AFRIKA/ÄGYPTEN - Missionar aus Kairo: „Die Krise hat ihren Ursprung in der Vergangenheit“

Dienstag, 11 Oktober 2011

Kairo (Fidesdienst) – „Während der Jahre unter Mubarak ist die Kluft zwischen den verschiedenen Parteien größer geworden“, so der seit vielen Jahren in Kairo tätige italienische Comboni Missionar, P. Lucioano Verdoscia, zum Fidesdienst. In Kairo herrscht nach der gewaltsamen Unterdrückung einer Kundgebung koptischer Christen, bei der rund ein Dutzend Menschen ums Leben kamen und Hunderte verletzt wurden, eine angespannte Ruhe. Die Kopten protestierten gegen den Abriss einer Kirche in Aswan (Oberägypten) Ende September (vgl. Fidesdienst vom 10/10/2011).
Wie P. Verdoscia betont, muss man, um die tieferen Gründe der Diskriminierung und der Verbreitung fundamentalistischer Gruppen zu verstehen, auf die Geschichte Ägyptens der vergangenen 30 Jahre zurückblicken. „Das sage nicht nur ich, sondern vor allem Beobachter, deren Analyse von verschiedenen lokalen Kommentatoren übernommen wird“, so der Missionar, der erklärt: „Vor Sadat gab es die tiefe Spaltung, die wir heute kennen, noch nicht. Seit Beginn der Präsidentschaft Sadats in den frühen 70er Jahren, entwickelten sich die Spaltungen in verschiedene Sektoren. Diese Tendenz hat sich unter Mubarak fortgesetzt auch weil die aus Saudi-Arabien stammenden Wahabiten an Einfluss gewannen. Die damalige Regierung spielte praktisch mit diesen Gruppen, die sie zeitweise unterdrückte und andere Male frei agieren ließ, vor allem auf sozialer Ebene“.
„Die Situation ist heute sehr komplex“, so P. Verdoscia. „und es gibt nicht nur einen Schlüssel zum Verständnis. Der Islam, der unter vielen Aspekten bereits eine ideologische Religion ist, wird noch mehr ideologisiert als nötig, in einem sozialen Kontext, in dem ein Großteil der Menschen ungebildet ist und die Religion als einzigen Bezugspunkt der eigenen Identität kennt. Hinzu kommt die politische Instrumentalisierung vor allem mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen“:
Gegenwärtig wird Ägypten von einem Militärrat regiert, dem die Kopten vorwerfen, er sei nicht in der Lage sie zu schützen. Vielmehr habe er die Unterdrückung veranlasst. „Man muss daran erinnern, dass Christen keine Zugang zu hohen militärischen Rängen haben, abgesehen von einigen wenigen hohen Ämtern bei der Polizei“, so P. Verdoscia.
Der Missionar erinnert auch an die Verantwortlichkeit der westlichen Länder: „Der Westen kennt das Prinzip der Achtung religiöser Minderheiten, weshalb es mich überrascht, dass niemand eingreift, wo es muslimische Prediger gibt, die zu Gewalt auffordern und gegen die Gewissensfreiheit sind. Dies gilt natürlich auch für den gegenteiligen Fall, wo christliche Prediger den Hass gegen Muslime schüren“.
„Leider befürchte ich, dass die westlichen Regierungen ihre wirtschaftlichen Interessen aufrechterhalten wollen und dies zur Not auch zu Lasten der Rechte der Menschen. Deshalb gibt es nicht den ethischen Willen, der notwendig wäre, um die Diskriminierung von Minderheiten in den Ländern des Nahen Ostens anzuprangern“, so P. Verdoscia abschließend. (LM) (Fidesdienst, 11/10/2011)


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