Agenzia Fides
Von Paolo Affatato
Jakarta (Fides) – Ein Gemälde nimmt eine ganze Wand im Büro des Ministers für religiöse Angelegenheiten im Gebäude seines Ministeriums im Zentrum Jakartas ein. Das große Gemälde zeigt den ersten Präsidenten der Republik Indonesien, Sukarno, der einen verwundeten Kriegshelden in seinen Armen trägt. Der Gerettete ist Christ, wie man an dem Rosenkranz erkennen kann, den er um den Hals trägt. Im Hintergrund sind eine Moschee und eine Kirche zu sehen, die symbolisieren, dass „Indonesien die Heimat aller Religionen ist“, erklärt Yaqut Cholil Qoumas, auch bekannt als „Gus Yaqut“, der im Dezember 2020 von Präsident Joko Widodo zum 24. Minister für religiöse Angelegenheiten ernannt wurde. Der 49-jährige Politiker und islamische Religionsführer ist in der indonesischen islamischen Vereinigung Nahdlatul Ulama (NU) aufgewachsen und ausgebildet worden und leitete in der Vergangenheit deren Jugendorganisation „GP Ansor“, der rund 7 Millionen junge Muslime angehören. Im Vorfeld des bevorstehenden Besuchs von Papst Franziskus in Indonesien beantwortete Minister Yaqut Cholil Qoumas im Gespräch mit Fides einige Fragen.
Herr Gus Yaqut, können Sie den Auftrag des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten erläutern?
Das Ministerium hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle religiösen Menschen in Indonesien ihren Glauben frei ausüben können. Indonesien erkennt sechs Hauptreligionen an (Islam, Katholizismus, protestantisch geprägtes Christentum, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus), und allen Gläubigen muss die Möglichkeit garantiert werden, sich ohne Probleme zu ihrem Glauben zu bekennen und ein freies und unabhängiges religiöses Leben zu führen. Darüber hinaus hat das Ministerium auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es keine Fehlentwicklungen oder Abweichungen gibt, denn die Grundannahme ist, je frommer ein Mensch ist, desto leichter wird er verstehen, dass Unterschiede akzeptiert werden müssen. Wir verfolgen diesen Ansatz in vielerlei Hinsicht, zunächst durch Bildung: Eine der Aufgaben des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten ist es nämlich auch, Religionsunterricht zu gewährleisten. Mit einer angemessenen religiösen Bildung werden die Religionsgemeinschaften ihre eigene Religion immer besser verstehen. Das Ministerium steht im Dienste aller Indonesier und arbeitet eng mit den Einrichtungen der einzelnen Religionsgemeinschaften zusammen. Innerhalb des Ministeriums gibt es für jede der anerkannten Religionen eine Generaldirektion, deren Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass die Vision und der Auftrag des Ministeriums bei der jeweiligen Gemeinschaft ankommen, und dies ständig zu überwachen.
Können Sie Beispiele für Ihr Engagement im Bildungsbereich nennen?
Ich möchte die in Indonesien existierenden Bildungseinrichtungen erwähnen, die wir „Pesantren“ nennen, d. h. islamische Internatsschulen. Es gibt etwa 40 Tausend islamische Internatsschulen in Indonesien. Mit ihnen unterstützen wir einen Islam, der es auch anderen Religionen leichter macht. Für den Hinduismus gibt es beispielsweise ein spezielles Bildungsinstitut namens „Pasraman“, das lehrt, wie man den Hinduismus richtig versteht und wie man mit den Angehörigen anderer Religionen friedlich zusammenlebt. In den katholischen Schulen wird dasselbe gelehrt, nämlich dass, auch wenn es Unterschiede in der Beziehung zwischen einem Menschen und Gott gibt, trotzdem kein Grund für einen Konflikt mit dem anderen besteht. Der Buddhismus und der Konfuzianismus tun dasselbe: So profitieren wir alle davon, denn in Indonesien hat jede dieser Religionen ihre eigenen Merkmale, aber das gemeinsame Ziel und die gemeinsame Vision stimmen überein, nämlich eine moderate Denkweise und Harmonie.
Welches besondere Profil hat der indonesische Islam und was ist mit „Nusantara Islam“ gemeint?
„Islam Nusantara“ bedeutet „Islam des Archipels“ und ist ein Konzept, das von der größten islamischen Organisation der Welt, der Nahdlatul Ulama, mit mehr als 100 Millionen Mitgliedern entwickelt wurde. Da ich Mitglied bin, werde ich versuchen, eine Antwort zu geben: Was ich sagen kann, ist, dass der Islam des indonesischen Archipels weder ein neuer Islam noch eine Denkschule innerhalb des Islam ist. Aber es ist ein Islam, der sich verbreitet hat, indem er sich an die lokale Kultur angepasst hat und zu einem spezifischen indonesischen Islam geworden ist: Er respektiert die lokale Kultur, die existierte, bevor der Islam nach Indonesien kam, und er folgt unserem Propheten Mohammed, der nicht gesandt wurde, um eine neue lokale Tradition zu schaffen, sondern, wie er sagte, um das zu vervollkommnen, was in der lokalen Kultur bereits vorhanden ist. Mit der Bezeichnung „Islam Nusantara“ ist gemeint, dass der Islam nicht gekommen ist, um die bestehenden lokalen Traditionen zu verbannen, sondern dass diese bestehenden lokalen Traditionen mit dem Islam kombiniert und verschmolzen wurden, so dass sie nicht miteinander in Konflikt geraten.
Ähnlich sieht es mit der Verbreitung des Christentums in Indonesien aus...
Ja, das war auch bei der Verbreitung des katholischen Glaubens der Fall: Unsere katholischen Brüder und Schwestern in Indonesien sprechen von „Inkulturation“ und erklären damit, dass der katholische Glaube durch die Durchdringung mit der lokalen Kultur von der indonesischen Bevölkerung leicht akzeptiert wurde. Ich glaube, dass es Ähnlichkeiten in der historischen und soziokulturellen Dynamik gibt, und vielleicht ist dies der Grund dafür, dass die Beziehungen zwischen Muslimen und Katholiken in Indonesien heute sehr gut sind und von Nähe, Verständnis, Zusammenarbeit und Einheit geprägt sind.
Wird das Thema des interreligiösen Dialogs und des Zusammenlebens auch im Mittelpunkt des Besuchs von Papst Franziskus in Indonesien stehen?
Die Vision von „Nusantara Islam“, die - soweit ich sehe - vom Papst und den katholischen Religionsvertretern geteilt wird, ist folgende: Diejenigen, die sich zu einer anderen Religion als der unseren bekennen, sind unsere Brüder und Schwestern, wir sind Geschwister in der Menschheit. Auf dieser Grundlage wird die Beziehung zwischen „Nusantara Islam“ und unseren katholischen Brüdern und Schwestern in Indonesien gestärkt. Als bekannt wurde, dass der Papst nach Indonesien kommen würde, freuten sich daher auch die muslimischen Gläubigen, denn wir teilen dieselben Visionen und Werte. Ich muss sagen, dass die Beziehungen zur katholischen Kirche recht eng sind: In den vergangenen Jahren haben mehrmals Delegationen indonesischer muslimischer Religionsvertreter den Vatikan besucht. Zweimal habe ich selbst an einem solchen Besuch teilgenommen, und beim letzten Mal wurden wir vom Papst persönlich empfangen und konnten ein Dokument zur Unterstützung der Erklärung von Abu Dhabi über die Brüderlichkeit der Menschen überreichen, das vom Papst und dem Großimam von Al-Azhar unterzeichnet wurde: Wir teilen die Sehnsucht, eine Friedensbotschaft in die Welt zu senden und zum Frieden aufzurufen.
Auch der Großimam der Al Azhar hat in diesem Jahr Indonesien besucht…
Im Juli kam Scheich Ahmed al Tayyeb zu einem Besuch nach Indonesien, wir hatten herzliche Begegnungen und einen Dialog mit den indonesischen Katholiken. Und jetzt, nach so kurzer Zeit, ist es für uns Indonesier sicherlich eine Ehre und ein Stolz, den Papst zu begrüßen: Wir werden bei dem Treffen mit dem Papst und den religiösen Führern anwesend sein, das ist ein Impuls, der nicht verschwendet werden darf. Der indonesische Präsident Joko Widodo, der den Papst auch als Staatsoberhaupt begrüßen wird, wollte von Anfang an betonen, dass der Besuch ein Symbol der Freundschaft und des Dialogs zwischen den Religionsgemeinschaften ist, und wies darauf hin, dass er die bilateralen Beziehungen zwischen Indonesien und dem Vatikan weiter stärken wird.
Dies ist auch ein günstiger Moment für die gesamte indonesische Nation, um Indonesien zu einer Art „Barometer“ für ein harmonisches und friedliches religiöses Zusammenleben zu machen. Die Anwesenheit des Papstes hier ist also eine Art Anerkennung für das Leben und die Beziehungen zwischen den Religionen in Indonesien, die unter dem Banner der Koexistenz und der Toleranz gelebt werden, trotz aller Unterschiede, die es gibt. Wir glauben, dass dies für viele eine Inspiration sein kann.
Was wünschen Sie sich für den Besuch des Papstes, als Vertreter der Regierung und als gläubiger Mensch?
Wir hoffen, dass der Besuch des Papstes dazu dienen wird, in diesem Teil der Welt und auch auf universeller Ebene zu zeigen, was die Religion immer lehrt, nämlich das Mitgefühl mit dem Nächsten. Alle Menschen sind unterschiedlich geschaffen, ich denke, das ist Gottes Wille, und Gott lehrt immer das Mitgefühl mit anderen Menschen. Gott hat uns unterschiedlich geschaffen, nicht gleich, aber er will, dass wir vereint und solidarisch miteinander sind, dass wir einander respektieren und einander lieben. Liebe und Barmherzigkeit sind die Schlüsselwörter: Wir wollen betonen, dass wir unsere zwischenmenschlichen Beziehungen mit Liebe und Mitgefühl leben und pflegen. Die indonesische Nation übersetzt und drückt all dies in dem Motto „Einheit in Vielfalt“ aus, das auf die gesamte Menschheit ausgedehnt werden kann.
(Fides 24/8/2024)
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