ASIEN/IRAK - Der erste Schultag im Irak: Aus den alten Schulbüchern wurden die Seiten mit Fotos von Saddam Hussein herausgerissen. Ein Augenzeuge berichtet

Montag, 4 Oktober 2004

Bagdad (Fidesdienst) - Der im Irak tätige syrisch-katholische Pfarrer Nizar Semaan berichtet für den Fidesdienst über den ersten Schultag aus dem Norden des Landes.
„Es ist 7.45 Uhr morgens und ich stehe vor dem Eingang der Grundschule. Viele Schüler freuen sich, was man an einem Lächeln in ihrem Gesicht erkennt, andere sind noch müde und haben keine Lust zum Reden. Viele haben keine Schultasche dabei, weil sie noch keiner Bücher und Hefte haben. Andere, die eine Schultasche mit sich tragen haben nur ein Heft oder einen Stift eingepackt. Die meisten sind gut gekleidet.
Ich spreche einen elfjährigen Jungen an, und frage ihn, wie er über das neue Schuljahr denkt. Er antwortet: „Ich wünsche mir, dass die Lehrer uns dabei helfen, gute Leistungen zu bringen, denn ich möchte einmal Ingenieur werden, damit ich die Stromversorgung im Irak mit aufbauen kann“. Daraus wird deutlich, wie sehr die Iraker seit 10 Jahren darunter leiden, dass es keine Stromversorgung gibt.
Ein sechsjähriger gut gekleideter Junge erklärt mit einem Lächeln, er wolle selbst einmal Lehrer werden. Ein neunjähriges Mädchen, die letztes Jahr Klassenbeste war bekräftigt mit ernster Mine: „Ich möchte nur, dass man mich lernen lässt, ich wünsche mir, dass es Frieden für alle gibt und ich möchte einmal Ärztin werden, damit ich Verletzte und Kranke heilen kann“.
Alle Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren, mit denen ich mich unterhalte, kennen keine Angst, alle sind froh, dass sie zur Schule gehen dürfen. Die Kinder der Mittel- und Oberstufe überraschen mich, denn ich muss feststellen, dass sie auch über Politik Bescheid wissen und die Situation im Land sehr genau analysieren. Alle wünschen sich vor allem Sicherheit im Land, damit sie ihre schulische Ausbildung fortsetzen können: „Wir haben keine Angst, vor denen, die uns umbringen wollen, wir leben einfach weiter und glauben fest daran, dass wir dieses Jahr unser Lernpensum schaffen werden“.
„Hoffentlich sind unserer Lehrer demokratischer geworden. Ich liebe die Demokratie, auch wenn ich nicht genau weiß, was es bedeutet, doch ich bin fest davon überzeugt, dass sie besser ist als die Diktatur“, bekräftigt einer der Schüler. Alle sind davon überzeugt, dass sie lernen müssen, damit sie zum Aufbau des neuen Irak beitragen können. Ich frage sie „Welchen Irak?“. Sie antworten: „einen Irak des Friedens und des Respekts für jeden Menschen. Vor der Schule für Mädchen spreche ich mit einer 15-Jährigen: „ES ist nicht einfach, unter solchen Bedingungen zu lernen, doch wir müssen es dun, denn unser Land braucht uns. Wir sind die Zukunft des Landes und müssen in der Lage sein, uns in seinen Dienst zu stellen. Wir haben keine Angst und hoffen, dass sich die Situation dieses Jahr bessern wird.“
Die Rektoren und Lehre der verschiedenen Schulen weisen vor allem darauf hin, dass Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten notwendig sind und dass es noch keine neuen Lehrbücher gibt. Ein Geschichtslehrer betont, dass vor allem neue Geschichtsbücher notwendig seien: „Ich wünsche mir Geschichtsbücher, in denen nicht militärische Anführer im Mittelpunkt stehen, sondern all jene Personen, die ihr Leben dem Frieden und der Demokratie gewidmet haben“, betont er. Zur Zeit des Saddam-Regimes befand sich auf den Umschlägen der Bücher in allen Fächern ein Bild Saddams und auf den Umschlagseiten Zitate aus seinen Reden, die die Schüler auswendig lernen mussten. Nach dem Sturz des Regimes werden derzeit die alten Schulbücher weiter benutzt, aus denen die Seiten mit den Fotos von Saddam und seinen Zitaten herausgerissen wurden.
„Gewiss“, so ein Rektor, „eine Reform des Schulsystems nimmt viel Zeit in Anspruch und es ist unter den derzeitigen Bedingungen nicht einfach, doch wir hoffen, dass es uns trotzdem gelingen wird, damit unsere Schüler mit einem neuen Geist aufwachsen können. Auch weil der Zirka über große menschliche Ressourcen im schulischen und erzieherischen Bereich verfügt.“ Da die Sicherheitslage derzeit nicht vorhersehbar ist, werden keine Vorhersagen gemacht: Die Iraker haben sich daran gewöhnt, von einem Tag auf den anderen zu leben. Während der vergangenen Tage wurde auch von möglichen Attentaten auf Schule gesprochen, doch diesen Gerüchte möchte niemand wirklich Gehör schenken.“ (Fidesdienst, 4/10/2004 - 54 Zeilen, 677 Worte)


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