EUROPA/ITALIEN - DER GESUNDHEITSEXPERTE PROFESSOR SIRCHIA ERKLÄRT IM GESPRÄCH MIT DEM FIDESDIENST: „DIE GESUNDHEIT DER BÜRGER IST FÜR DIE GANZE GESELLSCHAFT WICHTIG. ZIEL IST JEDER DIENSTLEISTUNG IN DIESEM BEREICH IST DER MENSCH UND SEINE GESUNDHEITLICHEN BEDÜRFNISSE“

Freitag, 2 Januar 2004

Rom (Fidesdienst) - Professor Antonio Sirchia ist nicht nur italienischer Gesundheitsminister sondern auch einer der wichtigsten Experten für Immunologie und Hämatologie und Mitgründer des Ausschusses für die Zusammenarbeit zwischen medizinisch-wissenschaftlichen Unternehmen. Als Forscher und Wissenschaftler hat er sich stets auch für soziale Belange engagiert und verschiedene Projekte der internationalen Zusammenarbeit gefördert und sich der wissenschaftlichen Forschung im Bereich der Stammzellen gewidmet. Der Fidesdienst sprach mit Professor Sirchia über die aktuelle Situation des Gesundheitswesens im globalen Zusammenhang und die Benachteiligung der Entwicklungsländer. Es folgt der Wortlaut des Interviews:

Fidesdienst: Es gibt Gebiete auf unserer Erde, die sich jeden Tag mit der Unterentwicklung konfrontiert sehen, wo endemische Krankheiten das Wachstum der Länder beeinträchtigen können oder tatsächlich beeinträchtigen. Wie würden Sie als Wissenschaftler und Mensch und nicht zuletzt als Gesundheitsminister mögliche Maßnahmen seitens der Regierungen in den Entwicklungsländern beurteilen? Was hat die italienische Regierung und insbesondere das italienische Gesundheitsministerium in diesem Sinn bereits unternommen?
Minister Sirchia: Was für die Entwicklungsländer am wichtigsten ist, ist nicht die Bereitstellung von finanziellen Mitteln sondern das Schaffen eines Staates und dessen Institutionen, die Förderung professionellen Wissens und des Dienstes am Menschen. Dies ist nichts Neues. Bereits vor 150 Jahren schrieb Carlo Cattaneo: „Der Reichtum eines Volkes ist nicht das Kapital, das es besitzt, sondern seine Kultur, seine Institutionen und sein Wissen“, d.h. das so genannte Know-how. Dieses Konzept wurde auch von Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Centesimus Annus“ erläutert. Die westlichen Industrieländer haben diese Länder immer mit umfangreichen finanziellen Mitteln unterstützt, die jedoch nicht dazu beitragen konnten, deren Schicksal zu verbessern, denn sie haben vielmehr die Kluft zwischen der reichen Klasse und den armen Bevölkerungsteilen dieser Länder wachsen lassen. Erst heute kann man einen Wandel erkennen.
Das italienische Gesundheitsministerium hat in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für die italienischen Staatsbürger im Ausland im vergangenen Jahr das „Projekt für die Integration der italienischen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen auf der ganzen Welt“ in die Wege geleitet. Damit wollten wir die italienischen Krankenhäuser im Ausland zusammen schließen, von denen sich allein 22 in Afrika befinden, und damit Initiativen italienischer Ärzte und Krankenpfleger im Ausland unterstützen, die im Ausland arbeiten. Insbesondere soll die Weitergabe von Wissen und die Ausbildung einheimischer Ärzte und Pfleger gefördert werden.
Wir würden uns auch wünschen, dass diese italienischen Einrichtungen im Ausland mit italienischen Industrieunternehmen zusammenarbeiten könnten, zum Beispiel bei der Entwicklung von Medikamenten und bei der Förderung von Arbeitsplätzen und technologischem Fortschritt.
Diese Idee hat viele Anhänger gefunden, weshalb wir auch weiterhin Unterstützung anbieten können und dies nicht nur was das Wissen anbelangt, sondern auch durch die Zusammenarbeit mit erstrangigen italienischen Einrichtungen über das Internet bei der Bekämpfung der kritischen Lage im klinisch-diagnostischen Bereich. Dies ermöglicht den italienischen Behörden auch das tatsächliche Erfassen der Bedürfnisse dieser Bevölkerungen im Gesundheitsbereich als Grundlage für zukünftige politische Programme der Zusammenarbeit im Gesundheitswesen. Dieses Projekt betrifft nicht nur die Investition von Mitteln sondern es soll vor allem das Wachstum der Länder fördern. Dies ist nicht einfach und es geschieht nicht in kurzer Zeit, doch es handelt sich um ein konkretes Vorhaben und ich bin davon überzeugt, dass es sich um einen wichtigen Schritt handelt.
Fidesdienst: Die Geißel Aids zwingt heute weite Gebiete unseres Planeten in die Knie. Ganze Völker werden dezimiert, es gibt Geisterdörfer, Kinder bleiben als Waisen zurück, so sieht heute das Szenarium der Katastrophe aus. Viele fordern, dass die Preise für Medikamente den Möglichkeiten dieser Völker angepasst werden sollen. Es ist zwar bekannt, dass wissenschaftliche Forschung viel kostet, doch sollte man sich heute nicht die Frage stellen, wie Profit und Gesundheit unter globalen Gesichtspunkten vereinbart werden können?
Minister Sirchia: Bei jeder Dienstleistung im Gesundheitsbereich sollten der Mensch und seine gesundheitlichen Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Dies soll keine Rhetorik sein, sondern ein Vorschlag zu innovativem Handeln. Dies bedeutet, dass die Interessen aller Beteiligten im Gesundheitsbereich und insbesondere auch der Pharmaindustrie, auch wenn dies nicht immer einfach ist, den Interessen des Patienten untergeordnet sein müssen. Das Streben nach Profit darf den Patienten den Zugang zu Medikamenten und vor allem zu neuen Medikamenten nicht unmöglich machen. Dies gilt vor allem auch für Entwicklungsländer, wo viele Menschen jeden Tag sterben müssen, weil sie keinen Zugang zu Medikamenten haben, obschon es solche gibt. Dies trifft auf Aids aber auch auf viele andere Infektionskrankheiten zu, die jedes Jahr Millionen Opfer fordern, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent.
Fidesdienst: Heute hört man die Menschen oft sagen: „Seit es so viele ausländische Arbeitnehmer gibt, sind wir auch von Krankheiten bedroht, die wir nicht kannten!“. Dies erinnert fast an die Literatur vergangener Jahrhunderte, in denen die Ansichten zur Zeit der Pest beschrieben wird, die sich durch das Zusammenleben der neuen Italiener oder der neuen Europäer verbreitet haben sollte. Wobei doch das zivile Zusammenleben Ziel jeder modernen Gesellschaft sein sollte.
Minister Sirchia: Unter wissenschaftlichen und technologischen Gesichtspunkten sind wir Lichtjahre von den vergangenen Jahrhunderten entfernt. Die Leichtigkeit, mit der man von einem Punkt der Erde zu einem anderen gelangen kann, hat die Barrieren und die Bindungen der vergangenen Jahrhunderte überwunden. Alle Länder, einschließlich Italien, haben sich gut auf diese neue Situation vorbereitet und Maßnahmen zur Vorbeugung und zum Schutz für die eigenen Bürger ergriffen. Solche Maßnahmen wurden zum Beispiel auch nach dem 11. September zur Vorbeugung gegen biologischen Terrorismus eingeleitet.
Was die Situation der Einwanderer anbelangt, so bin ich der Meinung, dass die Gesundheit der Bürger für die ganze Gesellschaft wichtig ist. Der italienische Gesundheitsplan für die Jahre von 2003 bis 2005, an dem auch die einzelnen Regionen beteiligt sind, ermöglicht auch den Einwanderern den Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, indem es das öffentliche Gesundheitswesen gut sichtbar und damit leicht zugänglich gestaltet und damit auch den neuen Bevölkerungsgruppen entgegenkommen will. Damit soll auch einem Gesetzestext zur Einwanderungsfrage entsprochen werden, der sogar Einwanderern, die keine gültigen Einreise- und Aufenthaltsdokumente besitzen, den Zugang zur gesundheitlichen Basisversorgung garantiert. In einem solchen Kontext sieht das Gesundheitsprogramm auch Informationsmaßnahmen unter ausländischen Einwohnern über die Tätigkeit der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen in Italien (ASL) vor. (AP) (Fidesdienst, 2/1/2004 - 89 Zeilen, 1012 Worte)


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