Vatikanstadt (Fidesdienst) – Mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlichen wir das Vorwort zum Buch „Zur Verteidigung von Pius XII. – Die Gründe der Geschichte“ von Giovanni Maria Vian (Verlag Marsilio).
Pius XII.? Ein Papst in weiter Ferne, dessen Züge so sehr verblasst sind, dass man sie fast nicht mehr erkennt oder wahlweise mit allzu kräftigen Konturen gezeichnet, die von einer polemischen Darstellung verzerrt wurden, die oft so verbittert und anhaltend stattfand, dass sie die historische Wirklichkeit trübte. Dies ist das heute vorherrschende Bild von Eugenio Pacelli, der am Vorabend des letzten Weltkrieges auf den Petrusstuhl gewählt wurde. Ein einzigartiges Schicksal erwartete ihn, der als erster römischer Papst auf den Spuren seines Vorgängers wirklich populär und in aller Welt bekannt wurde. Dank der beginnenden und verwirrenden Modernität, auch im Bereich der Kommunikation, die dieser Papst nutzen wollte und zu nutzen in der Lage war: angefangen bei den verschiedenen Reisen – die ihn als Diplomat und Staatssekretär nach Europa und Amerika führten – bis hin zur Neuheit der Radioansprachen, von den großen öffentlichen Kundgebungen bis hin zur Titelseite der Illustrierten, vom Kino bis hin zu einem Kommunikationsmittel, das sich noch in den Anfängen befand, aber bald großen Erfolg haben sollte. Dieses Schicksal war noch einzigartiger, wenn man bedenkt, dass er während seiner Lebzeit im Allgemeinen großes Ansehen genoss und wenn man an das fast einstimmig positive Urteil bei seinem Tod im Jahr 1958 vor einem Halben Jahrhundert in Betracht zieht.
Wie war es also möglich, dass es zu einem solchen Imageverlust kam, der sich zudem innerhalb weniger Jahre zuzog, mehr oder weniger seit 1963? Die Gründe dafür sind hauptsächlich zwei. Der erste besteht in den schwierigen politischen Entscheidungen, die Pius XII. seit den Anfängen seines Pontifikats treffen musste, und später während des tragischen Krieges, und schließlich in der Zeit des Kalten Krieges. Die Linie, die er Papst und der Heilige Schul während der Zeit des Krieges annahm, die den Totalitarismus ablehnte traditionell aber neutral war, begrüßte faktisch das Bündnis gegen Hitler und zeichnete sich durch humanitäre Anstrengungen ohne gleichen aus, durch die viele Menschenleben gerettet werden konnten. Diese Linie war jedoch auch antikommunistisch und deshalb begann das sowjetische Regime den Papst bereits während des Krieges als Komplizen des Nationalsozialismus und dessen Schreckenstaten darzustellen. Der zweite Grund war die Wahl seines Nachfolgers, Angelo Giuseppe Roncalli. Dieser, den man bereits lange Zeit vor dem Konklave als möglichen Kandidaten in Betracht zog (nach seiner Wahl zum Papst) und zwar als „Übergangs-Papst“, vor allem aufgrund seines hohen Alters, wurde schon bald der „gute Papst“ genannt und ohne Nuancen immer mehr seinem Vorgänger entgegengestellt: aufgrund des Charakters und des radikal anderen Stils, aber auch aufgrund der unerwarteten und Aufsehen erregenden Entscheidung, ein Konzil einzuberufen.
Die Hauptelemente, mit denen sich dieser Imagewandel bei Papst Pacelli erklären lässt sind also die antikommunistische Linie von Pius XII. und die Gegenüberstellung mit Johannes XXIII. Eine Gegenüberstellung, die vor allem nach dem Tod des Letzteren und der Wahl von Giovanni Battista Montini (Paul VI.) akzentuiert wurde, auch weil sie von der Polarisierung der Kontraste zwischen Konservativen und Progressiven zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils begünstigt wurde, die die beide verstorbenen Päpste zu deren jeweiliger Symbolfigur werden ließ. Unterdessen spielte bei der Wiederaufnahme der sowjetischen und kommunistischen Anschuldigungen, die in der Zeit des Kalten Kriegs mit Nachdruck wiederholt wurden, das dramatische Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochmuth eine entscheidende Rolle, das am 10. Februar 1963 in Berlin uraufgeführt wurde und von dem Schweigen eines Papstes handelt, der als gleichgültig gegenüber der Verfolgung und Ausrottung der Juden dargestellt wird.
Angesichts der Ausdehnung der Polemik bis nach England trat Kardinal Montini – ein ehemaliger enger Mitarbeiter von Papst Pacelli – als Verteidiger von Pius XII. auf die Bühne und zwar mit einem Brief an die katholische Zeitschrift „The Tablet“, die am Tag seiner Wahl zum Papst, am 21. Juni, dort eintraf und auch vom „L’Osservatore Romano“ in der Ausgabe vom 29. Juni veröffentlicht wurde.: „Die Haltung der Verurteilung und des Protests, von denen Sie dem Papst vorwerfen, dass er sie nicht eingenommen hat, wäre nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich gewesen; dies ist alles“. Streng und mit Worten, die sorgfältig ausgewählt waren, lautet der Schluss Montinis: „Man spielt nicht mit solchen Argumenten und mit histosichen Persönlichkeiten, die wir durch die schöpferische Phantasie von Theaterkünstlern kennen, die nicht ausreichend gebildet sind, um eine historische Erkenntnis anzustellen und, Gott möge es verzeihen, nicht ausreichend ehrlich. Denn andernfalls währe im vorliegenden Fall das Drama ein anderes: das desjenigen, der versucht auf einen Papst, der extrem pflichtbewusst war und die historische Realität wohl kannte und zudem ein zwar unparteiischer, aber treuer Freund des deutschen Volkes war, die Schrecken des Nationalsozialismus anzulasten. Pius XII. wird gleichsam den Verdienst haben, ein „Stellvertreter“ Christi gewesen zu sein, der versucht hat, mutig und ganzheitlich, so wie er es konnte, seine Sendung zu erfüllen; doch wird eine solche theatralische Ungerechtigkeit der Kultur und der Kunst zum Verdienst gelangen?“.
Als Papst sollte Montini noch oft von Pacelli sprechen, dessen Friedensarbeit und dessen „ehrenhaftes Gedenken“ er am 5. Januar 1964 bei der Verabschiedung vom israelischen Präsidenten in Jerusalem verteidigte, während der Kardinaldekan Eugène Tisserant in der Gedenkstätte für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung sechs Kerzen zum Gedenken an die Millionen von ermordeten Juden anzündete. Als „Paul seinen Fuß auf israelischen Boden setzte, auf einer Etappe, die für seine palästinensische Mission die bedeutendste und „revolutionärste“ war, spürten alle“, so Giovanni Spadolini in einem von der Tageszeigung „Il Resto del Carlino“ nach den ersten Aufführungen von Hochmuths Theaterstück in Rom und den nachfolgenden polemischen Äußerungen am 18. Februar 1965veröffentlichten Artikel, „dass der Papst aus dem Herzen der jüdischen Heimstätte auf die systematischen Angriffe der kommunistischen Welt antworten wollte, die auch in den Herzen der Katholiken auf eine gewisse Teilnahme oder Nachgiebigkeit stießen“. Dem weltlichen Historiker war die Rolle der kommunistischen Propaganda beim Entstehen eines negativen Mythos um Pacelli wohl bewusst, und dieses Bewusstsein ist in den darauf folgenden Jahrzehnten in der öffentlichen Meinung fast abhanden gekommen und hat einer instrumentalisierenden und verleugnenden Verbindung der Figur von Pius XII. mit der Tragödie der Shoah Platz gemacht, angesichts derer er geschwiegen oder sich sogar zum Komplizen gemacht haben soll.
Die Frage des Schweigens des Papstes ist damit vorherrschend geworden und hat sich oft in eine verbitterte Polemik verwandelt, die zu verteidigenden Reaktionen führten, die oft rein apologetisch waren und eine Lösung des tatsächlichen historischen Problems erschwerten. Fragen und Anklagen im Hinblick auf das Schweigen und die anscheinende Gleichgültigkeit von Pius XII. angesichts der beginnenden Tragödie und den Schrecken des Krieges waren in der Tat auch von Katholiken vorgebracht worden: wie zum Beispiel von Emmanuel Mounier bereits 1939 in den ersten Wochen des Pontifikats und später von polnischen Vertretern im Exil. Pacelli hatte seine Haltung mehrmals selbst hinterfragt, weshalb es sich also um eine bewusst getroffene und schwierige Entscheidung handelte, im Versuch die größtmögliche Anzahl von Opfern zu retten anstatt fortwährend das Übel zu denunzieren und dabei Gefahr zu laufen noch größere Schrecken zu verursachen. Wie auch Paul VI. betonte, dessen Meinung nach Pius XII. handelte „wie es die Umstände, die von ihm durch intensives und bewusstes Nachdenken abgewägt worden waren, es ihm erlaubten“, so dass man ihn „nicht der Feigheit, der Gleichgültigkeit, des Egoismus eines Papstes zuschreiben kann, wenn Übel ohne Zahl und ohne Maß die Menschheit verwüsteten. Wer das Gegenteil behaupten würde, würde die Wahrheit und die Gerechtigkeit beleidigen“ (12. März 1964); Pacelli war „ein Verhalten des bewussten Unterlassens eines möglichen Eingreifens jedes Mal, wenn die höchsten Werte des Lebens und der Freiheit des Menschen in Gefahr waren, völlig fremd; vielmehr hat er immer versucht, unter konkreten und schwierigen Umstanden, alles in seiner Macht stehende zu tun, um jede unmenschliche und ungerechte Geste zu verhindern“ (10. März 1974).
So führte der unendliche Konflikt über das Schweigen von Papst Pacelli zur Trübung der objektiven Relevanz eines wichtigen, mehr noch entscheidenden Pontifikats in der Übergangszeit vom letzten tragischen Weltkrieg, über die Eiszeit des Kalten Kriegs und die Schwierigkeiten beim Wiederaufbau, zu einer neuen Epoche, die bei der Verkündigung des Todes durch Kardinal Montini in seiner Diözese am 10. Oktober 1958 in gewissem Sinn spürbar war: „Mit Ihm geht eine Zeit zu Ende, es erfüllt sich eine Geschichte. Die Uhr der zeit schlägt eine noch nicht erfüllte Stunde“. Eine zeit, die erschreckende und schmerzliche Jahre des Krieges und die harte Nachkriegszeit umfasste, deren tatsächliche Züge man vergessen wollte. Zusammen mit dem Papst, der sie wehrlos bewältigen musste. Und schon bald vergaß man auch seine aufmerksame und wirksame Leitung eines Katholizismus, der mehr und mehr universal wurde, seine imponierende und innovative Lehre in vielen Bereichen, die in gewisser Weise dem Zweiten Vatikanischen Konzil den Weg bereitete und von diesem in Teilen aufgenommen wurde, die Annäherung an die Moderne und deren Verständnis. Außerdem verwickelte sich mit dem geschichtsschreiberischen Knoten – den Paul VI. läsen wollte, indem er die Veröffentlichung tausende Akten und Dokumente des Heiligen Stuhls bezügliche des Zweiten Weltkrieges der Vatikanischen Archive seit 1965 in zwölf Bänden veröffentlichen ließ – der seiner Heiligsprechung. Die Eröffnung des Heiligsprechungsprozesses zusammen mit dem für Johannes XXIII. wurde gerade in dem Jahr von Montini selbst beim Konzil bekannt gegeben, im Versuch die Gegenüberstellung der beiden Vorgänger zu verhindern und damit die Instrumentalisierung ihrer Figuren, die fast zu Symbolfiguren gegensätzlicher Tendenzen des Katholizismus geworden waren.
Ein halbes Jahrhundert nach dem Tod von Pius XII. (9. Oktober 1958) und siebzig Jahre nach seiner Papstwahl, scheint sich ein neuer historischer Konsens zur historischen Bedeutung der Figur und dem Pontifikat von Eugenio Pacelli, dem letzten Papst römischer Abstammung, zu bilden. Zu dieser Würdigung wollte auch der „L’Osservatore Romano“ durch die Veröffentlichung einer Reihe von Texten und Beiträgen von Historikern und Theologen, Juden und Katholiken beitragen, die hier überarbeitet und zusammen mit einigen Ansprachen von Papst Benedikt XVI. und dessen Staatssekretär, Kardinal Tarcisio Bertone gesammelt wurden. In seiner Argumentation zum Fall Pius XII. zeigt Polo Mieli die Inkonsistenz der „schwarzen Legende“ und ist überzeugt davon, dass gerade die Historiker die Bedeutung und die Größe des Pacelli würdigen werden. Andrea Riccardi fasst den Bildungsweg und die Karriere des zukünftigen Papstes zusammen und rekonstruiert die Bedeutung seines Pontifikats. Die Aufmerksamkeit der theologischen Lehre von Pius XII. im Hinblick auf die Moderne und deren Einfluss auf de nachfolgenden Katholizismus beleuchtet Rino Fisichella. Und aus den Ansprachen Papstes macht Gianfranco Ravasi dessen kulturellen Hintergrund sichtbar. Die verzehrende Erinnerung von Saul Israel – die zur Zeit des verheerenden Sturms, der das jüdische Volk fortriss, hinter den schützenden Mauern eines römischen Klosters geschrieben wurde – bringt die tiefe Nähe und Freundschaft zwischen Juden und Christen, aber vor allem den Glauben an den einen Herrn, der alle segnet und schützt „unter den Flügeln, dort wo das Leben nicht begonnen hat und nie enden wird“. (Giovanni Maria Vian) (Fidesdienst, 09/06/2009 – 141 Zeilen, 1.775 Worte)