AFRIKA/SÜDSUDAN - Bischof Carlassare: “Der Südsudan ist auf einem guten Weg, aber der Weg ist lang”

Samstag, 4 November 2023 ortskirchen   krisengebiete   ethnische minderheiten   papst franziskus  

VaticanMedia

Von Luca Attanasio
Rumbek (Fides) - Christian Carlassare, ein Comboni-Missionar, ist der jüngste Bischof in Afrika. Er wurde 1977 in Schio (Vicenza) geboren und ging unmittelbar nach seiner Priesterweihe im Jahr 2004 in den Südsudan, wo er die Sprache der Nuer erlernte und zunächst als Pfarrvikar und dann als Pfarrer in Fangak arbeitete. Am 8. März 2021 ernannte ihn Papst Franziskus zum Bischof von Rumbek, der Hauptstadt des Staates Buhayrat, im Zentrum des Südsudan. Einen Monat vor seiner Bischofsweihe, die für Mai desselben Jahres geplant war, erlitt der Missionar ein schweres Attentat, bei dem er schwer verletzt wurde und eine vorübergehende Behinderung der unteren Gliedmaßen davontrug. Nachdem er seine Gesundheit wiedererlangt hatte, konnte er schließlich am 25. März 2022 in der Kathedrale der Heiligen Familie in Rumbek die Bischofsweihe empfangen.
Einige Zeit später räumt Bischof Carlassare ein, dass ihn die traumatische Erfahrung des Attentats noch mehr mit den Menschen verband, denen er zu dienen berufen war. "In jener Nacht", erinnert sich der Missionsbischof heute im Gespräch Fides, "kamen zwei Leute herein und drückten uns gegen die Wand, als wollten sie uns töten. Dann senkten sie ihre Gewehre und gaben ein Dutzend Schüsse ab, von denen einige meine Beine trafen. Es war eine große Demütigung, die mich lehrte, demütig zu sein, ein sehr hartes Erlebnis für mich und für die Diözese, ein unbegreiflicher Angriff (ein Priester der Diözese Rumbek und vier Laien wurden im Zusammenhang mit dem Attentat verurteilt, Anm. d. Red.) In gewisser Weise zwang es mich jedoch, mich mit so vielen unschuldigen Opfern zu solidarisieren, mit den Menschen im Südsudan selbst, die durch Gewalt, Arroganz, Machtstreben und den Wunsch, die Ressourcen zu kontrollieren, in die Knie gezwungen wurden. Ich habe mit so vielen Opfern verbunden gefühlt, und ich danke dem Herrn für seine Gegenwart in dieser Zeit, aber auch dafür, dass ich als Verwundeter inmitten eines verwundeten Volkes zurückkehrte: Wir sind gemeinsam aufgestanden im Glauben an die Heilung, die möglich ist“.
Mit diesem Blick auf sich selbst und die Menschen um ihn herum beschreibt der Bischof gegenüber Fides die aktuelle Situation im jüngstem Land der Welt (es wurde erst 2011 ein unabhängiger Staat), ausgehend von den Ergebnissen des am 12. September 2018 unterzeichneten Abkommens zur Beendigung des 2013 begonnenen Krieges zwischen den beiden gegnerischen Fraktionen unter Führung von Salva Kiir, dem heutigen Präsidenten, und Riek Machar, dem ersten Vizepräsidenten des Landes. "Das Friedensabkommen hält", räumt der Bischof von Rumbek ein, „es gibt zurzeit keinen offenen Konflikt im Land, obwohl einige Gebiete immer noch von Milizen kontrolliert werden, vor allem in Upper Nile, wo die Spannungen am deutlichsten sind. Es ist kein Zufall, dass dort die größten Ressourcen konzentriert sind, das Öl, die Felder, die den ganzen Südsudan ernähren könnten. Das Problem ist leider, dass die politische Einigung sehr fragil bleibt, solange es Hunger und Armut gibt".
Seit 2018, dem Jahr des Abkommens, hat es Fortschritte gegeben, auch wenn der Weg zu Stabilität, wirtschaftlichem Aufschwung und vollständiger Demokratisierung noch lang ist.
"Die Wahlen", erinnert der Missionsbischof, "wurden auf Dezember 2024 verschoben. Laut Abkommen sollten sie im August 2022 stattfinden, aber das war nicht möglich. Man hat sie verschoben, weil es eine ganze Reihe anderer Beschlüsse gab, die noch nicht oder nur in Ansätzen umgesetzt waren. Dazu gehörten die Vereinheitlichung der Armee, einige nationale und regionale Regierungsreformen und die Notwendigkeit, den Wahlapparat neu zu organisieren, was ohne ein Standesamt unmöglich ist. Die letzte Volkszählung fand 2010 statt, als es den Staat Südsudan noch gar nicht gab. Es steht noch nicht fest, wie die neuen Wahlkreise aussehen sollen. Viele Menschen werden innerhalb des Landes und aus dem Land vertrieben, wo sollen sie wählen?“, fügt Carlassare hinzu, " In der Tat, sind Wahlen ein aktuelles Thema, aber viele fragen sich, wie sie abgehalten werden sollen. Die Regierung ist sich sicher: 'Wir werden sie durchführen!' Und vielleicht werden sie auch durchgeführt, aber um eine echte Demokratie zu erreichen, gilt es einen langen Weg zurückzulegen".´
Zu den umstrittensten offenen Fragen gehören die Wiedervereinigung der Armee und die Organisation der Macht. Viele Jahre lang standen sich verschiedene gut bewaffnete Milizen und verstreute Gruppen gegenüber, die abscheuliche Verbrechen begingen und das junge Land an den Rand einer Katastrophe brachten. Nun sollen sie sich zu einer einzigen Gruppe zusammenschließen, die die Sicherheit aller, nicht nur der eigenen Ethnie oder des eigenen Stammes, gewährleisten soll. „Die regierende Gruppe", berichtet der Bischof, "tut ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen. Aber es gibt keine langfristigen Pläne. Was die Wiedervereinigung der Armee anbelangt, so gibt es Kasernen für die Unterbringung, in die alle Soldaten hätten gehen sollen, um ausgebildet zu werden. Sie gingen dorthin, wie es ihnen befohlen wurde, wurden aber in diesen Camps isoliert, ohne zugewiesen zu werden. Es gibt nicht integrierte Milizen, vor allem in den Regionen, in denen die Situation problematischer ist, wie z.B. in Upper Nile. Es wurden zwar einige Fortschritte erzielt, aber das ist immer noch zu wenig".
Was das Projekt zur Neuorganisation der Ministerien betrifft, so gab es nach dem Abkommen über die nationale Einheit eine grundsätzliche Aufteilung der Zuständigkeiten, und für jedes Ministerium gibt es Mitarbeiter der Regierung und der Opposition; der Bischof beschreibt jedoch eine Situation, in der es an einem Prozess des nationalen Dialogs fehlt, der allen, auch den Randgruppen, offensteht: "Im Südsudan gibt es viele andere oppositionelle Gruppen, die sich nicht alle Gruppen vertreten fühlen. Es gibt vethnische Gruppen in der Regierung, die am stärksten vertretenen sind, wie die Dinka und Nuer, aber es gibt auch einige kleinere Gruppen wie Acholi und Zande Scilluc, die nicht integriert sind und sich nicht vertreten fühlen. Einige Gruppen haben nach wie vor keinen Zugang zu Dienstleistungen, das Leben der Menschen ist auf dem Stand von vor 50 Jahren geblieben, Entwicklung findet nur in einigen Gebieten statt".
Obwohl der Südsudan reich an Ressourcen ist und über eine üppige Natur verfügt, liegt er in den weltweiten Entwicklungs- und Wohlfahrtsstatistiken am unteren Ende.
"Das größte Problem", so Bischof Carlassare, "ist die Wirtschaftskrise. Es wird versucht, lokale Unternehmen zu gründen und das Öl zum eigenen Vorteil zu nutzen, aber offenbar bleiben die Ressourcen ein Privileg für einige wenige und ein Fluch für die Bevölkerung. Nach dem Abkommen hatte man gehofft, dass sich die Währung gegenüber dem Dollar behaupten würde, stattdessen verliert sie und die Menschen hungern. Es gibt wenig Unternehmertum, wenig Möglichkeiten, Unternehmen zu gründen. Es gibt endlich einen Anstoß, mehr einheimische Produkte zu kaufen, aber noch immer kommt zu viel aus dem Ausland".
Papst Franziskus hat die Entwicklung im Südsudan seit dem Beginn seines Pontifikats mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Er hat beim sonntäglichen Angelusgebet Appelle lanciert, Gebetswachen organisiert, Treffen im Vatikan einberufen, und dabei den politischen und religiösen Führer die Füße geküßt. Im vergangenen Februar besuchte er schließlich das afrikanische Land. "Die Aufmerksamkeit des Papstes für den Südsudan", so der Bischof und Comboni-Missionar, "hatte und hat einen positiven Einfluss auf die nationale Politik. Er hat sich für das Entstehen des Friedensabkommens und die Bildung der nationalen Einheitsregierung eingesetzt. Seine Reise hat einer armen und verzweifelten Bevölkerung viel Hoffnung und Mut gegeben. Die Situation ist, wie der Papst sehr wohl weiß, immer noch sehr schwierig: zwei Millionen Flüchtlinge im Ausland, ebenso viele Binnenvertriebene, bewaffnete Gruppen, die in einigen Gebieten immer noch aktiv sind, schwerwiegende Auswirkungen des Klimawandels: all dies zusammen mit der Wirtschaftskrise macht das Leben für viele sehr schwierig. Der Südsudan ist auf einem guten Weg, aber der Weg wird lang sein. Von nun an wird es wichtig sein, Schritte in Richtung Demokratisierung, Wahlen und den Willen zu sehen, mehr und mehr Menschen in die Verwaltung des Landes einzubeziehen und den Spielraum derjenigen einzuschränken, die den Krieg als Mittel zum Überleben ihrer Gruppe fortsetzen wollen".
Bei der Synode über die Synodalität waren zahlreiche katholische Gemeinschaften aus Afrika vertreten, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Die Stimme des Kontinents mit seinen Leiden und Problemen, aber auch seinen Ressourcen und unendlichen menschlichen und materiellen Reichtümern war bei den Sitzungen der Versammlung, die gerade im Vatikan zu Ende gegangen ist, sehr präsent. "Wenn auch mit Verspätung", erinnert sich Bischof Carlassare, der im März 2022 aufgrund des Attentats die Bischofsweihe empfing, "haben wir uns auf einen Weg der gemeinsamen Teilnahme von Gruppen begeben, die in der Vergangenheit untereinander gespalten waren, wie Diözesanklerus und Ordensleute oder Klerus und Laien. Für dieses Land ist es von grundlegender Bedeutung, dass starke und reife Gemeinschaften heranwachsen, die auch in der Lage sind, die Gesellschaft durch vom Glauben inspirierte Entscheidungen zu beeinflussen, und das kann nur von unten beginnen. Mutige Entscheidungen, wenn nötig auch nonkonformistische. All dies trägt dazu bei, die Spaltungen in der christlichen Bevölkerung selbst zu überwinden, die im Land in der Mehrheit ist, aber manchmal nicht gut strukturiert ist, aber auch in Bezug auf andere Kulturen, wie die Dinka oder im allgemeinen die Niloten, die das Evangelium und die Botschaft Jesu noch nicht angenommen haben".
(Fides 4/11/2023)


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