EUROPA/ASERBAIDSCHAN - Umstrittenes Waffenstillstandsabkommen für Berg-Karabach: ”Für viele Armenier ist das eine Kapitulation“

Dienstag, 10 November 2020 krisengebiete   ethnische minderheiten   geopolitik   kriege  

Stepanakert ( Fides) - "Wenn die Waffen schweigen, gibt es Hoffnung. Für viele Armenier ist das Waffenstillstandsabkommen jedoch nur eine Kapitulation. Offensichtlich gab es für die armenische Regierung derzeit keine andere tragfähige Lösung", so der armenisch-katholischer Erzbischof von Aleppo Boutros Marayati zur Nachricht vom Waffenstillstand in der Region Berg-Karabach, der am späten Montagabend, dem 9. November, von den Vertretern Armeniens und Aserbaidschans mit der Vermittlung des russischen Präsidenten Wladimir Putin unterzeichnet wurde. "Im Moment", so Erzbischof Marayati, "sind die Einzelheiten des Abkommens noch nicht bekannt, und diesbezüglich können nur allgemeine Einschätzungen vorgenommen werden. Es bleibt die Trauer um die vielen jungen Menschen, die in den letzten Wochen gestorben sind, und die Hoffnung, dass Berg-Karabach weiterhin ein Ort bleibt, wo die Armenier ihre Kirchen besuchen und ihre Traditionen pflegen können. “
Der armenische Premierminister Nikol Pashinyan gab als erster bei Facebook die Unterzeichnung eines von ihm selbst als "schmerzhaft" bezeichneten Abkommens mit den Präsidenten Aserbaidschans und Russlands zur Beendigung des Krieges in Berg-Karabach bekannt. Stunden nach der Bestätigung, dass die Schlüsselstadt Shushi von der aserbaidschanischen Armee bereits eingenommen worden war, während sich die Streitkräfte auf dem Vormarsch nach Stepanakert, der Hauptstadt der umstrittenen Region, befanden.
Mit dem Abkommen endet ein sechs Wochen andauernder Konflikt mit heftigen Gefächten bei denen Hunderte von Menschen starben. Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan erklärte in seiner Stellungnahme, dass das Abkommen "die bestmögliche Lösung für die aktuelle Situation" darstelle.
Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev bezeichnete das Abkommen in einer Fernsehansprache als "Kapitulation" Armeniens. "Wir haben ihn gezwungen, dieses Dokument zu unterschreiben", so Aliyev und bezog sich dabei auf den armenischen Premierminister Nikol Paschinjan. "Dies ist im Wesentlichen eine Kapitulation." Der aserbaidschanische Präsident fügte hinzu, dass das Abkommen die Stationierung russischer Truppen in Berg-Karabach für die nächsten fünf Jahre vorsehe. "Die heutige Erklärung", so der russische Präsident Putin, "zeigt, dass Russland und die Türkei eine gemeinsame Friedensmission haben. Wir schaffen ein völlig neues Format für die Beziehungen in der Region."
Der russische Präsident Wladimir Putin bestätigte die Einigung über den Waffenstillstand in Berg-Karabach in einer vom russischen TV-Sender „Rossiya 24 TV“ ausgestrahlten Ansprache und fügte hinzu, dass Aserbaidschan und Armenien „derzeit ihre Stellungen unter der eigenen Kontrolle behalten werden und auf die Ankunft russischer Friedenstruppen entlang der Front und entlang des Korridors, der Karabach mit Armenien verbindet warten. Vertriebene und Binnenflüchtlinge werden unter der Kontrolle des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren."
In Armenien kam es nach Bekanntwerden Nachricht vom Waffenstillstandsabkommen zu Protesten. Die Demonstranten belagerten das Parlament und es kam zu Zusammenstößen mit den Leibwächtern des Parlamentspräsidenten Ararat Mirzoyan, der die Demonstranten als Söldner definierte, die "von den Kriminellen der ehemaligen Regierung" manipuliert wurden, die in der Vergangenheit "das Volk, die Armee und unsere Kinder ausgeraubt haben". Die Oppositionspolitikerin Iveta Tonoyan von der Partei „Blühendes Armenien“ begrüßte die Straßenproteste und forderte Premierminister Paschenjan zum Rücktritt auf. Sie bezeichnete die Unterzeichnung des Abkommens als "das peinlichste Kapitel in unserer Geschichte". Gemäß den Bedingungen des Abkommens sollen sich armenische Truppen zum Zeitpunkt des Waffenstillstands Anfang Dezember aus den besetzten Gebieten zurückziehen.
(GV) (Fides 10/11/2020)


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