Sein als Salz und Licht intensivieren und verstärken“.
In diesem Sinne – so die Unterzeichner des Briefes – „sagen wir zueinander: Wir bleiben, weil wir berufen sind, wir bleiben, weil wir gesandt sind. Und wir leben, weil Christus in uns wohnt“.

An die Hirten

Der Brief drückt Liebe und Respekt für die Oberhäupter und Hirten der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften im Heiligen Land aus, denen auch „für Ihre Erklärungen zur schwierigen Situation, die wir derzeit erleben, und zur Verteidigung der menschlichen und moralischen Werte“ gedankt wird. „Wir freuen uns besonders“, fügen die Verfasser der Botschaft hinzu, „wenn Sie mit einer Stimme sprechen und gemeinsame Initiativen ergreifen, wie die jüngsten Besuche in Gaza und Taybeh“. Gleichzeitig stellt der Brief fest, dass „die Gläubigen sich manchmal darüber beklagen, dass einige von uns, Kirchenoberhäupter, Geistliche und Ordensleute, zu weit vom Volk, seinen Kämpfen und täglichen Leiden entfernt sind“. Und „einige scheinen mit ihren Worten und Taten zu suggerieren, dass dies nicht ihr Krieg ist, da er ihre Kirchen, Klöster und Gemeinschaften noch nicht berührt hat“. Der Brief erinnert daran, dass „Verantwortliche auf allen Ebenen sich über das Geschehen auf dem Laufenden halten müssen, insbesondere über die aktuellen Ereignisse und Tragödien, die unser Volk treffen“. Während „diejenigen, die mit guten Absichten von weit her gekommen sind, um in der Kirche von Jerusalem zu dienen, ermutigt und dabei unterstützt werden müssen, die Geschichte und Kultur dieses Landes und seiner Völker kennenzulernen. Vorurteile müssen dem Wissen und der Wahrheit über den Konflikt in Palästina und Israel weichen”.

Die Lage im Heiligen Land – so heißt es abschließend im Brief der ökumenischen Gruppe – „bleibt komplex und ungewiss. Als Christen erkennen wir jedoch an, dass es ein Privileg ist, in diesem Land zu leben, in dem unser Herr Jesus Christus gelebt, die Frohe Botschaft verkündet, gelitten, gestorben und von den Toten auferstanden ist. Hier wurde die Frohe Botschaft der Auferstehung zum ersten Mal verkündet und von hier aus verbreitete sie sich in der ganzen Welt”. Gerade „unser Herr und Erlöser Jesus Christus ermutigt uns: ‚Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben‘ (Lukas 12,32). Wir sind in seinem Geist berufen und durch ihn gestärkt, gemeinsam zu gehen. Das ist der Weg der Synodalität, ‚den gemeinsamen Weg zu gehen‘“.
(GV) (Fides 28/8/2025)


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