VATIKAN - Historisches Erbe: Propaganda Fide wollte “den Glauben und nicht die westliche Kultur in die Welt tragen”

Samstag, 19 November 2022 mission   kongregation für die evangelisierung der völker   geschichte   kolonialismus  

von Gianni Valente
Vatikanstadt (Fides) - "Es gibt einen Aspekt in der 'Missionspolitik' von Propaganda Fide der nie vernachlässigt wurde: die gleichwertige Würde jeder Kultur und die Verpflichtung, die lokalen Sprachen zu verwenden und nicht die eigene aufzuzwingen. Die Notwendigkeit, den Glauben und nicht die westliche Kultur in die Welt zu tragen". Dieses charakteristische Merkmal, bezeichnet der Historiker Gianpaolo Romanato als einen der "genetischen Charakterzüge", die die Geschichte der Heiligen Kongregation "de Propaganda Fide" seit ihrer Gründung vor 400 Jahren geprägt haben. Der aus Venedig stammende Historiker und Professor für moderne und zeitgenössische Kirchengeschichte an der Universität Padua, hielt den abschließenden Vortrag bei der internationalen Konferenz "Euntes in mundum universum" zu ziehen, die anlässlich des vierhundertsten Jahrestages der Gründung der Propaganda Fide vom 16. bis 18. November an der Päpstlichen Universität Urbaniana stattfand (vgl. Fides 15 und 17/11/2022).
Mit seiner in vier Punkte gegliederten Rede untermauerte Romanato seine Überzeugung, die historischen Ereignisse der Propaganda Fide nicht als ein Relikt der Vergangenheit betrachtet werden sollten, und dass viele Erkenntnisse, die in vergangenen Epochen im Gefolge der Propaganda Fide entstanden sind, äußerst aktuelle Ansätze für die Gegenwart und die Zukunft der der Kirche anvertrauten Sendung enthalten. „In vielerlei Hinsicht", so Romanato, "stellen der Ansatz und die Vision, die der die heilige Kongregation ‚de Propaganda Fide‘ in der Vergangenheit ausgeübt hat, einen wertvollen Schatz dar, der die Arbeit des Dikasteriums für die Evangelisierung, das dazu berufen ist, das Erbe des großen Abenteuers der Propaganda Fide zu nutzen, konkret inspirieren kann.
In den Jahrhunderten, in denen der europäische Kolonialismus in die Welt vordrang und dabei die Idee der Überlegenheit Europas überall hin exportierte, was durch das berühmte kulturelle Stereotyp der "Bürde des weißen Mannes" veranschaulicht wurde, wurde bei Propaganda Fide“, so Romanato, "der entgegengesetzte Weg eingeschlagen. Es ging nicht um die Überlegenheit von irgendjemandem - des weißen Mannes, des Europäers, des Abendländers - sondern die Gleichheit und gleiche Würde aller". Davon zeugt auch der von der Propaganda Fide stets "fast wie ein Dogma", bekräftigte Grundsatz, dass der Missionar "die Landessprache lernen muss, so schwierig und weit entfernt sie auch sein mag". Denn "die Sprache des Gesprächspartners zu sprechen, ist der wichtigste Weg für ihn, sich als gleichwertig behandelt zu fühlen" und nicht auf einen Zustand der Unterwerfung reduziert zu werden.
„Propaganda Fide", betonte Romanato zu Beginn seiner Rede, "kann auch als die erste 'global agierende' Institution betrachtet werden“. "Die katholische Kirche und das Papsttum waren es auch", räumte der Professor ein, der seit 2007 Mitglied des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften ist, "aber gerade weil der Heilige Stuhl die Kontrolle und die Verwaltung der 'plantatio Ecclesiae' in den neuen Kontinenten (aufgrund der so genannten Patronatsrechte )an die spanischen Regierungen abtreten musste, wurde eine neue römische Institution geschaffen, um das Wachstum der neuen Kirchen zu unterstützen, so dass das an die europäischen Mächte abgetretene 'Patronat' umgangen werden konnte".
„Indem sie ihre Funktion ausübte", so Romanato, "wurde die Propaganda Fide auch zum Sammelpunkt eines außergewöhnlichen Stroms von Informationen aus aller Welt, womit sie in Rom von zentraler Bedeutung war“. Ein Informationsfluss, der auch mit der politischen und kulturellen Dynamik verbunden gewesen sei, die den "Zustand der Welt" bedingte, und all dies sei geschehen, lange bevor ähnliche Prozesse in den großen Hauptstädten der Kolonialreiche (Paris, Lissabon, Madrid, London) oder in den großen internationalen Organisationen wie dem Völkerbund oder der UNO in Gang gesetzt wurden. „Außerdem", so der Professor, "stellen auch heute noch supranationale Institutionen den Kontakt zwischen den politischen Regierungen der verschiedenen Nationen her, während die Informationsflüsse, die jahrhundertelang im Rahmen der Arbeit der Propaganda Fide in Gang gesetzt wurden, nicht darauf abzielten, die "hohe Politik" zu verwalten, sondern sich mit Fragen des täglichen Lebens, der täglichen Existenz der Menschen und Gemeinschaften zu befassen“.
Die Kongregation „de Propaganda Fide“ sah sich bei der Ausübung ihrer Aufgaben auch unmittelbar mit der gewaltigen Aufgabe konfrontiert, die katholische Einheit von Lehre, Glaube und Liturgie (und auch die Normen des Kirchenrechts) mit der Vielfalt der Kulturen, politischen Formen, Zivilisationen und Sprachen zusammenzubringen, und das zu einer Zeit, als Entfernungen und Gefahren des Reisens auch den Informationsaustausch prekär machten. „Noch im 18. Jahrhundert“, so Romanato, „brauchten die Missionare, die nach Paraguay reisen wollten, etwa ein Jahr, um ihr Ziel zu erreichen: Doch trotz der Schwierigkeiten der Zeit und der begrenzten Instrumente wurde in Rom alles gelesen, alles mitgeteilt und alles wenn auch manchmal mit großer Verzögerung beantwortet". Die Missionare, die in den Fernen Osten entsandt wurden oder sich in die unzugänglichsten Regionen Amerikas, wie die Anden oder den Amazonas, vorwagten, trafen dort auf Völker, die "radikal anders waren, deren Zivilisationsformen und Sprachen einander unbekannt waren". Die Fragen, die sie stellten, machten deutlich, dass "die Wahrheit des römischen Katholizismus, sich diesen radikalen Unterschieden stellen musste. Es mussten Lösungen gefunden werden, die den einen Glaubens und die Theologie, die ihn ausdrückte, mit der Vielfalt der Sprachen und der Vielfalt der Empfindungen in Einklang bringen konnten. Die Einheit zu retten, indem man die Vielfalt annimmt, war die oft schwierigste Aufgabe, mit der sich die Propaganda Fide konfrontiert sah, von der stets eine große Anpassungsbereitschaft gefordert wurde“. Dies sei eine enorme Aufgabe gewesen, die "auch das Kirchenrecht betraf", wobei ein neuer, spezifischer Zweig entstand, das "Missionsrecht", das "zu einer Art Ausnahme- und Toleranzbereich gegenüber den in der lateinischen Kirche geltenden Vorschriften wurde".
Romanato erinnerte auch an die Zehn-, vielleicht Hunderttausende junger Menschen, die die Kongregation aus fernen Ländern nach Rom eingeladen hat, um dort, ohne ihre jeweilige Kultur zu zerstören ihre Ausbildung zu unterstützen und sie dann in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. Ein Phänomen, das auch als außergewöhnliches Experiment betrachtet werden könne als "Beitrag zum gegenseitigen Verständnis und zur Achtung zwischen Völkern und Kulturen", das Jahrhunderte vor den heutigen Austausch- und "Erasmus"-Programmen begann, die von modernen akademischen und universitären Einrichtungen durchgeführt werden. Der Professor widerlegte auch die Gemeinplätze, wonach die Verfügungen der Propaganda Fide angeblich immer auf der Grundlage einer von oben verordneten institutionellen Einstimmigkeit getroffen wurden. Manchmal seien die Entscheidungen der Propaganda auch durch "wütende" und langwierige Diskussionen zwischen Personen getroffen worden, die stets aufgerufen waren, ihre Meinung zu Fragen zu äußern, die in fernen Ländern aufkamen. "Die Frage der chinesischen Riten", erinnert sich Romanato, "lag ein Jahrhundert lang auf dem Tisch. Im Jahr 1939 griff Pius XII. das Thema wieder auf und hob Entscheidungen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf. In der Praxis hat man sich mit diesem Problem über drei Jahrhunderte befasst und man tut es eigentlich immer noch".
(Fides 19/11/2022)


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