Niamey (Fides) - Für eine eingehende Analyse des Militärputsches in Niger ist es zwar noch zu früh, aber der Wissenschaftler Rahmane Idrissa, ein Niger-Experten der Universität Leiden, stellt dazu einige interessante Überlegungen an.
Der erste Punkt ist, dass die nigrische Armee eine lange Tradition von Militärputschen hat. „Präsident Mohamed Bazoum selbst war nur einen Tag vor seinem Amtsantritt einem Putschversuch entgangen; und erst kürzlich wurde Berichten zufolge ein weiterer Versuch vereitelt, während er sich in der Türkei aufhielt", so Idrissa. "Bei einer solchen Häufigkeit und der offensichtlichen Überzeugung des Militärs, nicht nur ein Organ des Staates, sondern ein eigenständiger politischer Akteur zu sein, waren die Chancen oder Risiken eines erfolgreichen Putsches groß", betont er. "Niger hat also, gelinde gesagt, ein Problem mit seiner Armee. Sie ist strukturell eine Putscharmee", so der Forscher weiter, der sagt: "Im vergangenen Februar traf ich mich mit einem hochrangigen Offizier der nigrischen Armee und kam aus dem Gespräch mit einer erstaunlichen Erkenntnis heraus: Die Armee war offenbar voller Leute, die einen Staatsstreich planten". Ein Putsch war also vorhersehbar.
Nach dem jüngsten politischen Auf und Ab, das mit dem Versuch von Präsident Mamadou Tandja (der bereits von 1999 bis 2010 an der Macht war, als er vom Militär abgesetzt wurde) verbunden war, durch eine Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit anzustreben, erscheint das System zunehmend selbstbezogen und unempfänglich für die Forderungen und Interessen der Bevölkerung.
Die Regierungspartei „Parti nigérien pour la démocratie et le socialisme“ (PNDS-Tarayya) unter der Führung von Präsident Bazoum "ist keine Kompromisspartei, sondern eine Partei der Vorherrschaft", sagt Idrissa. "Die wichtigste Auswirkung dieser Zielsetzung bestand darin, die Ressourcen der Macht zu nutzen, um das zu erreichen, was die Nigerianer 'die Zerschlagung' (anderer politischer Parteien) nennen. Die Waffe, die in diesem Sinne am häufigsten eingesetzt wurde, war die Möglichkeit des 'politischen Nomadentums', d. h. die Tatsache, als Abgeordneter die Parteimitgliedschaft zu wechseln, auch wenn man unter einer bestimmten politischen Partei gewählt worden war". Ein solches "politisches Nomadentum" sei auch im benachbarten Mali von Ibrahim Boubacar Keïta, dem ehemaligen, durch einen Militärputsch gestürzten Präsidenten, ausgeübt worden, wie der Forscher erinnert.
Das politische System Nigers hat sich zwar den Anschein einer Demokratie bewahrt, ist aber in Wirklichkeit zu einer Art Einparteienregime geworden, in dem die Opposition einerseits kooptiert und andererseits von gerichtlichen Untersuchungen betroffen ist.
"Die gefährliche Folge dieser Entwicklung ist, dass die Politik, wenn sie nicht auf ihrem eigenen Terrain, nämlich den Beziehungen zwischen den politischen Parteien und den Aktivitäten innerhalb der politischen Institutionen (Nationalversammlung, Regionalversammlungen und Gemeinden), stattfinden kann, dies dort tut, wo sie nicht stattfinden sollte: in der Verwaltung und in der Armee", erklärt Idrissa.
„Wir können also sagen, dass die PNDS für diesen Putsch mitverantwortlich ist", sagt der Forscher und beschreibt ihn als "opportunistischen Putsch", dessen Täter sich von den Militärputschen in Mali und Burkina Faso inspirieren ließen und die Unzufriedenheit der nigrischen Bevölkerung mit der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (dschihadistische Gruppen sin im Südwesten und Südosten aktiv) sowie die Ressentiments der Bevölkerung gegenüber Frankreich ausnutzten, das auch vom ehemaligen Präsidenten Tandja als Sündenbock für die Missstände im Land benutzt wurde.
(L.M.) (Fides 1/8/2023)