AFRIKA/D.R. KONGO - Kardinal Ambongo: “Skrupellose Gier” ist der Ursprung des Neokolonialismus

Donnerstag, 21 März 2024

Von Luca Attanasio

Kinshasa (Fides) – Der Erzbischof von Kinshasa, Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, leitet nicht nur die Diözese der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo (DRK), sondern bekleidet auch andere wichtige Ämter für die Weltkirche, für Afrika und für sein Land: Er ist Vorsitzender des Symposiums der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar (SECAM) und Mitglied (mit einem vor einem Jahr vom Papst erneuerten Mandat) des Kardinalsrats (K9). Er hat auch wiederholt eine führende Rolle in politischen Angelegenheiten in Afrika und der Demokratischen Republik Kongo gespielt, wo die katholische Kirche bei politischen Wahlen Tausende von Beobachtern stellt und sich für die Förderung des Dialogs zwischen den politischen und sozialen Kräften des Landes einsetzt. Der Kardinal selbst war Mitvorsitzender des „Nationalen Dialogs“, der die Demokratische Republik Kongo Ende 2018 dank der Unterzeichnung des Silvester-Abkommens zu Neuwahlen führte.
Vor kurzem hielt Kardinal Ambongo in Rom eine Konferenz zum Thema "Mission und interreligiöser Dialog in Afrika" an der Päpstlichen Universität Antonianum.


Ursprünge und wirtschaftliche Auswirkungen des Neokolonialismus

In seinen Reden äußert sich der Kardinalerzbischof von Kinshasa häufig kritisch über die Vorgehensweise einflussreicher westlicher Mächte gegenüber der Demokratischen Republik Kongo und anderen afrikanischen Staaten. Das jüngste Abkommen zwischen der Europäischen Union und Ruanda über die Ausbeutung natürlicher Ressourcen sein ein eklatantes Beispiel für die Kontinuität einer kolonialistischen Mentalität, so der Kardinal. "Wie bekannt", erklärte Kardinal Ambongo gegenüber Fides, "wurde vor einigen Wochen ein Abkommen zwischen der EU und Ruanda über die Ausbeutung von Bodenschätzen und anderen Ressourcen unterzeichnet, die in Wirklichkeit nicht in Ruanda, sondern im Kongo liegen. Das ist untragbar und sorgt für viel Verwirrung in einer Region, der Region der Großen Seen, in der es bereits große Spannungen gibt. In der gesamten Region herrscht nämlich ein Krieg, wenn auch ein unerklärter, ein kalter Krieg zwischen Burundi, Ruanda, Uganda und dem Kongo. Ein Krieg, bei dem das einzige Schlachtfeld der Kongo ist, und das erste Opfer dieser Situation ist unser Volk. Letztendlich können verschiedene Gründe angeführt werden, aber es läuft alles auf einen hinaus: die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen".
Der Kongo ist eines der rohstoffreichsten Länder der Welt. Dabei handelt es sich um Güter, die sich in jeder Phase der Geschichte als absolut unverzichtbar für die Welt erwiesen haben: Kautschuk zu Beginn des letzten Jahrhunderts, dann Gold, Diamanten, Öl und jetzt Coltan und Kobalt. Kostbare Bodenschätze, die in einem der ärmsten Länder der Welt konzentriert sind.
"Wir leiden unter großer Armut", sagt Kardinal Ambongo, "und das, obwohl der Kongo ein Land mit enormem Potenzial ist“. Nach Ansicht des Kardinals zahlt das Land den Preis für eine Reihe sehr negativer Faktoren, angefangen bei der "mangelnden Bereitschaft der Machthaber, diese Reichtümer zum Wohle aller und nicht nur zum Nutzen kleiner Kreise zu nutzen". Der Kardinal stellt auch "den Expansionshunger und die skrupellose Gier derjenigen in Frage, die diese Menschen verwalten, nämlich Europa, Nordamerika, Indien, China. Der Kongo ist der Teller, von dem alle essen, nur unser Volk nicht". Neben der Armut verweist der Erzbischof von Kinshasa auch auf die unsicheren Verhältnisse, die vor allem den Osten des Landes prägen, wo "ein sehr wichtiger Teil des Kongo (die Regionen Nord- und Süd-Kivu und Ituri, Anm. d. Red.) nicht mehr von Kinshasa kontrolliert wird, sondern im Wesentlichen unter der Macht Ruandas, Burundis und Ugandas steht (ein immer größeres Gebiet von Kivu wird heute von der pro-ruandischen Gruppe M23 kontrolliert, Anm. d. Red.) All dies ist auch deshalb nicht hinnehmbar, weil es mit dem Segen der internationalen Gemeinschaft geschieht".



“Hände weg von Afrika”

Etwas mehr als ein Jahr ist seit dem Besuch von Papst Franziskus im Kongo und im Südsudan vergangen. "Hände weg von Afrika!" Sagte der Papst in seiner berühmten Rede in Kinshasa. Worte, die sowohl innerhalb der Kirche als auch in der Welt der internationalen Politik ein Umdenken auslösten. "Nach der Reise des Papstes durch den Kongo und nach seiner Rede", so Kardinal Ambongo, "kann niemand mehr sagen: 'Ich habe es nicht gewusst' oder so tun, als ob er es nicht gewusst hätte. Der Papst ist vom Kongo, einem Symbol der Ausbeutung, ausgegangen, um den Diskurs auf einen ganzen Kontinent auszuweiten und die Gewissen aufzurütteln. Es ist erst ein Jahr vergangen, und die praktischen Veränderungen, zu denen der Papst auf der Ebene der Ausbeutung aufgerufen hat, sind noch immer nicht sichtbar. Auf der Ebene des Bewusstseins hat sich meiner Meinung nach jedoch viel verändert".


„Mehr Fragen als Antworten" zum tragischen Schicksal des italienischen Botschafters Luca Attanasio

Am 22. Februar, dem dritten Jahrestag der Ermordung des italienischen Botschafters Luca Attanasio, seines Begleiters Carabiniere Vittorio Iacovacci und des Fahrers Mustapha Milambo, feierte Kardinal Ambongo in der Kathedrale von Kinshasa eine Messe zum Gedenken. Erzbischof Ambongo kannte Luca Attanasio gut und hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm. Sein Tod und die Geschichte der Prozesse, die mehr Zweifel als Gewissheit hinterlassen haben, bleiben eine offene Wunde. „Die Geschichte von Luca Attanasio ist für mich ein persönliches Leid. Luca war nicht nur der italienische Botschafter in Kinshasa, sondern auch ein Freund, der mich oft besuchte. Er ging überall hin und war sehr freundlich zur Bevölkerung und tat so viel für die Armen in Form von Wohltätigkeit. Dass ein solcher Mensch auf diese Weise ums Leben kam, ist für mich immer noch ein großer Schock. Leider wissen wir bis heute nicht, was passiert ist, aber ich bin sicher, die italienische Regierung weiß es. Im April 2023 endete der Prozess vor dem Militärgericht in Kinshasa gegen die mutmaßlichen Organisatoren und Täter des Überfalls mit einem Todesurteil, das später auf Intervention der Familie von Attanasio und des italienischen Staates in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde. Es ist eine unglaubliche Geschichte und es gibt mehr Fragen als Antworten", kommentiert Kardinal Ambongo, "aber eines kann ich mit Gewissheit sagen: die fünf verhafteten und verurteilten Personen sind nur Sündenböcke, wir alle wissen, dass jemand beschuldigt werden musste, um den Fall schnell abzuschließen, aber sie hatten nichts mit dem Mord zu tun“.


Reaktionen auf das Dokument “Fiducia supplicans”

Die Veröffentlichung des Dokuments „Fiducia supplicans“ löste in Afrika viele Diskussionen und nicht wenige Reaktionen aus. Kardinal Ambongo hat in seiner Eigenschaft als Präsident der SECAM Beratungen innerhalb der Kirchen Afrikas eingeleitet, hörte die Bischofskonferenzen an und traf sich dann direkt mit dem Papst.
"Das Problem", so Kardinal Ambongo, "war, dass die Reaktionen auf ‚Fiducia supplicans‘ chaotisch waren. Es gab Bischöfe und Priester, die an den Papst geschrieben haben, andere, die heftige Kritik geübt haben. Ich als Präsident der SECAM konnte nicht zulassen, dass es so weitergeht, dass es Reaktionen ohne Kriterium gibt. Deshalb habe ich die Bischofskonferenzen, nicht einzelne Personen, gebeten, mir ihre Reaktionen mitzuteilen. Wir haben also eine Zusammenfassung all dieser Reaktionen gemacht, und ich habe den Papst aufgesucht. Wir haben lange miteinander gesprochen. Für mich gab es zwei Dinge zu beachten: Wir mussten die afrikanischen Gläubigen beruhigen, die sich durch dieses Dokument wirklich verletzt fühlten, und auch die Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater bewahren. So entstand aus unserem Gespräch eine Erklärung, die veröffentlicht wurde, mit dem Text 'Keine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in afrikanischen Kirchen'. Daraufhin haben sich die Dinge beruhigt. Papst Franziskus hat eine Lösung gefunden. Und ich bin dem Papst sehr dankbar, dass er große Offenheit und pastorales Gespür bewiesen und auf die Stimme der Kirche in Afrika gehört hat".
(Fides 21/3/2024)


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