Rom (Fidesdienst) - Im Rahmen der Reihe unserer historisch-wissenschaftlichen Essays veröffentlichen wir einen Beitrag von Pater Garuti zum Thema „Ökumenische Konzilien und Allgemeine Konzilien“. P. Adriano Garuti, OFM, ist Ordentlicher Professor für Ekklesiologie und Ökumenismus an der Päpstlichen Lateranuniversität. Er war Abteilungsleiter der Kongregation für die Glaubenslehre in den Jahren, als diese von Kardinal Joseph Ratzinger geleitet wurde.
Die angekündigte Veröffentlichung des Werkes „Conciliorum Oecumenicorum Generaliumque Decreta“, das vom Institut für Religionswissenschaft in Bologna herausgegeben wird, war Anlass für eine Reihe von Präzisierungen, mit offensichtlich unterschiedlichen Akzenten.
Alles begann mit einer Notiz (gezeichnet mit drei Sternchen), die im „L’Osservatore Romano“ vom 3. Juni 2007 erschien und auf die jeweils ein Artikel von Giuseppe Ruggeri („Reppublica“, 8. Juni) und Alberto Melloni („Corriere della Sera“, 9. Juni). Im „L’Osservatore Romano“ (11. Juli) folgte ein Beitrag des Präsidenten der Päpstlichen Kommission für Geschichtswissenschaft, Prälat Walter Brandmüller, - Wann ist ein Konzil wirklich ökumenisch? - auf den Melloni selbst erneut umgehend antwortete: Ökumenische Konzilien zwischen Geschichte und Tradition („Corriere della Sera“, 22 Juli).
Im Wesentlichen findet die Diskussion auf historischer Ebene statt, wobei ich mich diesbezüglich, obschon ich die zweifellose Wichtigkeit nicht leugnen möchte, auf zwei Präzisierungen beschränken, was die angenommene Unterscheidung zwischen „ökumenischen“ und „allgemeinen“ Konzilien anbelangt, die Johannes XXIII. und Paul VI. zugeschrieben wird. Eingehender Betrachtung verdienen hingegen die lehramtlichen Fragen, die mit dieser Unterscheidung zusammenhängen.
Noch vor den beiden zitierten Päpsten erinnert bereits das Erste Vatikanische Konzil, unter den Ökumenischen Konzilien, die Unfehlbarkeit der Römischen Päpste bezeugen, „vor allem diejenigen, bei denen der Orient die Einheit mit dem Westen im Glauben und in der Liebe bewahrte“ (1), und man bezog sich dabei nicht nur auf das IV. Konzil von Konstantinopel, sondern auch auf die Konzilien von Lyon und Florenz (2). Außerdem bezieht sich Papst Pius X. in seiner Verurteilung der „falschen, verwegenen und dem katholischen Glauben fremden“ Thesen des Prinzen Max von Sachsen auch auf diejenige, in der er bezweifelt „dass die allgemeinen Konzilien, die nach dem Schisma des Westens, d.h. nach dem achten Vatikanischen Konzil, stattfanden, tatsächlich als ökumenisch zu betrachten sind“ (3).
Was die Absicht von Papst Johannes XXIII. anbelangt, „ein allgemeines Konzil für die katholische Kirche einzuberufen“ betrachte auch ich diese als „irrelevant“ nicht nur, weil der Ausdruck de facto „in den Begriff ‚Ökumenisches Konzil’ aufgenommen wurde, sondern auch weil die nachfolgende Schlussfolgerung, d.h. „dass das Papsttum wusste, dass nur durch die Zurkenntnisnahme der Spaltung hinsichtlich des Ökumenismus die Katholizität die vom Geist den Kirchen anheim gestellte ökumenische Berufung annehmen konnte“ unhaltbar ist. Denn das Wissen um den Status der Spaltung bring nicht mit sich, dass die Katholizität mit der Spaltung der Kirchen verloren ist, denn, wie wir sehen werden, existiert die Kirche Christi in der katholischen Kirche weiter, der diese Eigenschaft in ihrem ursprünglichen Sinn als „universale“ Kirche beigemessen werden kann, wobei die Versammlung ihrer Bischöfe ein „ökumenisches Konzil“ im eigentlichen Sinn darstellt.
Einen weiteren Beweis dafür finden wir bei Paul VI., der in der Tat das Zweite Konzil von Lyon als „sechste unter den allgemeinen Synoden“ bezeichnet, „die in der westlichen Welt stattfanden“ (4) und in Wirklichkeit wird dies Bezeichnung oft als gleichbedeutend mit der Anerkennung der juridischen Ausübung der Kollegialität auf patriarchaler Ebene für die Ökumenischen Konzilien der Römisch-Katholischen Kirche im zweiten Jahrtausend ausgelegt.
In Wirklichkeit bezieht sich diese Feststellung von Paul VI. ganz einfach auf die geographischen Merkmale, wie dies der Papst, auf der Grundlage des Konzilsdekrets „Unitatis Redintegratio“ (14), bezüglich der „Ökumenischen Konzilien, die im Osten stattfanden“ tat (5). Er meint damit also das Abhalten von Konzilien in westlichen oder östlichen Territorien, ohne dabei einen Werteunterschied zwischen den einen und den anderen zu machen. Im Übrigen bezeichnet Papst Paul VI. im selben Schreiben das Konzil von Lyon als ein Ereignis „das einen vorrangigen Platz in der Geschichte der Kirche einnimmt“. Man darf deshalb das Konzil von Lyon und im Allgemeinen die Konzilien des zweiten Jahrtausends nicht nur auf den Ausdruck der die Kollegialität auf der Ebene des westlichen Patriarchats und den ökumenischen Charakter auf die Konzilien des ersten Jahrtausends beschränken.
Schließlich wird man zweifelsohne unter historischen Gesichtspunkten die Unterscheidung weiter klären können, wenn auch nur mit dem Ziel, dass man endgültig die Anzahl der Ökumenischen Konzilien festlegt, und damit jene „Korollare“ vertieft, von denen Melloni Brandmüller vorwirft, dass er sie vernachlässigt habe. Doch auch in diesem Fall wird man berücksichtigen müssen, was der damalige Kardinal Ratzinger im Hinblick auf den Primat des Petrusnachfolgers feststellte: die Geschichtsforschung „wird keine unumstößliche Gewissheit über die Wahrheit des Glaubens liefern können“, denn „der wahre Sinn historischer Fakten entsteht nicht nur aus dem rein fotografischen Festhalten der Fakten als solche“, sondern es ist das Zusammenwirken zwischen Geschichte und Theologie notwendig, die nur fruchtbar sein kann, wenn „die Zunahme der Kenntnis historischer (und mit Bezug auf die Bibel exegetischer) Daten, dazu führt, dass man zunehmend besser das, was notwendig und unverzichtbar ist, von dem unterscheiden kann, was zufällig oder für die Wahrheit des Glaubens unwesentlich ist.“ Auf der anderen Seite erfordert ein solches Zusammenwirken „dass die Frage der lehramtlichen Einordnung historischer Daten im Licht der Überlieferung stattfindet, die Ort und Kriterium des Wahrheitsbewusstseins des kirchlichen Glaubens ist“ (6).
Unter lehramtlichen Gesichtspunkten - und hier liegt der eigentliche Kern der Frage - wird mit der Unterscheidung zwischen „ökumenischen“ und „allgemeinen“ Konzilien vor allem der ökumenische Charakter der Konzilien infrage gestellt, die nach dem Schisma des Westens abgehalten wurden. Die katholische Kirche hat, obschon mit einigem Zögern und erst nach verschiedenen Klärungen, immer anerkannt, dass die Konzilien des ersten Jahrtausends wirklich ökumenisch waren. Wir beschränken uns hier auf die Feststellung von Paul VI., der bei der Audienz vom Mittwoch, den 2. August 1967, daran erinnerte, dass zu den Gründen, die ihn zu seiner „raschen Exkursion“ in die Türkei veranlasst hatten, vor allem der Wunsch gehörte „das Gedenken an die ersten berühmten ökumenischen Konzilien zu würdigen, deren Orte, nach denen sie benannt wurden, sich im nahen Orient befinden“ und die nicht nur „eine unbestreitbare und hohe Autorität“ besaßen, auch was den Westen anbelangt, sondern auch „von der lateinischen Kirche als ökumenisch anerkannt wurden.“ Noch ausdrücklicher stellt er fest, dass er dem Orient versichern wollte, dass „der Glaube an die Konzilien, die in diesem gesegneten Land abgehalten wurden und die von der lateinischen Kirche als ökumenisch anerkannt, auch heute noch unser Glaube ist“ (7).
Von orthodoxer Seite gab es jedoch weder eine analoge Anerkennung der Konzilien des zweiten Jahrtausends noch der „ex cathedra“ festgelegten marianischen Dogmen. Diese Linie wurde auch von verschiedenen katholischen Theologen verfolgt, die die Ansicht vertreten, dass es sich um unilaterale Konzilien handelt, da die nicht mit Rom unierte orthodoxe Kirche nicht teilnahm, weshalb ihre lehramtlichen Inhalte als „theologoumena“ angesehen werden müssen, d.h. als eine lehramtliche Vision der westlichen Kirche, und damit nicht Teil des gemeinsamen Glaubenserbes, des universalen Glaubenserbes sind, und damit auch nicht Teil dessen sind, was für die kirchliche Gemeinschaft von wesentlicher Bedeutung ist.
Auf diese Weise wird vor allem geleugnet, dass es nach dem Schisma noch die eine Kirche Christi gibt, denn es würden verschiedenen Kirchen existieren, die durch den ökumenischen Dialog die volle gegenseitige Gemeinschaft erlangen müssten. Die eine Kirche Christi wäre deshalb noch in Planung und wäre nicht mehr in der katholischen Kirche verwirklicht (vgl. LG 8).
Mit Recht zitiert Melloni Roger Aubert, der bekräftigt: „da es nicht zwei Mathematikwissenschaften gibt, eine katholische und eine nichtkatholische, so gibt es auch nicht zwei Geschichtswissenschaften“. Doch dann gibt es auch nicht zwei Glaubenslehren: eine katholische und eine nichtkatholische. (Adriano Garuti, ofm) (Fidesdienst, 09/11/2007 - Zeilen, Worte)
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(1) DS 3065,
(2) DS 3066-3068.
(3) Pius X., Ep. « Ex quo, nono » ad Delegatos Ap. Bysantii, in Graecia, Aegypto, Mesopot etc, 20 decembris 1910: AAS 3 (1911) 120.
(4) Epistula E.mo P. D. Ioanni Cardinali Willebrands, 19 octobris 1974: AAS 66 (1974) 620; Ins XII, 941-942.
(5) PAUL VI., Litterae «Anno ineunte» Athenagorae I Patriarchae oecumenico Constantinopoli traditae, de initis inter Ecclesiam Occidentis et Ecclesiam Orientis rationibus unitatis redintegrationis fovendae, 25 iulii 1967: AAS 59 (1967) 853; Insegnamenti V, 394, 402.
(6) Eröffnungsansprache zum Symposium des Jahres 1996, 17-18
(7) Insegnamenti V, 412-413.
(8) Vgl. Verschiedene Dokumente der Kongregation für die Glaubenslehre (Mysterium Ecclesiae; Notificazione sul volume « Chiesa: Carisma e potere. Saggio di ecclesiologia militante » von Pater Leonardo Boff, O.F.M; Communionis notio: Dominus Iesus), die auch in den vor kurzem veröffentlichten “Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche” (29. Juni 2007), Nr 2-3 und im entsprechenden Kommentar herangezogen wurden.