Von Monica Poletto
Bogotá (Fides) – Im Süden von Bogotá, in einem einstigen Wohnviertel der Mittelschicht, liegt das „Barrio San Bernardo“, wo sich die Pfarrei „Nuestra Señora de los Dolores“ befindet. Hier ist der junge Pfarrer Juan Felipe Quevedo tätig und vor einigen Monaten zog auch Pfarrer Carlos Olivero, für alle Pfarrer Charly, hierher.
Pfarrer Charly kam nach Bogotá, um sich am Hauptsitz des Rates der Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen (Consiglio Episcopal Latinoamericano y Caribeño, CELAM) um die Entwicklung von Hilfsangeboten für Menschen in Randgruppen und Abhängigkeitssituationen in Lateinamerika zu kümmern. Diese Hilfsprogramme basieren auf der Gemeinschaftsmethode, die dem Netzwerk „Familia Grande Hogar de Cristo“ am Herzen liegt, das sich in Argentinien aus den Erfahrungen der „Curas Villeros” entwickelt hat, Priestern, die in den Armenvierteln Villas Miseria von Buenos Aires tätig waren.
Das Barrio San Bernardo in Bogotá hat sich im Laufe der Zeit zum wichtigsten Drogenumschlagplatz der Stadt entwickelt, mit Straßen voller Drogenabhängiger, Obdachloser und Verwahrloster, scheinbar identitätsloser Menschen, die Tag und Nacht Drogen verlangen und anbieten. Das Barrio hat sein Gesicht so radikal verändert, als die Menschen, die in einem armen Nachbarviertel lebten, zwangsgeräumt wurden, um Platz für ein großes Stadtentwicklungsprojekt zu schaffen. Eine riesige Masse von Obdachlosen zog daraufhin nach San Bernardo.
„In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte die Stadt Bogotá tiefgreifende demografische Veränderungen, die ihre Grenzen erweiterten und ihre städtische Struktur veränderten“, berichtet Pfarrer Juan Felipe, „Diese Prozesse führten zu einer geografischen Trennung zwischen Produktions- und Wohngebieten und schufen Stadtteile mit komplexen sozialen Problemen, wie unser Barrio San Bernardo“.
Auf dem Platz, an den die Pfarrkirche grenzt, hört man – wie einen unaufhörlichen Hintergrundlärm – Rufe, die die Verfügbarkeit immer neuer Drogen ankündigen oder die Ankunft der Polizei melden.
Überall sieht man Obdachlose, deren Haut vom Leben auf der Straße und von den Drogen gezeichnet ist, die sich vorwärts schleppen, um sich dann auf den mit Schmutz und Schlamm bedeckten Straßen fallenzulassen.
„Der rasante Anstieg der Zahl der Obdachlosen in unserer Gegend“, fährt Pater Felipe fort, „hat die sozialen Konflikte verschärft und das tägliche Leben im Viertel verändert, indem er Probleme wie Schulabbruch, Raubüberfälle und die Festigung krimineller Gruppen verschärft hat“.
„Die Beziehungen zwischen den traditionellen Einwohnern und den Obdachlosen sind konfliktreich geworden, und das Gemeinschaftsgefühl ist getrübt. Der andere wird nicht mehr als Mensch, als Teil der Gemeinschaft anerkannt, sondern als Bedrohung. Die physische Verwahrlosung und die Müllberge auf den Straßen tragen zum Verlust der Hoffnung der Einwohner bei“, betont der Priester. Der Name „Sanber“ werde mittlerweile von allen mit Gewalt und Ausgrenzung assoziiert.
Pater Charly ist an Orte des Leidens und der Marginalisierung gewöhnt, da er sein gesamtes Priesterleben vor seiner Ankunft in Bogota in den argentinischen „Villas Miseria“ verbracht hat, „unter Menschen, die völlig am Ende sind, auf der Straße leben, Hunger leiden, alle ihre Bindungen abgebrochen haben und sehr viel Drogen konsumieren“. Das, was er hier vorgefunden hat, gehe jedoch noch darüber hinaus. „Hier ist die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, beeindruckend. Eine Studie spricht von 5000 Menschen in einem einzigen Stadtteil. Eine so große Zahl, dass es schwierig ist, sich irgendeinen Lösungsansatz vorzustellen“, bekräftigt er, „Hier sieht man, dass es keine Antwort seitens des Staates oder der Zivilgesellschaft gibt. Man spürt eine so große Ohnmacht, dass Hoffnung schwer fällt“.
Wenn Pfarrer Charly, Pfarrer Felipe und einige Gemeindemitglieder hinausgehen, um Essen zu verteilen, rennen die Menschen herbei, weil sie Hunger haben. „Es ist herzzerreißend“, fährt Pfarrer Charly fort, „eine so dringende Angelegenheit, dass man genau dort ansetzen muss. Mit der Verteilung von Brot“.
Aber neben dieser Dringlichkeit muss auch die gesamte Gemeinde einbezogen werden, die sich von der enormen Zahl „gebrochener“ Menschen, die mit Drogen handeln und das Viertel unbewohnbar machen, erdrückt fühlt. Für Pfarrer Charly „muss ein Bewusstsein geschaffen werden, damit die Menschen, die seit jeher hier leben, verstehen, dass die Obdachlosen Brüder und Schwestern sind; dass es auch uns oder unseren Kindern passieren könnte und dass es angebracht ist, menschlich auf dieses Drama zu reagieren; dass unsere Aufgabe nicht die sozialen Antworten des Staates sind, sondern dass es unsere Aufgabe ist, Brücken zu bauen“.
„Die christliche Hoffnung, so lehrt uns die biblische Tradition, ist keine Flucht aus der Gegenwart, sondern eine transformierende Kraft“, fährt Pfarrer Felipe fort, „Wir leben in der Gewissheit, dass die Liebe Gottes uns auch inmitten der Finsternis trägt und begleitet. Die christliche Hoffnung ist im Wesentlichen gemeinschaftlich, nicht individualistisch oder isoliert. Eine der Herausforderungen unserer Zeit ist die Reduzierung der Hoffnung auf eine private Erlösung, losgelöst vom Leiden der Menschen. Aber es ist das leidende Antlitz Christi, dem wir unter den Ausgestoßenen unseres Barrios begegnen. Er wartet nicht darauf, dass sie geheilt sind, um sich ihnen zu nähern, und er schämt sich nicht, sich ihnen zu nähern.“
Deshalb „möchte unsere Gemeinde immer mehr ein Ort der radikalen Aufnahme sein, an dem Zuneigung und Geduld die Menschen in ihren Prozessen begleiten. Hoffnung besteht nicht darin, das Drama der Abhängigkeiten zu leugnen, sondern zu bekräftigen, dass kein Abgrund tiefer ist als die Barmherzigkeit“.
Dieser Raum soll auch physisch sein. „Nicht nur eine Dienstleistung“, sagt Pater Charly, „sondern ein Ort der Begegnung. Das ist sehr wichtig, denn durch die Begegnung verändert sich der Mensch. Wir bekehren uns, wenn wir beginnen zu entdecken, wie der andere sieht, wie er fühlt, was mit ihm geschieht, was er leidet. Dieser physische Raum, den wir zu schaffen begonnen haben, wird uns den Weg weisen, und es ist von grundlegender Bedeutung, dass es ein Ort ist, an den sowohl die am meisten ‚gebrochenen‘ Menschen, die die Straßen des Barrios bevölkern, als auch die anderen Menschen der Gemeinsde kommen können und diese Begegnung stattfindet. Wo die am meisten Gebrochenen sich waschen, medizinisch versorgen lassen und essen können; wo diejenigen, die es wollen, beginnen können, über den Ausstieg aus der Drogenabhängigkeit nachzudenken. Man kann Dienstleistungen anbieten, aber im Rahmen der Integration in die Gemeinschaft. Diese Menschen, die ‚die anderen‘ sind, werden Teil von uns. Denn wenn sich die Gemeinde öffnet, wenn sie diejenigen, die am meisten leiden, umarmt und aufnimmt, wächst sie, wird sie reicher, entdeckt sie Jesus und wird von seinem Segen angesteckt“.
Im „Barrio San Bernardo“ beginnt etwas Neues.
(Fides 2/10/2025)