ASIEN/LIBANON - Pfarrer Guillaume Bruté de Rémur zum Papastbesuch: "Christen sollen Sauerteig des Zusammenlebens sein"

Samstag, 29 November 2025 papst leo xiv.   ortskirchen   ostkirchen   seminaristen   dialog   krisengebiete   mission  

Von Gianluca Frinchillucci

Beirut (Fides) – Im Libanon, der von einer verheerenden Wirtschaftskrise, politischer Instabilität und noch offenen Kriegswunden geprägt ist, hat der Besuch von Papst Leo XIV. für die christliche Gemeinschaft einen missionarischen Wert. Dies betont Pfarrer Guillaume Bruté de Rémur, ein französischer Priester, der seit vielen Jahren im Nahen Osten tätig ist und Rektor des Internationalen Seminars „Redemptoris Mater” im Libanon ist, einer Einrichtung, die junge Menschen aus verschiedenen Ländern und katholischen Kirchen unterschiedlicher Riten ausbildet und im Herzen eines mehrheitlich muslimischen Stadtteils von Beirut liegt
In einem Kontext, in dem viele junge Menschen und Familien mit die Auswanderung in Betracht ziehen versteht das Seminar den Besuch des Papstes als einen starken Aufruf zur Mission und zum Zeugnis. Pfarrer Guillaume sieht in den Zeichen, die diese Reise begleiten – angefangen bei der Wahl des Themas „Selig sind die Friedensstifter“ – eine Einladung, die Rolle der Christen als Sauerteig des Zusammenlebens in der multireligiösen libanesischen Gesellschaft wiederzuentdecken.


Pfarrer Guillaume, welche Bedeutung messen Sie dem Besuch von Papst Leo XIV. im Land der Zedern vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise, der politischen Instabilität und der noch offenen Kriegswunden bei?

Ich glaube, dass dies ein sehr wichtiger Besuch ist. Einige betrachten ihn als Erfüllung des Wunsches von Papst Franziskus, der mehrfach gesagt hatte, dass er in den Libanon kommen würde; und diese Gelegenheit gab es nicht mehr.
Ich denke, dass bereits vor der Wahl von Papst Leo im Vatikan ein besonderes Augenmerk auf die Lage im Libanon gerichtet war. Aber ich glaube, dass die Entscheidung des Papstes, seine apostolischen Reisen mit einer Reise in die Türkei, die mit dem Konzil von Nizäa verbunden ist, und einer Reise in den Libanon, die eher pastoraler und vor allem missionarischer Natur ist, zu beginnen, sehr bedeutsam ist.
Papst Leo hat für diese Reisen das Thema „Selig sind die Friedensstifter“ gewählt. Die Lage im Nahen Osten, der zutiefst destabilisiert ist und sich derzeit in einer Phase des Wiederaufbaus befindet, deren Ausgang ungewiss ist, liegt ihm sehr am Herzen. Die geopolitische Landkarte wird neu gezeichnet. Im Zentrum dieser Veränderungen kann der Papst die Christen an ihre Mission erinnern, die sie schon immer hatten: eine Präsenz zu sein, die das Zusammenleben in einer multikonfessionellen und multireligiösen Gesellschaft fördert. Seine Anwesenheit hier hat eine große Bedeutung, denn die Diaspora und der Verlust des Bewusstseins für ihre Mission seitens der Christen haben zur Destabilisierung dieser Region beigetragen.


Was sagt Ihrer Meinung nach die Entscheidung des Papstes aus, den Libanon zu einer der ersten Stationen seines Pontifikats zu machen?

Das hat eine sehr wichtige Bedeutung, denn der Libanon war schon immer ein Land, das verfolgte Glaubensgemeinschaften aufgenommen hat, nicht nur christliche. Als die Mamelucken die Schiiten verfolgten, flohen viele in die Berge; dasselbe gilt für die Drusen.
Der Libanon war schon immer ein Land der Aufnahme. Es ist von grundlegender Bedeutung, dieses Land als „Botschaft“ zu zeigen – ein Ausdruck, der von Johannes Paul II. geprägt wurde, der sagte: „Der Libanon ist mehr als ein Land, er ist eine Botschaft“. Und ich denke, dass der Papst genau diesen Aspekt hervorheben möchte, der für die Kirche so wichtig ist.


Wie haben die Seminaristen die Nachricht vom Besuch des Papstes aufgenommen? Was erwarten sie sich von dieser Reise für ihren Berufungsweg und für die Zukunft der Kirche im Libanon?

Wir alle – aber insbesondere die Seminaristen – sind sehr glücklich und fühlen uns geehrt über diese erste Reise des Papstes. Ich fand es sehr bedeutungsvoll, und auch unsere Priester haben dies bemerkt, dass die erste Audienz, die Papst Leo nach seiner Amtseinführung abgehalten hat, dem Jubiläum der Ostkirchen gewidmet war. Einige unserer Priester waren in Rom und haben daran teilgenommen: Auch dies erschien uns als ein Zeichen der Vorsehung.
In diesem Jahr jährt sich die Gründung unseres Seminars zum dreißigsten Mal. Es ist ein wichtiges Jubiläum, und der Papst kommt genau am 30. November in den Libanon, dem Tag der Unterzeichnung des Dekrets zur Errichtung des Seminars und dem Festtag des Heiligen Andreas, dem Heiligen des Orients. Auch dies hat einen großen symbolischen Wert.
Die Seminaristen sind begeistert: Sie empfinden den Besuch des Papstes als Bestätigung ihrer Berufung und ihrer Anwesenheit hier. Natürlich erwarten sie ein Wort vom Heiligen Vater. Die erste öffentliche Begegnung des Papstes im Libanon wird ein Treffen mit Seminaristen, Klerikern und Ordensleuten sein, und sie sind sehr glücklich, dabei zu sein.


Wird der Besuch des Papstes den Christen, die oft an Auswanderung denken, helfen, in ihrer Heimat zu bleiben?

Die Möglichkeit, in der eigenen Heimat zu bleiben, besteht immer: Das Leben ist eine Frage der Entscheidungen. Es ist ganz natürlich, dass der Mensch nach besseren Lebensbedingungen strebt, und heute ist die Versuchung zur Auswanderung sehr groß, vor allem in einem Krisenland wie dem Libanon.
Die Worte des Papstes sind sehr wichtig, weil sie die Christen daran erinnern, dass Christsein nicht nur eine Zugehörigkeit oder ein Glaubensbekenntnis ist, sondern dass man dazu berufen ist, sein Leben als Zeugnis zu leben. Im Griechischen bedeutet Zeugnis Martyrium: Wir sind nicht alle zum Martyrium berufen, aber wir sind zur Mission berufen.
Die wahre Entwicklung unserer Person verwirklicht sich in der Erfüllung der Mission, für die wir von Gott geschaffen und berufen wurden. Inmitten der Schwierigkeiten sehe ich junge Menschen und Familien, die sagen: „Wir haben hier eine Mission“, und das überwindet Schwächen und Mühen.
Das ist eines der wichtigsten Dinge, die der Papst bewirken kann: zu bestätigen, dass die Mission der Kirche nicht nur Bildung oder Hilfe ist, so grundlegend diese auch sein mögen, sondern durch ihre bloße Anwesenheit im Nahen Osten das Bewusstsein für die Mission zu vermitteln.


Erwartet man vom Papst eher eine Botschaft des Trostes, der Bekehrung oder ein prophetisches Wort, das das Gewissen wachrüttelt?

Ich denke, dass es heute von grundlegender Bedeutung ist, das Gewissen zu aufzurütteln: Das ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, und hier im Libanon gilt das umso mehr.
Krieg lähmt immer das Gewissen: Er lässt Dinge zu, die normalerweise inakzeptabel sind, und so gewöhnt sich das persönliche Gewissen daran. Deshalb hoffe ich, dass der Papst an die Elite des Landes einen Aufruf zur Umkehr richtet. Es ist wichtig, das Gewissen zu wachzurütteln, damit der Libanon das bleibt, was er war und was er noch sein kann: ein Ort, an dem das Zusammenleben möglich ist und an dem Unterschiede zu einem Reichtum werden.


Welche konkrete Verpflichtung sehen Sie für Ihr Seminar und die Kirche im Libanon für die Zeit nach dem Besuch des Papstes?

Wir bereiten bereits die Zeit danach vor. Wir organisieren ein Berufungstreffen mit Bischöfen, Jugendlichen und Familien, um zum Priesterleben, zum geweihten Leben und zur Evangelisierung auch in den Familien aufzurufen. Für uns ist die Mission von wesentlicher Bedeutung.
Heute gibt es im Libanon einen großen Durst nach einer missionarischeren Kirche. Nach dem Besuch des Papstes müssen wir die Seminaristen in die Seelsorge einbeziehen, persönlichere Beziehungen zu den Menschen aufbauen und unsere Präsenz bedeutungsvoller gestalten.
Wir hoffen auch, das Bauprojekt des Seminars abschließen zu können, das durch Kriege und die Wirtschaftskrise verzögert wurde. Unsere Präsenz an der Grenze zwischen christlichem und muslimischem Viertel ist ein wichtiges Zeichen. Ich glaube, dass dies wirklich von grundlegender Bedeutung ist.
(Fides 29/11/2025)


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