Ein Mädchen aus Afrika, das von einem Mächtigen seines Volkes vergewaltigt wurde, versteckt sich heute als illegale Zuwanderin in Europa und hat Angst davor, dass keine Entfernung sie mehr vor der erlittenen Gewalt schützen kann (Korrespondenz von Luca De Mata – 15)
Europäische Gemeinschaft (Fidesdienst) – Es ist Anfang Herbst. Wir befinden uns im Norden. Am Himmel ziehen sich Wolken zusammen, die sich immer wieder auflösen. Kühle und Wärme wechseln sich ab. Ich bin in einem Wohnhaus außerhalb des Stadtzentrums verabredet. Hier versuchen Männer und Frauen auch über die Grenzen der eigenen Möglichkeiten hinaus dem anderen zu zeigen, dass es eine Menschlichkeit gibt, die immer noch zu lieben vermag, sich immer noch zu schenken weiß. Männer und Frauen, die sich nicht nur als Leute empfinden, sonder als Personen. Frauen und Männer, die konsequent ihre Zugehörigkeit zum katholischen Glauben leben. Ich empfinde heute diese Solidarität, diese Leibe zum Nächsten in der Verbundenheit mit einer jungen Afrikanerin umso mehr. Sie ist sehr schön, in ihren großen Augen sehe ich eine abgrundtiefe Angst. Der Schrecken nach der erlittenen Gewalt. Die Gewissheit, dass nichts in ihrem Leben mehr sicher ist. In ihrem Gesicht spiegeln sich Reinheit und Ehrlichkeit. Sie ist groß und schlank.
Wir setzen uns einander gegenüber. Plötzlich dreht sie den Stuhl um. Sie sitzt mit dem Rücken zu mir gewandt. „So fühle ich mich freier. Ich weiß, dass meine Verfolger vielleicht meinen Mann umgebracht haben. Ich weiß, dass ich nichts mehr weiß von meiner Tochter und meiner Mutter. Ich weiß, dass sie sie vielleicht alle umgebracht haben. Ich sage nur so viel, wie ich will. Bitte stellen Sie mir keine Fragen. Sie interessieren sich nicht so sehr für mein Leid, sondern ob sie mich vergewaltigt haben, ob ich heute als Prostituierte versklavt werde. Ja! Ich wurde vergewaltigt und wie für viele andere ist auch mein Schicksal vorbestimmt… Sie betrachten uns nicht mehr als Frauen, doch ich bin noch keine Prostituierte. Ich kämpfe dafür, dass ich es nicht werde. Ich habe Angst. Denn „sie“ sind auch in Europa. Ich habe mich mit Ihnen getroffen, nicht um Ihnen ihre Namen zu verraten, sondern, damit sie mir das Leben zurückgeben. Ich muss diejenigen schützen, die, so hoffe ich, dort geblieben sind. Sie werden über mich nur sagen, dass ich aus Afrika komme.
Sie ist ganz offensichtlich aufgebracht, doch plötzlich beruhigt sie sich. „Ich habe furchtbare Angst davor, dass man mich ausweisen könnte, weil ich keine Papiere habe. Wenn ich zurückkehre, werden sie mich töten. Wenn sie mich nicht sofort umbringen, werde ich werde ich ihre Sexsklavin sein müssen, so lang bis sie meines Körpers müde sind“. Ich schaue ihre Schultern an. Ihre langen und feinen Hände. Sie erscheinen mir wie die Hände eines jungen Mädchens. Gewalt, Angst, Verzweiflung lassen Schutzmechanismen entstehen, doch bei ihr erkenne ich keinen Selbstschutz, sondern vielmehr den Willen, ihren Körper so wieder herzustellen, wie er vor der Gewalt war. Ich erkenne bei ihr die Trauer der Gewissheit darüber, dass das nicht möglich ist. Sie weiß, dass die Schnittwunden, die ihr zugefügt wurden, nicht mehr heilen werden. Man hat sie nicht nur auf schreckliche Weise vergewaltigt, sondern man hat ihr, falls dies überhaupt möglich ist, etwas viel Schlimmeres zugefügt. Angesichts der Bedrohung hat sie ihren geliebten Mann betrogen, ihre Tochter. Ich erkenne bei ihr die Verzweiflung darüber, dass sie nie wieder sein wird wie früher.
Ein Missionar, ein Heiliger, hat ihr bei der Flucht geholfen. Ihre Worte sind Substanz, Schmerz, Sorge um sich und um ihr Land. Sorge um Millionen afrikanischer Frauen, die wie Objekte, Sklavinnen, Körper für die Arbeit und für den Sex betrachtet werden. Als sie wieder zu sprechen beginnt, hat sich ihre Stimme verändert. Sie weint, sie schluchzt, fast schreiend sagt sie: „Ich bin Afrikanerin. Ich bin nicht viel älter als zwanzig. Ich bin keine Prostituierte“ und noch wütender fügt sie hinzu: Ich bin keine Prostituierte, ich bin nur arm zur Welt gekommen. Alles was ich besitze sind meine Tochter, mein Mann, meine Mutter…“
Ich verstehe nicht mehr, was sie sagt … ihr Weinen übertönt alles. Sei wurde Ende der 80er Jahre geboren. „Ich habe die Schule abgebrochen und als Friseuse gearbeitet. Eine Freundin der Besitzerin des Friseurgeschäfts kam zu uns und wen sie nicht kommen konnte, ging ich zur ihre. Sie war die Geliebte eines der wichtigen Männer in unserem Land. Es war Samstagabend, der Fahrer der Frau kam und holte mich. Ich stieg in das Auto. Wir fuhren nicht dieselbe Strecke wie sonst. Ich fragte ihn, wohin wir fuhren: ‚Wir fahren zu einem Herrn nach Hause’, sagte er, ‚deine Kundin wartet dort auf dich’. Als wir dort angekommen waren, brachte er mich in ein großes Wohnzimmer. Ich setzte mich hin und es kam ein Mann: ‚Ich habe dich kommen lassen, nicht meine Geliebte. Und er sagte mir, dass er sich jedes Mal, wenn er mich bei seiner Geliebten gesehen hat, von mir angezogen fühlte und dass er mein Leben ändern will. Er kann in unserem Land alles tun, was er will. ‚Eine Wohnung, ein Auto, Geld, ich werde dir alles geben’. Während er sprach schaute er auf meinen Körper. Ich sage nein. Ich kann nicht. Ich habe einen Mann und eine Tochter. ‚Sie ist erst vier Jahre alt, lassen Sie mich gehen’.
Meine Worte machten ihn nervös, denn seiner Ansicht nach kann ich nicht nein sagen. Er nimmt eine Pistole und legt sie auf den Tisch und sagt, indem er mich berührt, fragte er: ‚Hast du verstanden, was ich dir sagen will?’ Ich wiederhole, dass er mich nach Hause gehen lassen soll. Und da reißt er mir alle Kleider vom Leib und vergewaltigt mich. Er vergewaltigt mich an diesem Tag. Er vergewaltigt mich in der Nacht. Er vergewaltigt mich am nächsten Morgen. Und schließt mich schließlich in ein Zimmer ein. Dort sind Männer, die mir etwas geben, um mich zu bedecken, doch sie riefen mir zu: ‚Wenn du auch nur ein Wort sagst, dann bringen wir deine Tochter um und deinen Mann und auch dich’. Ich blutete. Ich hatte schreckliche Angst. Einen Tag lang verbrachte ich in dem Zimmer, bis schließlich der Fahrer mit einem Umschlag kam, in dem Geld war. Ich nahm den Umschlag nicht. Ich wollte nur nach Hause. Komischer Weise brachten sie mich dort hin. Ich erzählte alles meiner Mutter. Ich blutete immer noch. Wir gingen ins Krankenhaus, wo ein Doktor mich behandelte. Er stellte mir keine Fragen uns sagte nur: ‚Sie brauchen etwas Ruhe’. Wir gingen hinaus. Meine Mutter war erschrocken: ‚Es ist besser, wenn wir schweigen, hasst du den Arzt gesehen? Gegen diese Mann sind wir machtlos’“
Nach drei Tagen kamen zwei Zivilisten und zwei Polizeibeamte und brachten mich wieder zu dem Haus, wo der Mann auf mich wartet. Drei Tage lang musste ich dort bleiben, bis einer der beiden Polizisten mich fragt, ob ich bereit bin, alles zu tun, was der Mann von mir will. Wenn ich ablehnen würde, dann würde man mich umbringen. Und ich sagte: ‚Ja! Ich tue alles’. Ich wusch mich und ging in das Wohnzimmer, wo ich das erste Mal vergewaltigt wurde. Ich blieb in dem Haus drei Wochen lang. Isoliert. Als er wegfuhr, sagte mir der Wächter, dass alles was ich ertragen musste, ungerecht war.
Ich hoffte, er würde mir helfen, doch ich sollte für ihn das tun, was ich mit seinem Arbeitgeber getan hatte. Ich wollte wieder frei sein. Ich war bereit, alles zu tun. Nun befand ich mich erneut auf der Flucht mit meiner Mutter. Wir überquerten die Grenze. Von meinem Mann wusste ich nichts mehr, er war verschwunden. In dem Dorf, in dem ich mich versteckt hielt, wollte man mich nicht, denn meine Anwesenheit stellte eine Gefahr dar. Ein Missionar am Ort hatte von meiner Geschichte erfahren. Er kam früh morgens, um mich zu retten. Ich kam nach Europa. Seither habe ich von meiner Tochter nichts mehr gehört, nichts von meinem Mann und nichts von meiner Mutter! Ich weiß nichts mehr von niemandem. Ich bin alleine. Alleine. Das einzige, was ich weiß, ist, dass ich keine Prostituierte bin.“
Unser Treffen endet hier. Ich bin traurig, als ich die Treppen hinunter gehe, meine Ohnmacht erfüllt mich ganz. Ich und meine Begleiterin gehen schweigend die Treppe hinunter. Im Treppenhaus, ein Stockwerk tiefer, sagt die freiwillige Helferin zu mir: „Wenn sie einen Asylplatz als politischer Flüchtling beantragt, dann kann sie nicht mehr in ihr Land zurückkehren. Sie würde für immer auf die Hoffnung verzichte, dass sie ihre Lieben wieder sieht. Wir haben sie ihr aufgenommen, doch wir werden sie leider nicht mehr lange bei uns behalten können. Dies sind die Bestimmungen. Wir suchen eine Arbeit für sie. Es ist nicht leicht. Ich weiß nicht, wie ihre Zukunft aussehen wird. Wir werden ihr helfen und wir werden immer für sie da sein, doch wenn einer ihre Landsleute sie findet, dann werden sie sie zwar nicht umbringen, aber man wird sie dazu zwingen hier, in unserem Europa in irgendeinem Bordell als Prostituierte zu arbeiten.“
Nach einer Pause spricht sie weiter: „Das weiß sie. Und für sie würde das bedeuten, dass sie tot ist“. Meine Begleiterin geht weg, während ich in ein Taxi steige. Ich rufe ihr hinterher, dass ich ihr gerne noch einige Fragen stellen würde. „Es tut mir leid, aber ich kann nicht länger bleiben“, sagt sie mir, ein anderes Mädchen wartet auf mich. Sie hat ein wenige Monate altes Kind…“ Ich bitte den Taxifahrer, bei der ersten Kirche zu halten, an der wir vorbeikommen. Ich blicke tief in das Gesicht des Herrn. Draußen ziehen wieder Wolken auf und es regnet, in der Kirche überdeckt das Reden der Touristen das Prasseln des Regens. (aus der Europäischen Gemeinschaft, Luca De Mate) (Teil 15 – Fortsetzung folgt) (Fidesdienst, 09/03/2009 – 111 Zeilen, 1.106 Worte)