AFRIKA/RUANDA - Vorsitzender der Bischofskonferenz zum Versöhnungsprozess nach dem Genozid: “Eine aktive Bewältigung war notwendig”

Samstag, 17 April 2021 menschenrechte   genozid   gewalt   aussöhnung   ortskirchen  

Butare (Fides) - "Als ich 1997 zum Bischof ernannt wurde, waren gerade drei Jahre seit dem Völkermord vergangen und das Land war am Boden zerstört: Ruinen überall, zerstörte Häuser, viele von Mord oder Gewalt betroffene Familien und viele Menschen, die Ruanda verlassen hatten und geflohen waren. Es gab viele Waisenkinder, von denen einige sehr jung waren, und im Herzen der Bevölkerung herrschte große Wut. Wir mussten von vorne anfangen. Die Kirche war aus einer ernsten Situation hervorgegangen und hatte drei Bischöfe verloren, von denen zwei getötet wurden und einer vermisst war, sowie viele Priester und Ordensleute. Wir haben uns an die Seite der der Bevölkerung gestellt, um dem Land zu helfen, sich zu erholen. Unsere Arbeit war von Anfang an darauf ausgerichtet, sich zu versöhnen, auch wenn es sehr schwierig war, viele hatten nicht die Kraft dazu“. Insgesamt 27 Jahre sind seit den hundert schrecklichen Tagen des Genozids vergangen, der Ruanda verschlang und in einen Strudel des Grauens stürzte. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz von Ruanda, Bischof Philippe Rukamba von Butare, rekonstruiert diesen dramatischen April im Interview mit Fides und erklärt, was sich seitdem verändert hat und welche Rolle die Kirche beim Übergang zu einer endgültigen Ära des Friedens spielt.
„Das Wichtigste“, sagt er, „ war, zu versuchen, die Familien der Opfer mit den Tätern der Massaker zu versöhnen, und dies konnte nur durch aktive Bewältigung geschehen, wobei zunächst versucht werden musste, zu verstehen, was überhaupt geschehen war. Unsere Kommission für Gerechtigkeit und Frieden bat deshalb einige Länder um Hilfe, die ebenfalls Zeiten großer ethnischer oder religiöser Spannungen erlebt hatten wie Südafrika und Nordirland, und die durch einen komplexen Versöhnungsprozess daraus hervorgegangen waren. Auf diese Weise wurde ein sehr nützlicher Weg angetreten, der uns half, zur verstehen, was die Herzen der Menschen bewegt“. "Allmählich hat sich die Situation im Land verbessert, und als Kirche haben wir versucht, den Staat zu unterstützen, indem wir uns auch zur Verfügung gestellt haben, um Priester oder Ordensleute zur Rechenschaft zu ziehen, die zu Protagonisten von Verbrechen geworden waren", so der Bischof.
Die katholische Kirche war selbst auch von der mörderischen Wut jener Tage betroffen. Sie verlor viele ihrer Mitarbeiter, die sich gegen Gewalt aussprachen, trug aber zum Teil auch dazu bei, sie die Spaltung zu schüren.
"Am Anfang wurde der Kirche vorgeworfen, dem Völkermord in gewisser Weise den Weg bereitet zu haben. Einige Priester und Ordensleute haben sich tatsächlich aktiv beteiligt, und einer davon wurde zum Beispiel in Den Haag zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Laufe der Jahre haben wir als führende Kirchenvertreter eigestehen müssen, dass viele Christen sowie Angehörige anderer Glaubensrichtungen nicht richtig gehandelt und sich am Völkermord beteiligt haben. Wir haben aber auch verstanden, dass wir vorwärts gehen müssen, indem wir entschlossen einen neuen Weg berschreiten. Der Heilige Vater bat anlässlich des Besuchs von Präsident Kagame im Vatikan im Jahr 2017 im Namen der Christen um Vergebung für den Völkermord. Ich denke, ich kann sagen, dass wir einen fruchtbaren Prozess hinter uns haben, auch weil wir zusammen mit den Menschen begonnen, die Versöhnung in den Pfarreien auf allen Ebenen zu fördern, gestärkt vom Appells von Johannes Paul II., der uns zu einer Gewissensprüfung aufgefordert hat. In unseren Pfarreien gibt es begleitende Initiativen, die Opfer und Verfolger zusammenzubringen, die um Vergebung gebeten haben. Wir haben kürzlich ein Gebäude in einer Pfarrei in Butare eingeweiht, in dem Familien von Opfern und Täter untergebracht sind, die ihre Taten bereut haben“.
Das Verhältnis zu den politischen Autoritäten war nicht immer einfach, auch aufgrund des schweren Erbes, das der Völkermord im Land hinterlassen hat. Seit dem Besuch des Präsidenten beim Papst im Jahr 2017 hat sich jedoch etwas geändert: „Die Situation“, so Bischof Rukamba, „hat sich sehr verbessert und die Beziehungen zwischen Staat und Kirche haben sich verändert. Seit einigen Monaten haben wir einen Kardinal, Antoine Kambanda, Erzbischof von Kigali, und wir können sagen, dass wir eine neue Zusammenarbeit erleben. Im Moment suchen wir nach einer Rahmenvereinbarung, die die Beziehungen zwischen Staat und Kirche endgültig regelt. Am Tag der Erinnerung an den Völkermord (6. April letzten Jahres) fand eine Zeremonie statt, bei der zum ersten Mal die Namen einiger Priester öffentlich erwähnt und an Bischof Joseph Ruzindana von Byumba erinnert wurde, der während der Zusammenstöße getötet wurde. Sie wurden als "Gerechte" bezeichnet und es wurde anerkannt, dass sie sich der Gewalt widersetzten und Leben gerettet haben."
(LA) (Fides 17/4/2021)


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