Vatikanstadt (Fidesdienst) - Das Pressesamt des Heiligen Stuhls veröffentlichte ein Interview, das des Sekretärs für die Beziehungen zu den Staaten im Staatssekretariat, Erzbischof Giovanni Lajolo mit Radio Vatikan zur Internationalen Konferenz für den Libanon, die gestern in Rom stattfand und an der er als Beobachter teilnahm. Es folgt der vollständige Wortlaut des Interviews:
Gestern fand auf Initiative der Vereinigten Staaten und Italiens eine internationale Konferenz für den Libanon statt, an der die „core group“ zum Libanon und andere Länder teilnahmen. Das Presseamt des Heiligen Stuhls gab bekannt, das auch eine Delegation unter Ihrer Leitung im Beobachterstatus an der Konferenz teilnahm. Können Sie uns diesen Umstand erklären?
Wie bekannt ist, ist der Heilige Stuhl direkt am Frieden im Nahen Osten interessiert, wie er bei zahlreichen Gelegenheiten unter Beweis gestellt hat. Auf Einladung der Vereinigten Staaten und Amerikas konnte er gestern an der Konferenz in der Eigenschaft als Beobachter teilnehmen; dem eigenen Wesen nach ist dies die Eigenschaft, in der der Heilige Stuhl normalerweise bei Internationalen Organisationen vertreten ist.
Wie schätzen Sie die Konferenz ein?
Es ist mit Sicherheit positiv, dass sie auf Initiative der Italienischen so rasch einberufen wurde und dass die wichtigsten Themen des Moments im Mittelpunkt standen.
Die Beschlüsse, die in der Erklärung der beiden Vorsitzenden, der amerikanischen Außenministerin Condoleeza Rice und des italienischen Außenministers Massimo D’Alema enthalten sind, wurden jedoch als eher enttäuschend bezeichnet. Wie denken Sie darüber?
Mit Sicherheit waren die Erwartungen der Öffentlichkeit groß, doch aus der Sicht der Beteiligten, die die Schwierigkeiten kennen, kann man die Ergebnisse vielleicht als schätzenswert bezeichnen. Ich möchte dabei vor allem auf folgende positive Aspekte hinweisen:
1. Die Tatsache das Länder aus verschiedenen Teilen der Welt, von Kanada bis Russland, sich im Bewusstsein des Ernstes der Ereignisse im Libanon trafen und dabei die Notwendigkeit hervorhoben, dass so bald als möglich dessen Souveränität wieder hergestellt werden muss, und dabei die eigene Hilfe anboten.
2. Der Antrag auf die Schaffung einer internationalen Truppe mit einem Mandat der Vereinten Nationen, die die regulären Streitkräfte des Libanon bei Sicherheitsfragen unterstützen soll.
3. Das Engagement für sofortige humanitäre Hilfen für das libanesische Volk und die Versicherung der Unterstützung beim Wiederaufbau durch die Einberufung einer Geberkonferenz. Mehrer teilnehmende Länder haben die Bereitstellung von umfangreichen Hilfen vorgestreckt, die jedoch noch nicht ausreichen, um die enormen Bedürfnisse des Landes zu decken.
4. Positiv ist auch die Verpflichtung der Teilnehmerländer nach dem offiziellen Abschluss der Konferenz weiterhin miteinander in Kontakt zu bleiben, was die weiteren Entwicklungen hinsichtlich des Eingreifens der internationalen Gemeinschaft im Libanon anbelangt.
Was hat dann zu diesem Eindruck der Enttäuschung geführt?
Vor allem die Tatsache, dass kein sofortiger Waffenstillstand gefordert wurde. Die Einstimmigkeit kam nicht zustande, weil einige Länder der Meinung waren, dass ein solcher Appell nicht das gewünschte Ziel erreicht hätte, während es für realistischer gehalten wurde, das eigene Engagement für das Erreichen einer unverzüglichen Einstellung der Feindseligkeiten zum Ausdruck zu bringen: dieses Engagement wurde versprochen und dieses Versprechen kann auch eingehalten werden.
Es ist auch problematisch, dass nur Israel aufgefordert wurde mit der größtmöglichen Mäßigung vorzugehen: diese Aufforderung ist ihrem Wesen nach unvermeidlich zweideutig, während es mit Blick auf die unschuldige Zivilbevölkerung um eine präzise und unumgängliche Pflicht geht.
Wie beurteilt die libanesische Regierung die Konferenz?
Auf der einen Seite hat der Premierminister Siniora die Möglichkeit, die ganze Dramatik der Situation darzustellen, in der das Land sich befindet und seinen Plan für die sofortige und definitive Überwindung des Konflikts mit Israel darzulegen; auf der anderen Seite konnte er die positiven Bemühungen, die die internationale Staatengemeinschaft unternimmt, um dem libanesischen Volk zu helfen, die Feindseligkeiten zu beenden und die Kontrolle seiner Regierung über das Land zu stärken, beobachten und ermutigen.
Am gestrigen Nachmittag bat Premierminister Siniora in Begleitung des Außenministers Salloukh, um ein Treffen mit dem Kardinalstaatsekretär und mit mir. Dabei begrüßte er das Engagement mit dem der Heilige Vater persönlich und der Heilige Stuhl den Konflikt verfolgt, der den Libanon erschüttert und er bat um weitere Unterstützung für sein Land auf internationaler Ebene. Er erinnerte auch daran, dass Papst Johannes Paul II. den Libanon nicht nur als ein Land, sondern als „eine Botschaft“ für alle Völker bezeichnete, wegen des ausgeglichenen Zusammenlebens verschiedener Religionen und Konfessionen im selben Staat. Dies ist mit Sicherheit die historische Berufung des Libanon, die sich verwirklichen können muss. Der Heilige Stuhl wird sich weiterhin mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzen, dass das Land wieder zu jenem „Garten“ im Nahen Osten wird, das es vorher war.
Konnten Sie n Ihrer Eigenschaft als Beobachter, Exzellenz, zumindest indirekt auf die Arbeiten der Konferenz Einfluss nehmen?
Der Beobachter hat kein Rederecht, und ich wurde auch nicht darum gebeten. Ich bin jedoch der Ansicht, dass auch die stille Präsenz eines Beobachters des Heiligen Stuhls am Tisch der Delegationsführer eine Bedeutung hat, die eindeutig wahrgenommen werden kann.
Wie sieht die Position des Heiligen Stuhls zum Thema nach der Konferenz aus?
Der Heilige Stuhl ist weiterhin für eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten. Die bestehenden Probleme sind vielfältig und sehr komplex. Gerade weil sie nicht alle auf einmal bewältigt werden können; auch wenn man den allgemeinen Rahmen und die globale Lösung, die erreicht werden muss vor Augen hat; müssen die Probleme „per partes“ gelöst werden, wobei man bei denen beginnen muss, die sofort lösbar sind. Die Position derer, die die Ansicht vertreten, dass vor allem die Bedingungen dafür geschaffen werden müssen, das nicht noch einmal gegen den Waffenstillstand verstoßen wird, ist nur auf den ersten Blick realistisch: denn diese Bedingungen können und müssen mit anderen Mitteln geschaffen werden und nicht mit der Tötung unschuldiger Menschen. Der Papst ist den Bevölkerungen nahe, die Opfer der Auseinandersetzungen und eines Konflikts sind, mit dem sie nichts zu tun haben. Benedikt XVI. betet dafür und mit ihm die ganze Kirche, dass der Tag des Friedens vielmehr heute als morgen kommen möge. Er betet zu Gott und bittet die politischen Verantwortlichen inständig. Der Papst weint mit jeder Mutter, die um ihren Sohn trauert und mit jedem Menschen, der um einen Angehörigen trauert. Eine umgehende Einstellung der Feindseligkeiten ist möglich: deshalb ist sie eine Pflicht. (Fidesdienst, 27/07/2006 - 96 Zeilen, 1.015 Worte)