ASIEN/KASACHSTAN - Missionare zur Lage im Land: “Antiwestliche Kampagne ist nicht ausgeschlossen”

Freitag, 7 Januar 2022 politik   wirtschaft   internationale politik  

Almaty (Fides) - Es handele sich nicht mehr nur um einfache Straßenprotest gegen hohe Stromrechnungen: Der Aufstand, der Kasachstan seit dem 5. Januar in Aufruhr versetzt, sei inzwischen eine echte politische Krise, die vor allem von der neuen obere Mittelschicht vorangetrieben werde und eventuell auch zu antiwestlichen Kampagne führen könne. Dies betont der italienische Pater Edoardo Canetta, der seit zwanzig Jahren Missionar in Kasachstan, davon fünf Jahre als Generalvikar für Zentralasien, war und heute Dozent an der „Accademia Ambrosiana“ in Mailand ist, gegenüber Fides: "Bis letztes Jahr“, stellt er fest, „kostete der Kraftstoff in Kasachstan 40 Cent pro Liter, ein Preis, der in Italien schon lange undenkbar ist. Heute haben sich diese Preise verdoppelt, und gleichzeitig hat die Inflation sehr hohe Spitzenwerte erreicht. All dies hat zu gewalttätigen Protesten der Mittelschicht geführt: Diese Bürger fühlen sich am meisten betroffen, da die Armen keine Autos besitzen. Die Menschen können nicht verstehen, warum ein Land, das auf Gas und Öl "schwimmt", selbst so viel für Öl und Gas bezahlen muss“.
Dieses Phänomen, erklärt Pater Canetta, sei auf die mehrjährigen Verträge zurückzuführen, die unmittelbar nach dem Zusammenbruch der UdSSR zwischen Kasachstan und den großen Öl- und Energiekonzernen geschlossen wurden: "Als die Sowjetunion zusammenbrach, befand sich Kasachstan, wie alle Länder der Region, in einem Zustand absoluter Armut. Deshalb hat sie sich auf Verträge geeinigt, die noch heute und für mehrere Jahre gültig sind und nach denen nur ein sehr geringer Prozentsatz der Gewinne aus der Förderung an das Land geht. Es sind also die großen ausländischen Unternehmen, die sich durch diese Tätigkeit auf kasachischem Gebiet bereichert haben, die andererseits Investitionen unterstützt und Technologie, Forschung und Humanressourcen eingebracht haben. Die kasachische Bevölkerung versteht jedoch den Grund für diese Vereinbarungen nicht und beansprucht weiterhin das Eigentum an den Vorkommen. Aus diesem Grund ist es, wie auch immer die Proteste dieser Tage verlaufen, ist es gut möglich, dass die Schuld auf die Ausländer abgewälzt wird und dass eine nationalistische Kampagne, insbesondere gegen den Westen, geführt wird“.
Die jüngsten Unruhen begannen in den frühen Morgenstunden des 5. Januar und betraf mehrere kasachische Städte, sein Epizentrum war jedoch Almaty, die Finanzhauptstadt im Sücen Kasachstans. Dutzende von Demonstranten wurden bei den Zusammenstößen verletzt oder getötet, 18 Polizeibeamte verloren ihr Leben und mehr als 2.000 Menschen wurden festgenommen. Einige Demonstranten besetzten und plünderten Fernsehstationen und Flughäfen, was zur Aussetzung von Flugverbindungen führte.
Seit den ersten Stunden der Unruhen ist das Land isoliert: Die Telefonverbindungen sind prekär und die Internetverbindung ist fast vollständig ausgefallen, wie Pater Guido Trezzani, Leiter der Caritas, der in Talgar, einer Stadt wenige Kilometer von Almaty entfernt, lebt, gegenüber Fides bestätigt: "Seit zwei Tagen“, so der Missionar, „wurde aufgrund der Unruhen, die in verschiedenen Teilen des Landes ausgebrochen sind, der Ausnahmezustand verhängt. Die erste Folge ist, dass das Internet und alle damit verbundenen Dienste blockiert werden. Gelegentlich ist es möglich, E-Mails zu nutzen, aber andere Dienste wie Skype und soziale Medien wurden blockiert".
Wie ein Mitarbeiter der Caritas Kasachstan gegenüber Fides berichtete, können die Mitarbeiter der katholischen Hilfsorganisation mit Sitz in Almaty seit zwei Tagen nicht mehr ins Büro gehen: "Wir sind etwa eine Meile vom Regierungsgebäude entfernt und hören Schüsse, aber wir wissen nicht, was sie bedeuten. Es geht uns allen gut, aber ich denke, es ist im Moment am sichersten, zuhause zu bleiben".
In der Zwischenzeit sind zwar von Russland entsandte Truppen zur Unterstützung der Regierung im Land eingetroffen, doch das kasachische Außenministerium hat in einer Mitteilung betont, dass "die Rechte und Interessen aller Vertreter unseres multiethnischen und multireligiösen Volkes sowie die Sicherheit ausländischer Bürger im Land, einschließlich diplomatischer Vertreter und Journalisten" weiterhin gewährleistet werden sollen.
(LF) (Fides 7/1/2022)


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