Kabul (Fides) - "Die Situation in Afghanistan ist unter allen Gesichtspunkten besorgniserregend, da der Abzug der amerikanischen Soldaten der Opposition, d.h. den Taliban, viel Raum lassen könnte. Die Zukunft des Landes ist unvorhersehbar und viele Analysten schließen das Risiko eines Rückfalls in den Bürgerkrieg, wie er bereits 1992 stattgefunden hat, nicht aus. Die getroffenen Vereinbarungen lassen zwar einen Lichtblick aufkommen, aber es besteht die Befürchtung, dass dies von nun die Fortschritte, die es in der afghanische Zivilgesellschaft in den letzten zwanzig Jahren gegeben hat, könnten rückgängig gemacht werden könnten. Dies waren keine riesigen Fortschritte, aber während der Anwesenheit der NATO-Truppen stieg zum Beispiel die Lebenserwartung der Afghanen von 40 auf 60 Jahre, und das Bildungsniveau stieg auch bei der weiblichen Bevölkerung", so der aus Italien stammende Pater Giuseppe Moretti von den Barnabiten, der von 1990 bis 2015 als Missionar in Afghanistan tätig war, davon seit 2002 als Oberer der Missio sui iuris in Kabul, im Interview mit Fides zu den möglichen Folgen des Abzugs der NATO-Truppen aus dem Land.
Nach Ansicht von P. Moretti, ist auch das Massaker an Studentinnen in Kabul am 8. Mai, ist ein Signal für die Absichten der Fundamentalisten: „Es wurde nicht irgendeine Gruppe von Studenten angegriffen: Die Terroristen wollten Mädchen treffen, die nach einem Schultag nach Hause zurückkehrten. Dies ist eine klare Botschaft, was für Frauen mit einer möglichen Machtübernahme durch die ehemaligen Taliban zu erwarten ist. Wir erinnern uns, dass während ihrer Regierungszeit beschlossen wurde, die Schulbildung von Mädchen mit 8 Jahren zu beenden.“
Der Wandel im Land, so der Barnabit, sei vor allem das Verdienst der Frauen: "Afghanische Frauen sind intelligent, entschlossen, sie wollen die Sklaverei, unter der sie lebten, beenden und dabei das islamische Recht beibehalten. Es gibt eine echte Bewegung: Viele Mädchen gehen zur Schule, machen ihren Führerschein, streben eine Karriere an, und jetzt wird befürchtet, dass all dies verloren gehen könnte."
Die Hoffnung des Landes, so Pater Moretti, sei die neuen Generation, die die Repressionen der Taliban-Regierung nicht gekannt hat: "Die afghanischen Jugendlichen wurden in diesen zwanzig Jahren gut ausgebildet und müssen zweifellos die treibende Kraft werden, oder vielleicht sind sie es bereits, um einer möglichen Rückkehr in die Vergangenheit entgegenzuwirken. Sie haben studiert, sie haben die modernen Mittel, sie wissen, was Freiheit ist. Einer der positiven Aspekte der internationalen Präsenz in den letzten Jahren war die Verbreitung der Kommunikationsmittel und die positiven Werte des menschlichen Lebens in Freiheit. Wir müssen Hoffnung und Vertrauen haben und beten, dass die westliche Welt in diesem kritischen Moment wirklich an der Seite Afghanistans bleibt".
Unterdessen berichtet die NGO "Human Rights Watch", dass in Afghanistan die ersten negativen Folgen des Abzugs der Westmächte bereits zu spüren sind: Die Bevölkerung verarmt zunehmend und die medizinische Versorgung wird im Allgemeinen durch ausländische Hilfsprogramme garantiert und wird für viel zunehmend unzugänglich, insbesondere für Frauen und allgemein für die Bewohner ländlicher Gebiete.
(LF-PA) (Fides 24/5/2021)