Vatikanstadt (Fidesdienst) - Der Fidesdienst sprach mit Kardinal Joachim Meisner, Erzbischof von Köln, am Rande des von der Kongregation für die Evangelisierung der Völker und der Päpstlichen Universität Urbaniana zum 40jährigen Jubiläum des Konzilsdekrets „Ad gentes“ veranstalteten Internationalen Kongresses. Der Kardinal hielt bei dem Internationalen Kongress einen Vortrag.
Ein Christ, haben Sie in Ihrem Vortrag gesagt, ist nur authentisch, wenn er Missionar ist. Was sind heute Ihrer Meinung nach die Prioritäten für die Ortskirchen in Europa im Hinblick auf diese Wahrheit?
Die Kirche ist hier eingetreten in die Nachfolge des alttestamentlichen Gottesvolkes, Israel ist immer berufen worden, zugunsten der noch nicht Berufenen, und die Kirche ist ebenfalls, als das neutestamentliche Gottesvolk berufen für die noch nicht Berufenen. Der ägyptische Josef wurde auserwählt, um seine elf verworfenen Brüder zu retten, und Josef wird gerettet durch die Rettung dieser elf verworfenen Brüder. Und so ist es auch mit der Kirche: Die Kirche ist nur die Kirche Jesu Christi, wenn sie immer auf dem Wege der Mission ist. Alles, was die Kirche hat, hat sie von Jesus Christus. Sie hat nichts von sich, sie hat alles aus Jesus Christus! Und alles, was die Kirche hat, hat sie nicht für sich selbst, sondern für die anderen. Darum ist sie nur die Kirche Jesu Christi, wenn sie mit der einen Hand die Gaben Christi empfängt und mit der anderen die Gaben Christi austeilt, d. h., es muss die Grunderfahrung jedes Christen sein: er ist ein Gesandter, er ist ein Missionar.
Heute haben Sie Ihren Vortrag an der Päpstlichen Universität Urbaniana gehalten. Wie könnte Ihrer Meinung nach diese Universität dazu beitragen, dass zukünftige Missionare besser vorbereitet werden.
Ich habe mir heute gedacht, ich bin jetzt schon so lange Kardinal - 23 Jahre - und bin zum ersten Mal hier in der Urbaniana. Das ist eigentlich ein schlechtes Zeichen. Ich habe mir gedacht: Wenn es die Urbaniana nicht gäbe, würde man gar nicht merken, dass die Universalkirche missionarisch ist. Also die Präsenz der Propaganda Fide und der Urbaniana ist ein Symbol dafür, dass die Kirche nicht vergessen darf, dass sie unterwegs sein muss, um die Völker zu missionieren. Das ist das Erste. Das zweite, was ich sagen möchte: Es ist gut, dass wir eine Universität haben, die sich ausdrücklich diesem Auftrag widmet, das Evangelium unter die Heiden, unter die Nichtglaubenden zu bringen, und ich erwarte von dieser Universität, dass die Professoren und die Universität, den Schülern, den Studenten zunächst einmal ein katholisches Selbstbewusstsein vermitteln. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir katholische Christen unter einem katholischen Minderwertigkeitskomplex leiden, dass wir sagen, wir sind sozusagen die letzten Mohikaner, die letzte Nachhut des Mittelalters, und genau das Gegenteil ist der Fall. Wir sind die erste Vorhut einer Zukunft, von der die meisten Zeitgenossen noch keine Ahnung haben. Das muss die einzelnen Studenten mit katholischem Selbstbewusstsein und mit einem demütigen Siegesbewusstsein erfüllen. Zum zweiten müssen sie auch präzise und sachlich die Methoden einer missionarischen Pastoral beherrschen. Aber dies ist nur das Instrumentarium und somit zweitrangig, das Erste ist die Freude an Gott, die unsere Stärke ist, das Glaubensbewusstsein.
Eminenz, Sie sind bekannt als großer Marienverehrer und Sie haben viele Heiligtümer besucht, aber es gibt bestimmt eines, dass Ihnen besonders am Herzen liegt und zwar Fatima. Welchen Einfluss hatte und hat die Botschaft von Fatima Ihrer Meinung nach auf das missionarische Bewusstsein der Christen und der Kirche?
Die erste Missionarin ist tatsächlich Maria. Sie empfängt in der Kammer von Nazareth Christus durch die Kraft des Heiligen Geistes und sofort bricht sie auf und sie geht eilends - nicht langsam - über die Berge zu ihrer Base Elisabeth, um ihr in ihrer schweren Stunde beizustehen. Hier können wir etwas Typisches für die Mission lernen. Ein Mensch der voll des Heiligen Geistes ist, der bleibt nicht in seiner Wohnung, sondern der bricht auf und er geht eilends zu den anderen und er steht den anderen bei. Maria steht ihre Base Elisabeth bei und sie löst das erste neutestamentliche Gotteslob aus: sie betritt das Haus der Elisabeth und diese singt das erste marianische Antephon „Selig, bist du Maria, weil du geglaubt hast“ und Maria singt sofort das schönste Lied, was wir Christen haben, das „Magnifikat“, d.h. der Heilige Geist ist Beistand, und der Heilige Geist ist derjenige, der die Zungen löst und er ist Lebensspender. Maria hilft, dass Elisabeth das Kind zur Welt bringt. Und wenn ich sage, Maria ist die erste Missionarin, dann ist der erste Missionar der Heilige Geist. Darum erkennen wir in Maria, was der Heilige Geist tut. Er drängt zum Aufbruch, er ist der Beistand, der den anderen das Leben spendet und er löst die Zungen zum Christuslob: sie singen, sie schimpfen nicht: es ist eine Kirche im Vormarsch mit Maria.
Zu Ihrer Frage inwiefern die marianische Botschaft gerade für das moderne Europa und damit für die Welt durch die Fatimabotschaft wirksam geblieben ist, möchte ich sagen: Ich kannte Fatima nur vom Hören-Sagen und ich muss sagen, es hat mich gar nicht so innerlich tangiert, denn ich bin ja erst neun Monate vor der Wende von Berlin nach Köln gekommen und der Heilige Vater Johannes Paul II. bat mich 1990 am 13. Mai, die erste große Fatima-Wallfahrt nach der kommunistischen Wende zu feiern. Er sagte, ich sei als Bischof von Berlin auch Bischof von zwei verschiedenen gesellschaftlichen Systemen geworden - von Kommunismus und Kapitalismus. Er sagte: Du bist qualifiziert, dort die Feier zu halten und da ging mir erst das auf, was die spezifische Mission von Fatima für die moderne Welt ist: ein halbes Jahr bevor der Kommunismus in Osteuropa das Licht, das heißt das Licht des Glaubens, ausgelöscht hat, ist am anderen Ende Europas, nämlich in Fatima durch die Erscheinung der Muttergottes das Licht schon wieder angezündet worden, für ganz Europa. Und Maria ist nicht in eine Universität gekommen, sie hat nicht Professoren ihre Botschaft überbracht, sondern sie ist in die Normalität des grauen Alltags zu armen, aber innerlich wachen Kindern gekommen. Und sie hat ihnen diese für Europa und die Welt umstürzende Botschaft anvertraut, dass durch den Beistand Mariens der Kommunismus gleichsam unterwandert wird und dass Maria das Licht auch in Osteuropa wieder anzünden wird. Und das ist die hinreißende Botschaft von Fatima, die das moderne politische und menschliche Leben mehr verändert hat, als das je ein Politiker geahnt hat.
Eine kurze letzte Frage: Sie kennen den Papst seit vielen Jahren. Welcher Impuls wird Ihrer Meinung nach von ihm für die ganze Kirche und deren missionarisches Wesen ausgehen können?
Ich denke, dass der Papst mit seinem eigenen Charisma, als ein Theologe im Stil der Kirchenväter, der Kirche diese Horizonte eröffnen wird: die Kirche ist in der Gesellschaft, auf allen Längen und Breitengraden dieser Welt von äußerster Wichtigkeit ist, weil sie betraut ist mit der Botschaft Christi. Christus ist die Lösung aller menschlichen Probleme. Ich denke, in der Globalisierung wird man sich immer stärker bewusst werden, dass es nur die Lösung gibt, die das Evangelium anbietet. Der Papst wird das sehr plausibel machen. Das haben wir gesehen an seiner ersten Enzyklika, die eigentlich von allen christlichen Denominationen akzeptiert wird und auch von den nichtchristlichen Religionen und letztlich auch von den Ungläubigen. In einer deutschen Zeitung stand: außer der Bibel hat niemand so schön und so innerlich überzeugend über die Liebe geschrieben wie Papst Benedikt XVI. Wir können große Hoffnung diesbezüglich auf ihn haben und es ist ja nicht ohne den Beistand des Heiligen Geistes geschehen, dass ein 78-Jähriger Papst geworden ist. Da hat die göttliche Vorsehung eine ganz bestimmte Absicht damit und ich denke, die Welt und wir alle werden noch staunen, was dieser Papst uns diesbezüglich schenken wird. (Fidesdienst, 15/03/2006 - 100 Zeilen, 1.262 Worte)