Von Gianni Valente
Roma (Fides) - «Wir haben den Messias gefunden». Unmittelbar, nachdem die ersten Jünger Christi den Blick Jesu kennen gelernt hatten, machten sie sich auf, um ihn den Personen in ihrer Umgebung zu verkünden. In dem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“, dessen Veröffentlich sich bald zum zehnten Mal jährt, betont Papst Franziskus, dass die freudige und ehrfürchtige Bereitschaft der ersten Jünger ein dauerhaftes Paradigma dafür bleibt, wie das von Christus versprochene Heil in die Welt kommt (vgl. EG, 120).
Die Bezugnahme auf die "Erstverkündigung", die in der traditionellen Sprache der Kirche mit dem griechischen Ausdruck "Kerygma" (abgeleitet von dem Verb "rufen, verkünden") bezeichnet wird, ist ein Eckpfeiler des von Papst Franziskus zu Beginn seines Pontifikats veröffentlichten lehramtlichen Textes, der die „Wege für den Lauf der Kirche in den kommenden Jahren“ aufzeigen soll (EG 1).
In verschiedenen Abschnitten des Apostolischen Schreibens „Evangelii gaudium“ (insbesondere im vierten Abschnitt des dritten Kapitels mit dem Titel "Eine Evangelisierung zur Vertiefung des Kerygmas") verweist der Papst auf die Quelle, das eigentliche Wesen, die Merkmale, die es in unvergleichlicher Weise kennzeichnen, und die Früchte hin, die es hervorbringen kann. Der Bischof von Rom bewegt sich im Gefolge der Tradition in den Fußstapfen von Papst Paul VI. und seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Nuntiandi“, das auch Papst Franziskus am Herzen liegt, wo es heißt: "Es gibt keine wahre Evangelisierung, wenn nicht der Name, die Lehre, das Leben, die Verheißungen, das Reich, das Geheimnis Jesu von Nazareth, des Sohnes Gottes, verkündet werden" (EN 22).
Die erste Verkündigung wird von Papst Franziskus als unverzichtbare Tatsache in der Dynamik der Heilsgeschichte neu dargestellt. Aus diesem Grund ist die Verkündigung nicht selbstbestätigend, sie entsteht nicht aus sich selbst heraus: Sie wird aus einer unvorstellbaren Begegnung geboren, die den Glauben an Christus weckt und diejenigen, die diese Erfahrung machen, dazu bringt, sie anderen mitzuteilen.
Die Verkündigung Christi hat immer etwas, das ihr vorausgeht: Sie entsteht aus dem Zeugnis, das Christus von sich selbst gibt, aus der Veränderung, die er selbst in seinen Zeugen bewirkt.
Bei der ersten Verkündigung bleiben
Das Kerygma, so stellt Papst Franziskus immer wieder klar, ist nicht eine Art Vorstufe, die man durchlaufen muss, um 'darüber hinaus' zu gehen. Es ist kein einleitender Schritt, der nach dem Anfang aufgegeben wird, um "höhere" Kompetenzstufen zu erreichen: „Wenn diese Verkündigung die „erste” genannt wird, dann nicht, weil sie am Anfang steht und dann vergessen oder durch andere Inhalte, die sie übertreffen, ersetzt wird. Sie ist die „erste” im qualitativen Sinn, denn sie ist die hauptsächliche Verkündigung, die man immer wieder auf verschiedene Weisen neu hören muss und die man in der einen oder anderen Form im Lauf der Katechese auf allen ihren Etappen und in allen ihren Momenten immer wieder verkünden muss“ (EG 164).
Auf dem Weg des christlichen Glaubens, betont der Petrusnachfolger, dürfe man nicht meinen, „dass das Kerygma in der Katechese später zugunsten einer angeblich „solideren” Bildung aufgegeben wird. Es gibt nichts Solideres, nichts Tieferes, nichts Sichereres, nichts Dichteres und nichts Weiseres als diese Verkündigung“. „Die ganze christliche Bildung“ so der Papst weiter „ist in erster Linie Vertiefung des Kerygmas, das immer mehr und besser assimiliert wird, das nie aufhört, das katechetische Wirken zu erhellen“ (EG 165).
In jedem authentischen apostolischen Handeln, einschließlich der Predigt in der Messe und jeder Katechismusstunde, so Papst Franziskus, muss das Herz der christlichen Verkündigung widerhallen. Auch in der Katechese „spielt die Erstverkündigung bzw. das „Kerygma“ eine wesentliche Rolle. Es muss die Mitte der Evangelisierungstätigkeit und jedes Bemühens um kirchliche Erneuerung bilden. (…) Im Mund des Katechisten erklingt immer wieder die erste Verkündigung: „Jesus Christus liebt dich, er hat sein Leben hingegeben, um dich zu retten, und jetzt ist er jeden Tag lebendig an deiner Seite, um dich zu erleuchten, zu stärken und zu befreien” (EG 164).
Die Taufe reicht aus
Die Erstverkündigung des Evangeliums, so betont Papst Franziskus, sei nicht vermeintlichen und oft selbsternannten 'Kerygma-Profis' vorbehalten, die nach einer 'Ausbildung' für diese Aufgabe qualifiziert sind. Vielmehr reiche die Taufe aus, denn „jeder Getaufte ist, unabhängig von seiner Funktion in der Kirche und dem Bildungsniveau seines Glaubens, aktiver Träger der Evangelisierung, und es wäre unangemessen, an einen Evangelisierungsplan zu denken, der von qualifizierten Mitarbeitern umgesetzt würde, wobei der Rest des gläubigen Volkes nur Empfänger ihres Handelns wäre“. Und „wenn einer nämlich wirklich die ihn rettende Liebe Gottes erfahren hat, braucht er nicht viel Vorbereitungszeit, um sich aufzumachen und sie zu verkündigen; er kann nicht darauf warten, dass ihm viele Lektionen erteilt oder lange Anweisungen gegeben werden. Jeder Christ ist in dem Maß Missionar, in dem er der Liebe Gottes in Jesus Christus begegnet ist“ (EG 120).
Papst Franziskus betont, dass alle Getauften gerufen sind, „als Verkünder des Evangeliums zu wachsen“ und wir müssen „uns alle gefallen lassen, dass die anderen uns ständig evangelisieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir unterdessen von unserer Aufgabe zu evangelisieren absehen müssen, sondern wir sollen die Weise finden, die der Situation angemessen ist, in der wir uns befinden“.
Das Apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“ bekräftigt zwar, dass das Kerygma ein unverzichtbarer und nicht zu verkennender Aspekt der Heilsdynamik ist, vermeidet aber, dieser Dynamik die Konnotationen eines magischen oder "mechanischen" Automatismus zuzuschreiben. Die Erstverkündigung als solche "erzeugt" und schenkt nicht den Glauben und die Nachfolge Christi, wenn die Gnade nicht die Herzen derer anzieht, die sie hören. Die buchstäbliche Wiederholung der Verkündigung – hat Papst Franziskus in dem Interviewbuch über die Mission "Ohne Ihn können wir nichts tun" klargestellt - "hat an sich keine Wirksamkeit und kann ins Leere gehen, wenn die Menschen, an die sie gerichtet ist, nicht die Gelegenheit haben, der Zärtlichkeit Gottes ihnen gegenüber und seiner heilenden Barmherzigkeit zu begegnen und sie in gewisser Weise zu erahnen".
“Wir lieben nur das, was schön ist”
Evangelii gaudium erinnert auch an einige Merkmale, die die Verkündigung des Evangeliums stets kennzeichnen. Jede Katechese, die das Evangelium Personen verkündet, die es nicht kennen, so Papst Franziskus, soll dem „Weg der Schönheit” (via pulchritudinis) besondere Aufmerksamkeit schenken, denn „Christus zu verkündigen, bedeutet zu zeigen, dass an ihn glauben und ihm nachfolgen nicht nur etwas Wahres und Gerechtes, sondern etwas Schönes ist, das sogar inmitten von Prüfungen das Leben mit neuem Glanz und tiefem Glück erfüllen kann“ (EG 167) Denn, so der Papst mit Bezug auf den heiligen Augustinus, „wir lieben nur das, was schön ist“ (EG 167).
Wer das Evangelium verkündet, müsse Vorgehensweisen kennen, „die sich durch Klugheit auszeichnet sowie durch die Fähigkeit zum Verstehen, durch die Kunst des Wartens sowie durch die Fügsamkeit dem Geist gegenüber“, durch die Bereitschaft zum Zuhören und zum schrittweisen vorangehen, denn man muss „mit der Zeit rechnen und unermessliche Geduld haben“. Und „Der selige Petrus Faber sagte: ‚Die Zeit ist der Bote Gottes‘“. (EG 171).
Außerdem betont „Evangeli gaudium“: „Das Kerygma besitzt einen unausweichlich sozialen Inhalt: Im Mittelpunkt des Evangeliums selbst stehen das Gemeinschaftsleben und die Verpflichtung gegenüber den anderen. Der Inhalt der Erstverkündigung hat eine unmittelbare sittliche Auswirkung, deren Kern die Liebe ist“ (EG 177). Eine Anmerkung, die hilft, sich von der falschen Dialektik zu befreien, die selbst in kirchlichen Kreisen die Verkündigung des Evangeliums und die sozialen Interventionen zur Förderung der Menschen, das Bekenntnis des Glaubens und die Werke der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe voneinander trennt und in Konkurrenz oder sogar in Gegensatz zueinander setzt.
Kerygma e Marketing
Der Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums - daran erinnert uns das Apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“ mehrfach - hat seinen Horizont gerade in der Alltäglichkeit des Lebens mit seinen Verpflichtungen und Zwängen. Es geht darum, „das Evangelium zu den Menschen zu bringen, mit denen jeder zu tun hat, zu den Nächsten wie zu den Unbekannten“. Und „das geschieht spontan an jedem beliebigen Ort, am Weg, auf dem Platz, bei der Arbeit, auf einer Straße“ (EG 127). Auch diese Bemerkung und die anderen von Papst Franziskus erwähnten Merkmale zeugen davon, dass die Verkündigung des Evangeliums ihrem Wesen nach nicht mit den Verkaufsstrategien von Produkten oder der Verbreitung von Ideen und kulturellen Formaten vergleichbar ist, die von den Systemen des Management Engineering entwickelt wurden. Die von „Evangelii gaudium“ vorgeschlagene Dynamik führt vielmehr alles auf die elementare Dynamik zurück, durch die sich die Verkündigung des Evangeliums in der Welt „von Mensch zu Mensch" ausbreitet. Nicht wie Ideen verbreitet werden, sondern durch sakramentale Mittel. Eine Rückbesinnung auf die Quellen, die weit entfernt zu sein scheint von bestimmten klerikalen Strategien des "pastoralen Marketings", die versuchen, die "guten Praktiken" von Unternehmen und Werbekampagnen zu imitieren (die im Übrigen immer Jahrzehnte hinter dem Zeitplan der Welt zurückbleiben).
(GV) (Fides 4/11/2023).