AFRIKA/ÄTHIOPIEN - Kardinal Souraphiel: “Wir brauchen Bildungschancen für junge Menschen“

Freitag, 5 Juli 2024 ortskirchen   kriege   Ökumene   wirtschaft  

Addis Abeba (Fides) - "Es gibt mehrere Konflikte in Äthiopien, aber wir verlieren nie die Hoffnung", sagt Kardinal Berhaneyesus Demerew Souraphiel, Metropolitan-Erzbischof von Addis Abeba, im Interview mit Fides.

Eure Eminenz, in Äthiopien gibt es mehrere interne Konflikte. Was sind die Folgen für die Bevölkerung?

Äthiopien ist mit mehreren Konflikten konfrontiert, die den betroffenen Menschen großes Leid zufügen. Vor zwei Jahren hatten wir den Krieg in Tigray, der jetzt mit einem in Pretoria in Südafrika unterzeichneten Friedensvertrag beendet wurde. Aber auch in der Region Oromia im Südosten des Landes herrscht seit vier Jahren Krieg, in dem unter den Oromo viele Menschen getötet und viele andere zur Flucht gezwungen wurden, vor allem die in Oromia lebende Bevölkerung aus dem Volk der Amhara. Dieser Konflikt dauert noch an, aber die äthiopische Bundesregierung und die Oromo-Befreiungsarmee haben in Tansania Gespräche aufgenommen. Sie haben sich bereits zweimal getroffen, konnten aber bisher keine Einigung erzielen.

Der Bedarf an humanitärer Hilfe in Oromia ist sowohl für die Vertriebenen als auch für die Zurückgebliebenen, die unter den Folgen des vierjährigen Krieges leiden, sehr groß. Dasselbe geschieht seit anderthalb Jahren in der Region Amhara, wo Kämpfe zwischen der Bundesregierung und der FANO (eine Amhara-Miliz, Anm. d. Red.) ausgebrochen sind. Wir hoffen, dass sie ein vermittelndes Land finden werden, in dem sie miteinander reden und so den Krieg beenden können. Schließlich gibt es hier und da auch lokale Konflikte in anderen Teilen des Landes, aber die Hauptkonflikte sind in Tigray, Amhara, Afar und Oromia.
Die katholische Kirche versucht über das Netzwerk von „Caritas Internationalis“, so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Wie Sie wissen, ist die katholische Kirche in Äthiopien eine kleine Realität, aber sie versucht, so viele Vertriebene und Menschen, die an den Kriegsschauplätzen leben, wie möglich zu erreichen, um ihnen Hilfe anzubieten.

Neben den körperlichen Wunden gibt es auch seelische und geistige Wunden. Was kann man tun, um sie zu heilen?

Jeder Krieg hinterlässt viele Menschen, die nicht nur körperlich, sondern auch seelisch und geistig betroffen sind. Neben den kämpfenden Soldaten sind viele von ihnen Frauen, Kinder und ältere Menschen. Die Kirche möchte ihre Hilfe im sozialen, psychologischen und spirituellen Bereich sowie bei der Traumabewältigung anbieten. Besondere Aufmerksamkeit muss den Kindern und ihren Müttern geschenkt werden; ich erinnere daran, dass viele Kinder nicht zur Schule gehen können, weil mehrere Schulgebäude zerstört wurden. Besondere Aufmerksamkeit muss auch den weiblichen Opfern von Vergewaltigungen zuteilwerden.
Die Traumabehandlung beginnt auf Dorfebene und geht dann weiter bis zur Bezirks-, Zonen- und Regionsebene. Deshalb schulen wir unser gesamtes religiöses Personal, Männer und Frauen, sowie Seminaristen und Katecheten, um in diesem Bereich Hilfe zu leisten. Das ist eine sehr wichtige Maßnahme.

Trägt der ökumenische und interreligiöse Dialog zum Bemühen um Frieden bei?

Die katholische Kirche ist Gründungsmitglied des Interreligiösen Rates von Äthiopien, in dem alle Konfessionen, Christen und Muslime, zusammenarbeiten, insbesondere im Bereich der Versöhnung und der Heilung von Kriegstraumata, die Zeit brauchen, um wirksam zu werden, sowie bei der humanitären Hilfe (Verteilung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und lebensnotwendigen Gütern). Im Rahmen des Interreligiösen Rates von Äthiopien arbeiten wir mit dem Patriarchen und der Synode der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche sowie mit dem Islamischen Rat von Äthiopien auf nationaler und lokaler Ebene zusammen. Wir arbeiten auch mit dem Evangelischen Äthiopischen Rat, den Adventisten und anderen zusammen. Durch die Zusammenarbeit im humanitären Bereich sind wir in der Lage, auf nationaler Ebene, wo wir von der Bundesregierung anerkannt wurden, effektiver zu arbeiten.

Was erhoffen Sie sich für Äthiopien?

Es gibt immer Hoffnung. Äthiopien ist ein sehr altes christliches Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung christlich ist. Äthiopien ist nicht erst vor 50 Jahren entstanden, sondern kann auf eine mindestens dreitausendjährige Geschichte der friedlichen Koexistenz zwischen den Religionen zurückblicken. Juden, Christen und Muslime haben jahrhundertelang friedlich zusammengelebt, und wir wollen das auch weiterhin tun.
Auf der anderen Seite gibt es mehrere trennende Faktoren. Einer davon ist der ethnische Föderalismus. Föderalismus ist ein gutes System, aber wir glauben, dass es nicht auf ethnischer Zugehörigkeit oder Sprache basieren sollte.
Geopolitisch gesehen ist Äthiopien ein wichtiges Land. Zurzeit haben wir 120 Millionen Einwohner; in Afrika ist Äthiopien nach Nigeria das bevölkerungsreichste Land. Siebzig Prozent der Bevölkerung sind junge Menschen, die ihr Land lieben, aber aufgrund von Armut und Konflikten gezwungen sind, auszuwandern. Viele gehen in den Nahen Osten und nach Südafrika, einige nach Libyen und versuchen von dort aus, Europa zu erreichen. Als katholische Kirche glauben wir, dass dies keine Lösung ist. Wir müssen junge Menschen für Berufe in ihrem eigenen Land ausbilden, so dass sie, auch wenn sie ins Ausland gehen, gut bezahlt und respektiert werden. Wir bitten alle, uns bei der Ausbildung unserer jungen Menschen zu helfen.
Das gesamte Horn von Afrika braucht Menschen mit beruflichen Qualifikationen. Äthiopien befindet sich jedoch in einem wirtschaftlichen Aufschwung, und es gibt Produktionsbetriebe, die jetzt die Vorteile des Stroms aus dem großen Staudamm („Grand Ethiopian Renaissance Dam“, Anm.d.R.) nutzen können. Wir brauchen Frieden, Bildung und Investitionen, um unsere Industrie zu stärken und Produkte zu exportieren, deren Erlöse in die nationale Wirtschaft reinvestiert werden können, um mehr Fabriken zu gründen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
(L.M.) (Fides 5/7/2024)


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