AMERIKA/HAITI - Die wichtigsten kriminellen Banden in Port-au-Prince

Samstag, 17 Februar 2024 kriminalität  

Port-au-Prince (Fides) - Unter den etwa 300 kriminellen Banden, die in Haiti aktiv sind (vgl. Fides 10/2/2024), gibt es mehrere Zusammenschlüsse verschiedener Banden. Die wichtigste ist die so genannte G9-Allianz („G9 Fanmi e Alye“), ein im Juni 2020 gegründeter Zusammenschluss von neun kriminellen Banden.
Ihr Gründer und Anführer ist der ehemalige Polizeibeamte Jimmy Chérizier, auch bekannt als "Barbecue". Die Haupteinnahmequelle der G9 ist die Erpressung in ihren vielfältigen Formen. Die kriminelle Vereinigung erhebt "Schutzgelder" von lokalen Unternehmen, Straßenverkäufern und Fahrern öffentlicher Verkehrsmittel und koordiniert die Entführung von Zivilisten zu Erpressungszwecken. Die G9 hat auch die Kontrolle über öffentliche Dienstleistungen wie die Strom- und Wasserversorgung übernommen.
„Barbecue" wurde (vielleicht zu Unrecht) verdächtigt, in die Ermordung von Präsident Jovenel Moïse verwickelt zu sein (vgl. Fides 08/07/2021), der ihr bevorzugter politischer Führer gewesen war. Die G9 wurde gegründet, um Moïse zu unterstützen, als dieser aufgrund der Wirtschaftskrise, der grassierenden Korruption, der Benzinknappheit und der zunehmenden Gewalt in der Bevölkerung angefeindet wurde. „Barbecue" und seine Bande von ehemaligen Polizisten (die Delmas 6) waren von der Polizei wegen der von ihnen verübten willkürlichen Massaker entlassen worden, wurden aber von der Regierung Moïse weiterhin mit Geld, Waffen, Polizeiuniformen und Regierungsfahrzeugen versorgt.
Als „Barbecue“ die Bildung der G9-Allianz ankündigte, glaubten viele, es handele sich um eine Formation zur Unterstützung von Moïse, die einer Tradition haitianischer Politiker folgt, die Banden zur Unterdrückung von Gegnern und zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung in Armenvierteln einsetzen.
„Barbecue“ versprach, dass die G9 den Frieden in Port-au-Prince wiederherstellen würde. Doch die Entführungen eskalierten dramatisch, und interne Auseinandersetzungen innerhalb der G9 führten zu weiterer Gewalt.
Kurz vor der Ermordung des Präsidenten hatte die G9 ihre Beziehungen zur Parti Haïtien Tèt Kale (PHTK) -der Partei Moïses - gekappt, da ihre Vorherrschaft in weiten Teilen von Port-au-Prince es ihr ermöglichte, eine beträchtliche Anzahl von Wahllokalen zu kontrollieren, insbesondere in Gebieten wie Martissant und Lower Delmas. Die G9 konnte daher ihre Stimmen anderen politischen Unterstützern anbieten. Und tatsächlich scheint der Tod von Moïse keine großen Auswirkungen auf die Aktivitäten der G9 gehabt zu haben. Stattdessen nutzten der G9 nahestehende Banden die weit verbreitete Instabilität nach Moïses Tod, um ihr Territorium auszuweiten und die Kontrolle über wichtige Infrastrukturen wie das größte Ölterminal Haitis – das Terminal Varreux - zu übernehmen.
Die G9 wiederum hat sich mit 11 anderen kriminellen Banden zur sogenannten G20 zusammengeschlossen.
Der Hauptkonkurrent der G9 ist die G-PEP, ein Zusammenschluss von Banden, der speziell zur Bekämpfung des Einflusses der G9 gegründet wurde und von den politischen Gegnern der PHTK weitgehend unterstützt wird.
Die G-PEP, die von Gabriel Jean-Pierre, auch bekannt als "Ti Gabriel", angeführt wird, kämpft mit der G9 um die Kontrolle wichtiger Gebiete in Port-au-Prince und insbesondere um die nördliche Gemeinde Cité Soleil, die lange Zeit eine Hochburg der G-PEP war und deren Bewohner seit 2022 als Opfer von Bandenkämpfen unter unmenschlichen Bedingungen und ohne Grundversorgung wie Wasser, Strom und medizinische Versorgung leben müssen.
Eine der Banden, die sich der G-PEP angeschlossen haben, sind die „400 Mawozo“, die größte Bande in Haiti, die für die Entführung von 17 amerikanischen und kanadischen protestantischen Missionaren im Jahr 2021 bekannt ist. Im Zusammenhang mit dieser Entführung wurde der zweite Anführer der Bande, Germine Joly, verhaftet und 2022 an die Vereinigten Staaten ausgeliefert, wo er nicht nur der Entführung amerikanischer Bürger, sondern auch des Waffenhandels beschuldigt wird. Nach wie vor vom FBI gesucht wird der Anführer der „400 Mawozo“, Joseph Wilson, alias "Lanmò San Jou".
Die „400 Mawozo“ konzentriert sich hauptsächlich auf Gruppenentführungen, darunter auch einige katholische Priester und Missionare (vgl. Fides 28/2/2023 und 23/3/2023).
Eine der Banden, die keiner bestimmten kriminellen "Vereinigung" angehört, sind die „Fantom 509“. Es handelt sich um eine gut bewaffnete Gruppe ehemaliger Polizeibeamter und solchen, die noch im Dienst sind und Regierungsgebäude und -einrichtungen angegriffen haben, um eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für Polizeibeamte zu fordern.
„Fantom 509“ tauchte erstmals 2018 auf, als die nationale Polizeigewerkschaft von Haiti (Syndicat de la Police nationale d'Haïti - SPNH) protestierte, um bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen zu fordern. Lokalen Medienberichten zufolge hat sich die Polizeigewerkschaft in letzter Zeit von der Gruppe distanziert.
Angesichts der Ohnmacht der Polizei haben sich Bürgerwehren gebildet, die sich „Bwa Kale" nennen und hauptsächlich aus bewaffneten Zivilisten mit improvisierten Waffen bestehen, die mutmaßliche Bandenmitglieder jagen und töten und deren Leichen verbrennen. Eine "Selbstjustiz", die das Risiko birgt, dass weitere kriminelle Banden entstehen, wie es in anderen Teilen der Welt geschehen ist. In Mexiko beispielsweise haben Selbstverteidigungsgruppen begonnen, kriminelle Organisationen zu bekämpfen, wobei sie häufig die Unterstützung der Bevölkerung und fehlende institutionelle Kapazitäten ausnutzen, um dann in eine kriminelle wirtschaftliche Dimension wie Erpressung, Waffen- und Drogenhandel und Auftragsmorde einzusteigen.
(L.M.) (Fides 17/2/2024)


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