ASIEN/TÜRKEI - Bischof Bizzeti würdigt die Sperrung des Zugangs zum Schwarzen Meer für Kriegsschiffe

Dienstag, 1 März 2022 mittlerer osten   ostkirchen   ortskirchen   kriege   geopolitik   frieden   diplomatie  

Iskenderun (Fides) - "In Florenz kamen zum ersten Mal 60 katholische Bischöfe und 65 christliche, muslimische und jüdische Bürgermeister zusammen und unterzeichneten ein herausforderndes Dokument, zu ernsten und wichtigen Themen. Diese Übereinstimmung scheint mir über die einzelnen Inhalte hinaus das Wichtigste zu sein", so der Apostolischer Vikar von Anatolien, Bischof Paolo Bizzeti (SJ) zu dem Treffen, das in diesen Tagen in Florenz tagt und die Mittelmeeranrainerländer als friedenstiftende Region in den Mittelpunkt stellt. Im Gespräch mit Fides bezeichnete er am Rande der Konferenz auch die Entscheidung der türkischen Regierung, den Zugang zum Schwarzen Meer für Kriegsschiffe zu sperren, als "sehr mutig".
"Verschiedene Menschen, die sich vielleicht im Rahmen ihrer politischen und sozialen Aktivitäten auf entgegengesetzten Seiten befinden", so der Jesuit über die Tage in Florenz, "haben sich bereit erklärt, ein Dokument über die Gegenwart und die Zukunft des Zusammenlebens der Völker des Mittelmeerraums zu unterzeichnen. Bis vor wenigen Jahrzehnten wäre eine solche Erfahrung noch unvorstellbar gewesen. Und die Worte, die in den Beiträgen in Florenz widerhallen, wären nicht zu hören gewesen. Dies ist an sich schon eine außergewöhnliche Tatsache, die den Träumen von La Pira entspricht".
Vom 23. bis 27. Februar tagten in Florenz katholische Bischöfen und Bürgermeistern aus den Mittelmeerländern und inspirierten sich dabei an der prophetischen Intuition, die der große florentinische Bürgermeister Giorgio La Pira in den Jahren des Kalten Krieges entwickelte.
An den Tagen der Begegnung und des Gebets nahmen unter anderem Patriarchen und Bischöfe aus Syrien, der Türkei, dem Irak, dem Libanon, Ägypten, Tunesien, Algerien, Marokko und dem Heiligen Land teil. Und während die Florentiner Konferenz mit der Unterzeichnung der "Charta von Florenz" endete, wurde mit dem Einmarsch russischer Streitkräfte in ukrainisches Hoheitsgebiet das Trauma eines neuen Krieges, der im Herzen Europas begonnen hatte, mit potenziell verheerenden Folgen für die gesamte Menschheit wieder wach.
"In Wirklichkeit", betont der Apostolische Vikar von Anatolien, "haben wir keinen anderen Weg als diesen: weiterhin prophetische Gesten vorzuschlagen, wie isoliert sie auch sein mögen - aber wahre prophetische Handlungen sind immer isoliert und bringen vielleicht keine konkreten Ergebnisse in unmittelbarer Zukunft, aber die können die Richtung angeben und zeitliche Horizonte eröffnen, die wir nicht kennen“. „
Die Perspektiven, die in Florenz beleuchtet wurden, spiegeln die Punkte wider, die auch in dem in Abu Dhabi von Papst Franziskus und Scheich Ahmed al Tayyeb, dem Großimam von al Azhar, unterzeichneten Dokument über menschliche Brüderlichkeit enthalten sind. "Der beruhigende Unterschied besteht darin, dass das Dokument über die Brüderlichkeit in Abu Dhabi von zwei "hochrangigen Vertretern" unterzeichnet wurde, während die Unterschriften für die Charta von Florenz „nur“ von 130 Personen mit anerkannten öffentlichen Funktionen stammen.
Auf der Grundlage seiner Erfahrungen in Türkei, wo auch das orthodoxe Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel seinen Sitz hat, schildert Bischof Bizzeti die negativen Auswirkungen, die die Risse zwischen den orthodoxen Kirchen - die auch mit der Tragödie des anhaltenden Konflikts in der Ukraine zusammenhängen - auf den ökumenischen Weg zur Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft zwischen Katholiken und Orthodoxen. "Ich lebe in der Türkei", so der Apostolische Vikar von Anatolien, "in diesen Jahren konnte ich mir eine Vorstellung davon machen, dass das Problem heute bei den Orthodoxen liegt, während es schon morgen Probleme bei den Katholiken geben könnte. Aber die wahre Ökumene besteht in dem großen Versuch, uns alle zum Evangelium zu bekehren. Und es wird immer deutlicher, dass unser Problem nicht die Beziehungen zwischen uns Christen sind, sondern unsere Beziehungen zu Jesus Christus, die unstetig sind. Wir alle, in allen unseren Kirchen, haben eine unregelmäßige Beziehung zu Jesus Christus. Und zwei Menschen, die unregelmäßige Beziehungen zu einer dritten Person haben, können nur schwer miteinander auskommen, wenn ihre Einheit gerade von ihrer Beziehung zu dieser dritten Person abhängt, die für beide die Existenzberechtigung darstellt. Das bedeutet, dass wir uns nicht von einzelnen Vorfällen einschüchtern lassen dürfen: Wenn wir die Dinge ernst nehmen wollen, dürfen wir nicht glauben, dass die Probleme gelöst werden können, indem wir uns auf diesen oder jenen theologischen, rechtlichen oder machtpolitischen Aspekt einigen. Es geht darum, das Evangelium authentisch zu leben. Wenn dies nicht der Fall ist, wird das eigentliche Problem nicht die Verbesserung der Beziehungen zwischen uns Christen verschiedener Kirchen sein, sondern unser Verschwinden, unser Verschwinden, weil wir keinen Grund mehr haben, zu sein“.
Was die möglichen Auswirkungen der russischen Militärinvasion in der Ukraine auf die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien betrifft, so ist Bischof Bizzeti der Ansicht, dass sich die Situation in verschiedene Richtungen entwickeln könnte: "Einerseits" - so der Apostolische Vikar von Anatolien - "könnte der Konflikt auf ukrainischem Gebiet alle dazu veranlassen, zu erkennen, dass es immer besser ist mit den Nachbarn, offene Fragen zu klären und eine Einigung zu finden". Auf der anderen Seite bestehe immer die Gefahr, dass die Zurschaustellung von Nationalismus durch andere in Gebieten - wie dem Kaukasus -, die traditionell von ethnischen Identitätskonflikten geprägt sind, zur Nachahmung führt.
Indes bewertet Bischof Bizzeti die Entscheidung der Türkei, die Meerengen Bosporus und Dardanellen für die Durchfahrt von Kriegsschiffen zu sperren positiv. "Die türkischen Behörden", so der Apostolische Vikar von Anatolien, "haben das Übereinkommen von Montreux angewandt, ein Abkommen aus dem Jahr 1936, wonach die Türkei in Kriegszeiten, wenn sie neutral ist, Kriegsschiffe am Einlaufen ins Schwarze Meer hindern kann. Der Schritt der Türkei scheint mir mutig zu sein, wenn man die großen wirtschaftlichen und strategischen Interessen berücksichtigt, die mit dem Transit von Schiffen in das und aus dem Schwarzen Meer verbunden sind“.
(GV) (Fides 1/3/2022)


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