Kabul (Fides) - "Wir fordern eine Mission der Vereinten Nationen, damit die Wahrheit über die jüngsten Angriffe auf Zivilisten herausgefunden wird". Angesichts des Rückzugs der ausländischen Truppen, der Offensive der Taliban, einer schwachen Regierung, wachsender Gewalt und "sehr besorgniserregenden Zukunftsszenarien", wünscht sich Shaharzad Akbar, Chefin der "Afghanistan Independent Human Rights Commission" (AIHRC), im Gespräch mit Fides ein stärkeres Engagement der internationalen Gemeinschaft. "Verurteilungen reichen nicht mehr aus, sie haben keine konkrete Wirkung. Wir brauchen eine UN-Mission, die auch abschreckend wirkt", so Frau Akbar. Seit Juli 2018 ist Shaharzad Akbar an der Spitze der AIHRC, eine staatliche Einrichtung zum Schutz der Menschenrechte in Afghanistan und sie schlägt heute Alarm: „Es gibt keine konkreten Aussichten für den zum Friedensprozess, die Gewalt nimmt zu, der Konflikt verschärft sich und dies gilt auch für die Missachtung der Bürgerrechte “, erklärt sie gegenüber Fides.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Taliban gehen in die Offensive und nutzen militärisch den Abzug ausländischer Truppen, der im Doha-Abkommen vom Februar 2020 vereinbart und dann am 13. April von US-Präsident Joe Biden bestätigt und auf den Weg gebracht wurde. "Es gibt Beweise für mutwillige Angriffe auf Zivilisten, Tötungen von Kriegsgefangenen, Zerstörung von Infrastruktur", so Frau Akbar, die sich besonders besorgt über die aufkommende Gewalt gegen Zivilisten zeigte. Die Gewalt betrifft insbesondere die Hazara-Gemeinde im schiitischen Bezirk Dasht-e-Barchi in Kabul. In ihrem Appell an die Vereinten Nationen fordert sie deshalb auch besonderen Schutz für diese schiitische Minderheit, die zur Zeit des islamischen Emirats der Taliban verfolgt wurde und heute Zielscheibe des lokalen Zweigs des Islamischen Staates ist.
„Alle Afghanen sind Opfer des Konflikts. Aber die Ziele der jüngsten Angriffe sind eindeutig: zivile Busse, Hochzeiten, Schreine, religiöse Zeremonien, Schulen“, so Shaharzad Akbar weiter, „Es gibt eine klare Absicht, die schiitische Gemeinschaft der Hazara gerade wegen ihrer Identität zu treffen“. Die staatlichen Schutz- und Wahrheitsmechanismen seien unzureichend: Die Regierung habe "vielleicht den politischen Willen, aber sicherlich nicht die Fähigkeit, die Wahrheit über angebliche Kriegsverbrechen herauszufinden".
Der Appell an die Vereinten Nationen wurde am 9. Mai veröffentlicht, dem Tag nach einem dreifachen Anschlag auf die Schüler der Sayed al-Shohada-Schule im Stadtteil Dasht-e-Barchi, der 90 Opfer fordert. Unterdessen war am darauf folgenden Tag eine Delegation der Kabuler Regierung unter der Leitung von Außenminister Hanif Atmar in Den Haag, um den Internationalen Strafgerichtshof davon zu überzeugen, die Aufnahme von Ermittlungen zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen von Menschen in Afghanistan zu verschieben – besser noch einzustellen . Nach Ansicht von Frau Akbar ein Fehler. Gleichzeitig fordert sie auch, die Wahrheit über potenzielle Verbrechen ausländischer Truppen herauszufinden: „Es gibt begründete Vermutungen im Hinblick Verbrechen, die von US-amerikanischen, australischen, britischen und anderen Truppen begangen wurden. Die Opfer vergessen das nicht. Wir brauchen die volle Aufklärung dessen, was passiert ist“. Bislang gebe es keine wirkliche Achtung von Menschenrechten und Gerechtigkeit: „Eines der größten Versäumnisse der internationalen Gemeinschaft war die Gewährleistung von Rechten und Gerechtigkeit“, resümiert Shaharzad Akbar. „Die internationale Gemeinschaft hat Menschen, die der Kriegsverbrechen beschuldigt werden, unterstützt und gestärkt. Man behandelte sie als Verbündete. Und man hat erwartet, dass etwas Gutes dabei herauskommt“.
(GB) (Fides 9/7/2021)