AFRIKA/ÄGYPTEN - P. Luciano Verdoscia: „Ägypten ist in Bewegung und die Forderung des Volkes nach einem echten Wandel wird zunehmend eindringlicher“

Dienstag, 22 November 2011

Kairo (Fidesdienst) – „Diejenigen, die behauptet haben, dass es in Ägypten keine wirkliche Revolution gegeben hat werden dementiert. Die Unruhen der vergangenen Tage und Stunden zeigen, dass das Volk sich der eigenen Stärke bewusst geworden ist, wenn es in der Öffentlichkeit demonstriert und die Zügel wieder in die Hand nehmen will“, so P. Luciano Verdoscia, der als Comboni Missionare seit vielen Jahren in Kairo lebt, zum Fidesdienst. In der ägyptischen Hauptstadt halten auf dem zentralen Tahrir-Platz die Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten an. Die Muslimbrüder haben sich unterdessen aus den Protesten zurückgezogen und sich zu einem Treffen mit dem Militärrat bereit erklärt
„Die jüngsten Ereignisse dementieren meiner Meinung nach auch Gerüchte, die von Zeitungen verbreitet wurden, die behaupten, dass die Proteste von den Muslimbrüdern und Salafiten geschürt wurden, um Chaos im Land zu schaffen und die Armee und die Regierung in Misskredit zu bringen und schließlich selbst an die Macht zu gelangen. An eine solche Annahme habe ich nie geglaubt“. So der Missionar weiter, „es wiederholt sich das, was bereits unter dem Regime Mubarak geschah: junge Menschen stellen ein weiteres Mal präzise Forderungen. Sie wollen, dass die Festenahmen und summarischen Verfahren gegen politische Aktivisten eingestellt werden und dass die Familien derjenigen Hilfe erhalten, die bei der Revolution gegen Mubarak ums Leben kamen oder verletzt wurden. Sie protestieren zudem gegen die so genannten überkonstitutionellen Prinzipien der Militärs (vgl. Fidesdienst vom 21/11/201) und die Existenz einer Geheimpolizei, die formell eigentlich aufgelöst wurde“.
Zu einem möglichen Sieg der islamischen Parteien bei der Wahl, deren erste Phase am kommenden 28. November beginnt, sagt P. Verdoscia: „Es stimmt, dass es einen Konsens im Land gibt, was die islamischen Parteien anbelangt, der sich in einem Anteil von rund 30-35% der Stimmen ausdrücken könnte. Doch gleichzeitig verbreitet sich in Ägypten auch die Vision eines säkularen Staates. Deshalb glaube ich nicht, dass Gruppen, die sich auf den Islam berufen, die absolute Mehrheit erhalten werden. Ich denke, dass sie eine relative Mehrheit erreichen könnten, und dies ist gut, denn dann werden die Menschen sehen, wie diese Gruppen handeln werden“.
Zu dem Vermutungen, dass es Absprachen über eine Machtaufteilung zwischen Militärs uns Muslimbrüdern geben könnte, sagt der Missionar: „Es gab Versuche, Absprachen dieser Art zu treffen, doch sie sind gescheitert, nicht zuletzt, weil es in den Reihen der Muslimbrüder zu einer Aufspaltung in verschiedene Gruppen und Fraktionen kam. Die Jugendlichen der Muslimbrüder, die an der Revolution teilgenommen haben erklären sogar, dass sie sich eine säkulare oder wie man hier sagt zivile Regierung wünschen. Man sollte also Theorien oder Hypothesen nicht als Fakten betrachten. Ägypten ist in Bewegung und die Forderung des Volkes nach einem echten Wandel wird zunehmend eindringlicher“. (LM) (Fidesdienst, 22/11/2011)


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