MISSIONSKONFERENZ - Kardinal Tagle: Die Missio “ad gentes” in der heutigen Zeit

Sonntag, 5 Oktober 2025 mission   evangelisierung   dikasterium für evangelisierung   päpstliche missionswerke   kardinal tagle  

Von Cardinale Luis Antonio G. Tagle

Rom (Fides)- Am Nachmittag des 4. Oktober fand in der Aula Magna der Päpstlichen Universität Urbaniana eine im Rahmen des Jubiläums der Missionare und der Migranten vom Dikasterium für die Evangelisierung (Sektion für die Erstevangelisierung und die neuen Teilkirchen) und den Päpstlichen Missionswerken organisierte Konferenz fand statt.
Kardinal Luis Antonio Gokim Tagle, Pro-Präfekt des Dikasteriums für die Evangelisierung (Sektion für die Erstevangelisierung und die neuen Teilkirchen), sprach anlässlich der Internationalen Missionskonferenz zum Thema „Die Missio ad Gentes heute: Aufbruch zu neuen Horizonten“. Wir veröffentlichen den Vortrag im Wortlaut.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, liebe Missionare des Evangeliums, im Namen des Dikasteriums für die Evangelisierung, der Sektion für die Erstevangelisierung und die jungen Teilkirchen, der Päpstlichen Universität Urbaniana und der Päpstlichen Missionswerke heiße ich euch herzlich willkommen zu diesem Internationalen Missionstreffen anlässlich des Jubiläums der Welt der Mission und der Migranten, das heute und morgen gefeiert wird. Es ist angebracht und notwendig, gemeinsam nachzudenken, einander zuzuhören und synodal voneinander zu lernen, während wir uns mit dem Thema „Die Missio ad Gentes heute: Aufbruch zu neuen Horizonten” befassen. Lassen wir uns in dieser Jubiläumsfeier von der theologischen Tugend der Hoffnung neue Horizonte aufzeigen.
Das Erkennen neuer Horizonte in der „Missio ad gentes“ muss regelmäßig in den Ortskirchen, den nationalen und kontinentalen Bischofskonferenzen, den Missionsgesellschaften, den Instituten des geweihten Lebens, den Laienverbänden und den kirchlichen Bewegungen stattfinden. Das Zweite Vatikanische Konzil hat bereits im Dekret „Ad gentes“ über die Missionstätigkeit der Kirche gesagt: „Bei dieser missionarischen Tätigkeit der Kirche treten verschiedene Bedingungen zuweilen nebeneinander auf: zunächst solche des Neubeginns oder Pflanzens, dann solche der Neuheit oder Jugend. Sind diese vorüber, so endigt dennoch die missionarische Tätigkeit der Kirche nicht. Vielmehr obliegt den inzwischen konstituierten Teilkirchen die Pflicht, sie fortzusetzen und das Evangelium den einzelnen zu verkündigen, die noch draußen stehen. Überdies ändern sich die Gemeinschaften, innerhalb deren die Kirche besteht, aus verschiedenen Ursachen nicht selten von Grund auf, so dass völlig neue Bedingungen auftreten können. Dann muss die Kirche erwägen, ob diese Bedingungen ihre missionarische Tätigkeit neuerdings erfordern (AG 6)“.
In dieser einführenden Ansprache werde ich einige Überlegungen anstellen, insgesamt drei, die dazu beitragen könnten, den missionarischen Geist zu beleben und die Imagination anzuregen. Erwarten Sie keine umfassende akademische Abhandlung. Ich möchte nur mit Ihnen „laut denken”. Ich werde versuchen, das vor sechzig Jahren verkündete Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Missionstätigkeit der Kirche „Ad gentes“ mit einigen unserer bedeutenden Erfahrungen in einen Dialog zu bringen.

Erster Punkt. Mission und konkrete Katholizität

Meiner Meinung nach verdient dieses Thema, das das Konzilsdokument „Ad gentes“ durchzieht, mehr Aufmerksamkeit, als es bisher erhalten hat. Die Sendung des Sohnes Jesus Christus und des Heiligen Geistes hat den Willen des Vaters zur universellen Erlösung offenbart. Die Jünger Christi, beseelt vom Heiligen Geist, gingen in die Mission, um allen Menschen, allen Völkern das Evangelium zu bringen. In den Gemeinschaften und Völkern, die das Evangelium annehmen, entsteht die Kirche. Die christliche Mission verdeutlicht die Universalität des Heilsangebots und die Katholizität der Kirche. Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch, weil sie zugleich Frucht der Mission und Trägerin der Mission ist.
Wenn wir von der Katholizität der Kirche im Zusammenhang mit der Universalität ihrer Mission sprechen, handelt es sich nicht um ein bloßes Konzept oder ein romantisches Ideal. Gemäß „Ad gentes“ ist die katholische Gemeinschaft konkrete Katholizität, die konkrete Völker umfasst, die in konkreten Kulturen, mit konkreter Geschichte, konkreten Stärken, Schwächen und Grenzen leben, aber im einen Glauben vereint sind. In AG 4 lesen wir: „(Am Pfingsttag) wurde die Vereinigung der Völker in der Katholizität des Glaubens vorausbezeichnet, die sich durch die Kirche des Neuen Bundes vollziehen soll, welche in allen Sprachen spricht, in der Liebe alle Sprachen versteht und umfängt und so die babylonische Zerstreuung überwindet“. Die gleiche Wahrheit wird in AG 15 dargelegt: „Die aus allen Völkern in der Kirche versammelten Christgläubigen unterscheiden sich nicht von den übrigen Menschen durch Staatsform, Sprache oder Gesellschaftsordnung. Darum sollen sie in den ehrbaren Lebensgewohnheiten ihres Volkes für Gott und Christus leben. Als gute Bürger sollen sie die Vaterlandsliebe wahrhaft und tatkräftig üben. Missachtung fremder Rassen und übersteigerten Nationalismus aber sollen sie gänzlich meiden und die alle Menschen umfassende Liebe pflegen“.
Ich glaube, dass die Mission „ad gentes“ eine Schwelle ist, um die universelle Gemeinschaft in und durch die konkrete Katholizität zu leben. Wir sehen in den Gesellschaften und Ortskirchen eine neue Wertschätzung ihres lokalen Charakters, der sie als einzigartige Völker auszeichnet. Aber wir sind nicht blind gegenüber der ideologischen Tendenz, die Einzigartigkeit eines Volkes im Gegensatz zur Einzigartigkeit anderer Völker zu betonen. Die Vielfalt wird zum Grund für Spaltung statt für gegenseitige Bereicherung. Das Lokale kann zur Isolation führen. Wir sind zurück in Babel. Wir sind umgeben von unzähligen nationalen und internationalen Konflikten. Leider haben diese destruktiven Tendenzen auch Einzug in einige Ortskirchen gehalten. Manchmal haben ethnische Zugehörigkeit, Kastenzugehörigkeit und nationale Identität einen stärkeren Einfluss als das Evangelium der universellen Liebe und Geschwisterlichkeit. Eine erneuerte missionarische Tätigkeit sollte das Gute und Wahre in den lokalen Kulturen im Einklang mit dem Evangelium hervorheben und gleichzeitig demütig offen sein für die Reinigung durch den Heiligen Geist von dem, was in unseren Kulturen falsch ist. Aus kultureller Sicht kann sich keine Ortskirche aufgrund falscher Überlegenheit oder falscher Unterlegenheit von anderen Ortskirchen trennen. Alle Kulturen müssen durch die Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist gereinigt und auf das Evangelium Jesu ausgerichtet werden. Die Ortskirchen erkennen ineinander den Glauben der einen katholischen Kirche an den einen Herrn, den einen Geist, das eine Evangelium, die eine Eucharistie und das eine apostolische Amt, das sich jedoch in unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten und Ausdrucksformen konkretisiert. Die Zusammenarbeit zwischen einheimischen und ausländischen Missionaren innerhalb derselben Ortskirche konkretisiert die katholische Gemeinschaft der Ortskirchen. Die missionarische Zusammenarbeit zwischen den Ortskirchen durch Gebet, missionarische Animation und karitative Beiträge (insbesondere im Monat der Weltmission im Oktober und am Weltmissionssonntag) ist gelebte Katholizität. Der Horizont der Geschwisterlichkeit in der Welt verengt sich. Die christliche Mission sollte den Horizont der Gemeinschaft erweitern.

Zweiter Punkt. Die Mission als Offenbarung des göttlichen Heilsplans

Viele Bischöfe in Missionsgebieten werden am Fest der Erscheinung des Herrn zu Bischöfen geweiht.
Das Fest der Erscheinung des Herrn wurde schon immer mit der universalen Mission der Kirche in Verbindung gebracht. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt in „Ad gentes“ 9, warum: „Die Missionstätigkeit ist nichts anderes als die Manifestation, d. h. die Offenbarung und Verwirklichung des göttlichen Plans in der Welt und in der Geschichte: Mit ihr führt Gott die Heilsgeschichte eindeutig zu ihrem Ziel.“ „Missionarische Tätigkeit ist nichts anderes und nichts weniger als Kundgabe oder Epiphanie und Erfüllung des Planes Gottes in der Welt und ihrer Geschichte, in der Gott durch die Mission die Heilsgeschichte sichtbar vollzieht“. Die Mission ist ein Moment der Epiphanie, eine Manifestation Gottes und seiner Liebe.
Aber es gibt noch eine weitere wichtige Epiphanie, die sich in der Mission ereignet. Gemäß „Ad gentes“ 8: „Auch zu der menschlichen Natur und ihren Strebungen steht die missionarische Tätigkeit in enger Verbindung. Eben dadurch nämlich, dass sie Christus verkündet, offenbart die Kirche zugleich dem Menschen die ursprüngliche Wahrheit dessen, was es um ihn ist und worin seine volle Berufung liegt. Christus ist ja Ursprung und Urbild jener erneuerten, von brüderlicher Liebe, Lauterkeit und Friedensgeist durchdrungenen Menschheit, nach der alle verlangen.“
In einer Zeit, in der auch einige Gläubige der Notwendigkeit der Mission gegenüber zurückhaltend sind und einige soziale Institutionen die Mission als eine Auferlegung von Überzeugungen betrachten, die die Freiheit und Identität der Menschen zerstören, müssen wir die „epiphanische” Dimension der Mission wiederentdecken. Es handelt sich um einen Horizont voller Möglichkeiten, aber auch voller Herausforderungen. Wie engagiert sich die Kirche in der Mission? Was stellen wir dar? Was sehen und hören die Menschen? Sehen die Menschen durch unser missionarisches Engagement das Antlitz Gottes und das Antlitz der wahren Menschheit in Jesus?
Die Kirche ist auch aufgerufen, aufmerksam zu sein für die Möglichkeiten der „missio ad gentes“, die der Heilige Geist durch viele „Epiphanien” aufzeigt. Ich möchte einige Beispiele nennen. Wenn die „Missio ad gentes“ darin besteht, zu den Völkern und Nationen zu gehen, um ihnen das Evangelium zu bringen, dann schauen wir auf die Menschen, die in andere Länder gehen oder ständig unterwegs sind. Es gibt Millionen von Migranten, darunter viele Christen, die auf der Suche nach einem sichereren und friedlicheren Leben sind.
Die Migration ist eine Offenbarung missionarischer Tätigkeit. Zum Beispiel hat mich Bischof Paolo Martinelli im Dezember für zwei Tage eingeladen, um in Dubai und Abu Dhabi die Messe zu feiern, die Teil der in Südamerika und auf den Philippinen sehr verbreiteten Novene zur Vorbereitung auf Weihnachten ist. Denn neun Tage lang nehmen in Dubai täglich 30.000 Migranten an der Messe teil.
Fast alle sind Filipinos. Und in Abu Dhabi gehen täglich 16.000 Menschen zur Messe. Alle sind Migranten. Das ist eine Offenbarung. Sie sind Missionare.
Es gibt mehr als hundert Millionen Flüchtlinge, die in verschiedenen Teilen der Welt fliehen, umherirren und sich verstecken. Jeden Tag überqueren Millionen von Seeleuten, Fischern und Touristen internationale Grenzen. Wälder werden abgeholzt, Hügel stürzen ein, Flüsse sind verschmutzt, Fluten fließen aus den Bergen und bedecken Städte und Dörfer, verschmutzte Luft gelangt aus der Atmosphäre in die Lungen der Menschen; Kriegswaffen fliegen hoch und weit, um ganze Dörfer auszulöschen. Soziale Medien, Internet, Web und digitale Technologie dringen in alle Bereiche der Gesellschaft ein und formen Gedanken und Gewissen neu. Die Schöpfung bewegt sich in Qualen und stöhnt in Erwartung der Offenbarung der Freiheit der Kinder Gottes. Sehen wir, was Gott offenbart? Sehen wir die neuen Propheten, die das Antlitz Gottes und das Antlitz der heutigen Menschheit offenbaren? Sehen wir neue Missionare, die der Herr aussendet und die ständig unterwegs sind? Sind wir schnell dabei, uns über den Mangel an Berufungen zu beklagen, aber langsam darin, die Offenbarung neuer Berufungen zu sehen?

Dritter Punkt. Missionswissenschaftliche Studien

Das Zweite Vatikanische Konzil erkennt die besondere Berufung derjenigen an, die zur Mission berufen sind, insbesondere in „Ad gentes“ 23: „Denn durch eine besondere Berufung sind diejenigen gezeichnet, die, im Besitz der erforderlichen natürlichen Anlagen, nach Begabung und Charakter geeignet sind, die Missionsarbeit auf sich zu nehmen, seien es Einheimische oder Auswärtige: Priester, Ordensleute oder Laien“.
Jede Gabe Gottes muss anerkannt, gepflegt und für den Dienst, den diese Gabe leisten soll, vorbereitet werden. Aus diesem Grund fordert das Zweite Vatikanische Konzil eine solide und umfassende Ausbildung für Missionare „ad gentes“. Sie sollten genauso gut vorbereitet sein wie diejenigen, die in anderen Diensten der Kirche tätig sind, wenn nicht sogar besser. Ich zitiere aus „Ad gentes“ 26: „Vor allem soll der künftige Missionar sich mit missionswissenschaftlichen Studien befassen, das heißt, er soll die Lehre und die Grundsätze der Kirche bezüglich der Missionstätigkeit kennen; er soll wissen, welche Wege die Boten des Evangeliums im Lauf der Jahrhunderte gegangen sind; er soll die gegenwärtige Missionssituation kennen und die Methoden, die heutzutage als besonders erfolgreich gelten“. Und in Ad gentes 34 heißt es: „Eine sach- und ordnungsgemäße Ausübung der missionarischen Tätigkeit verlangt eine wissenschaftliche Vorbereitung der Missionare auf ihre Aufgaben, vor allem auf den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen und Kulturen. Diese wird ihnen bei der tatsächlichen Durchführung ihrer Arbeit eine wirksame Hilfe bedeuten. Darum ist es wünschenswert, daß wissenschaftliche Institute, die Missiologie und andere den Missionen dienliche Fachgebiete und Wissenschaften, wie Ethnologie und Sprachkunde, Religionsgeschichte und Religionswissenschaft, Soziologie, Pastoralwissenschaft und ähnliches, betreiben, zum Wohl der Missionen untereinander brüderlich und großzügig zusammenarbeiten“.
Sechzig Jahre nach der Veröffentlichung von „Ad gentes“ habe ich den Eindruck, dass einige katholische Bildungseinrichtungen aus verschiedenen Gründen den missionswissenschaftlichen Studien nicht den Stellenwert einräumen, den ihnen das Zweite Vatikanische Konzil zugedacht hatte. Das ist mein Eindruck. Wenn die Kirche jedoch ihrem Wesen nach missionarisch ist, dann sollte die spirituelle, menschliche, pastorale und intellektuelle Vorbereitung auf die Mission eine natürliche Priorität sein, insbesondere wenn man das sich wandelnde missionarische Terrain unserer heutigen Welt betrachtet. Ich würde sogar sagen, dass alle kirchlichen Disziplinen einen missionarischen pastoralen Impuls haben sollten, da die Kirche ihrem Wesen nach missionarisch ist...
Im Rahmen der Reform der Römischen Kurie von 2022 wurde gemäß der Apostolischen Konstitution „Praedicate Evangelium” das neue Dikasterium für die Evangelisierung mit zwei Sektionen geschaffen. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils hieß es Kongregation für die Glaubensverbreitung. Ad gentes 29 sagt: „Für alle Missionen und die gesamte missionarische Tätigkeit soll nur eine einzige Kongregation zuständig sein, nämlich die “Zur Verbreitung des Glaubens”; ihr steht es zu, die missionarischen Belange auf der ganzen Welt, die Missionsarbeit und die Missionshilfe, zu leiten und zu koordinieren, unbeschadet jedoch des Rechtes der Orientalischen Kirchen“.
Das Dikasterium für die Evangelisierung, die Sektion für die Erstevangelisierung und die neuen Teilkirchen, erneuert zusammen mit der Päpstlichen Universität Urbaniana und den ihr angeschlossenen kirchlichen Fakultäten, den vier Päpstlichen Missionswerken und den Päpstlichen Kollegien, für die das Dikasterium zuständig ist, sein Engagement für den Auftrag, den es vom Zweiten Vatikanischen Konzil erhalten hat, insbesondere durch die Förderung solider missionswissenschaftlicher Studien, die sich mutig und kreativ mit den neuen Horizonten der Missio „ad gentes“ von heute auseinandersetzen.
(Fides 5/10/2025)


Teilen: