Karjatain (Fides) – In den vergangenen Monaten kamen in der syrischen Stadt Karjatain (al-Qaryatayn) zahlreiche Christen unter den unterschiedlichsten Umständen ums Leben, nachdem sich die vor kurzem von der syrischen Armee zurückeroberten Stadt seit August 2015 in den Händen der Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) befand. Einheimische Beobachter dementieren jedoch Nachrichten, die in den vergangenen Tagen von der internationalen Presse in Umlauf gebracht wurden und mit Bezug auf Erklärungen des syrisch-orthodoxen Mar Ignatios Aphrem II. von einem Blutbad unter Christen in Karjatain.
Wie aus Recherchen des Fidesdienstes hervorgeht, können Blutbäder unter Christen in Karjatain während der vergangenen acht Monate unter der Besatzung des IS ausgeschlossen werden, wohingegen sich zahlreiche Umstände bestätigen lassen, die ganz Syrien in den vergangenen fünf Jahren erschütterten und auch wehrlose christliche Gemeinden in Gefahr brachten.
Wie Beobachter berichten gab es in der Zeit vom 5. bis 20. September 2015 unter den Christen in der belagerten Stadt Karjatain, die einen so genannten “Schutzvertrag” unterzeichnet hatten (vgl. Fides 7/10/2015) fünf Tote: davon starben vier eines natürlichen Todes, während ein junger Christ bei einem Bombenangriff der Koalition zur Bekämpfung des IS ums Leben kam. Am 22. September wurde ein Christ wegen angeblicher Blasphemie getötet, weil er muslimische Arbeiter, die zusammen mit ihm in einem Weinberg arbeiteten, gehört haben sollen, wie er fluchte. Unterdessen waren bereits Anfang September drei Christen aus Karjatain zusammen mit einem Christen aus Qamishli und einem weiteren aus Sadad als Geißeln nach Raqqa gebracht worden. Einige Wochen später wurde berichtet, dass die Christen in der Hochburg des Islamischen Staates getötet worden sein sollen, was bei den Recherchen des Fidesdienstes jedoch nicht bestätigt wurde.
Seit Oktober gelang es den Christen aus Karjatain auch mit Hilfe muslimischer Freunde, in kleinen Gruppen die Stadt zu verlassen und sich auf den Weg nach Homs zu machen, um in die von der syrischen Armee zurückeroberten Dörfer zu gelangen, während die Koalition zur Bekämpfung des IS die Luftangriffe intensivierte. Zuerst wurde jungen unverheirateten christlichen Frauen, die Rückkehr ermöglicht. Am 10. Oktober konnte auch der Prior des Klosters Mar Elian, Pater Jacques Murad, die Stadt verlassen, den die Dschihadisten im Mai verschleppt und zusammen mit rund 250 anderen christlichen Geiseln nach Karjatain gebracht hatten.
Nachdem den ersten Christen die Flucht gelungen war, wurden zehn Christen von Dschihadisten gefoltert, damit wie sich zum Islam bekehrten. Zuvor hatten Priester und christliche Ortsvorsteher die Gläubigen aufgefordert, sich in solchen Fällen mit einer Bekehrung einverstanden zu erklären, um das eigenen Leben zu schützen.
Christliche Familien auf der Flucht suchten üblicherweise auf dem Weg Schutz in einem Bauernhof in einem weder von der Armee noch vom Islamischen Staat kontrollierte Zone. Von dort aus wurden die zu Fuß ankommenden Flüchtlinge von fünf Christen und sechs Muslimen bei der Organisation des Weitertransports nach Homs unterstützt. Im Dezember drangen rund 50 Kämpfer einer vom IS unabhängigen bewaffneten Gruppe in den Bauernhof ein und töteten die fünf Christen und sechs Muslime, um das Hab und Gut zu plündern, das die Flüchtlinge hier vorübergehend zur Aufbewahrung hinterlassen hatten.
Die letzten drei Christen starben in Karjatain bei Bombenangriffen im Rahmen der Rückeroberung durch die syrische Armee mit Unterstützung Russlands.
Dies zeigt, dass die tragischen Ereignisse der vergangenen fünf Jahre im syrischen Konflikt, nicht immer kritiklos den Schemen ideologischer Propaganda untergeordnet werden können: in Karjatain wurden auch Muslime getötet, die ihren christlichen Freunden bei der Flucht vor der Gewalt halfen, in der Hoffnung auf die „Rückkehr zu einem ruhigen Leben“, wie es der heilige Paulus in seinem ersten Brief an Thimothäus beschreibt.
(GV) (Fides 12/4/2016).