Città del Vaticano (Agenzia Fides) - „Die Tatsache, dass praktizierte Nächstenliebe verachtet oder lächerlich gemacht wird, als handle es sich um die Fixierung einiger weniger und nicht um den glühenden Kern der kirchlichen Sendung, bringt mich zu der Überzeugung, dass wir das Evangelium immer wieder neu lesen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, dass eine weltliche Gesinnung an seine Stelle tritt“, schreibt Papst Leo XIV. in seiner ersten Apostolischen Exhortation „Dilexi Te“ (“Ich habe dir meine Liebe zugewandt”), die er am 4. Oktober, dem Gedenktag des heiligen Franz von Assisi unterzeichnete und die an diesem Donnerstag (9. Oktober) veröffentlicht wurde.
„Wenn wir nicht aus dem lebendigen Strom der Kirche herausfallen wollen, der dem Evangelium entspringt und jeden Moment der Geschichte fruchtbar werden lässt“, so Papst Leo weiter, „dürfen wir auf gar keinen Fall die Armen vergessen“ (§ 15).
Das Apostolische Schreiben, ein Dokuments mit 121 Absätzen, wurde bereits von Papst Franziskus in den letzten Lebensmonaten begonnen. Papst Leo hat das Werk nun vollendet, genau wie zuvor Papst Franziskus mit dem Apostolischen Schreiben „Lumen fidei“, dessen Ausarbeitung von Papst Benedikt XVI. begonnen worden war. Zeichen der Kontinuität, die sich durch das Werk der Nachfolger Petri zieht. Alle sind mit ihren menschlichen Grenzen dazu berufen, ihre Brüder und Schwestern im selben Glauben, dem Glauben der Apostel, zu bestärken.
Das Apostolische Schreiben möchte daran erinnern, dass die Option für die Armen keine freiwillige Entscheidung ist, sondern die Entscheidung Christi, der die Kirche auf ihrem gesamten Weg durch die Geschichte zu derselben vorrangigen Option führt.
„Für uns Christen“, heißt es im Paragraph 110, „führt die Frage nach den Armen zum Wesentlichen unseres Glaubens. Es ist die vorrangige Option für die Armen, das heißt die Liebe der Kirche zu ihnen, wie Johannes Paul II. lehrte, »die entscheidend ist und zu ihrer festen Tradition gehört, [sie] lässt die Kirche sich der Welt zuwenden, in der trotz des technisch-wirtschaftlichen Fortschritts die Armut gigantische Formen anzunehmen droht«. Tatsächlich sind die Armen für die Christen keine soziologische Kategorie, sondern das Fleisch Christi selbst. Es genügt nämlich nicht, die Lehre von der Menschwerdung Gottes allgemein zu verkünden; um wirklich in dieses Geheimnis einzutreten, muss man genauer sagen, dass der Herr Fleisch angenommen hat, das hungert, dürstet, krank ist und gefangen“.
Deshalb hat „jede kirchliche Erneuerung auch immer diese vorrangige Aufmerksamkeit für die Armen, die sich sowohl in ihren Beweggründen als auch in ihrem Stil von der Tätigkeit jeder anderen humanitären Organisation unterscheidet, zu ihren Prioritäten gezählt“ (§ 103).
Der von Papst Leo unterzeichnete Text ist gespickt mit Zitaten der Kirchenväter, die bestätigen, dass die bevorzugte Option für die Armen keine abstrakte Formel ist, die erst seit kurzem im kirchlichen Wortschatz auftaucht.
Und die Armen sind nicht nur diejenigen, die nicht über die Mittel verfügen, um ihre materiellen Bedürfnisse zu befriedigen, sondern auch ältere Menschen, Kranke und Migranten.
In dem Apostolischen Schreiben finden sich die Worte und Formulierungen wieder, die Papst Franziskus angesichts der strukturellen Ungerechtigkeit verwendet hat, die durch die „Diktatur einer Wirtschaft, die tötet” verursacht wird „So sehen wir in einer Welt, in der es immer mehr arme Menschen gibt, paradoxerweise auch die Zunahme einiger reicher Eliten, die in einer Blase sehr komfortabler und luxuriöser Bedingungen leben, beinahe in einer anderen Welt im Vergleich zu den einfachen Menschen. (§11). Es wird auf Theorien verwiesen, die die absolute Autonomie, die den „unsichtbaren Händen” der Märkte und der Zentralen, die die großen Finanzspekulationen steuern, garantiert werden muss, als positiven Wert betrachten.
Die letzten Absätze des Schreibens befassen sich jedoch nicht mit großen Szenarien, sondern widmen sich der „Almosengabe“, „die heute keinen guten Ruf genießt, oft nicht einmal unter Gläubigen. Sie wird nicht nur selten praktiziert, sondern manchmal sogar geringeschätzt“ (§115).
Es sei klar, so Papst Leo in dem Apostolischen Schreiben, „dass die Almosengabe nicht die zuständigen Behörden von ihrer Verantwortung entbindet, noch den organisatorischen Einsatz der Institutionen überflüssig macht und ebenso wenig den legitimen Kampf für Gerechtigkeit ersetzt. Sie hält jedoch zumindest dazu an, innezuhalten und den Armen ins Gesicht zu schauen, sie zu berühren und etwas vom eigenen Besitz mit ihnen zu teilen“ (§ 116).
Über die Almosengabe und das Geheimnis der Option für die Armen, die als Erste in das Himmelreich aufgenommen werden, zitiert Papst Leo im Paragraph 118 den Schluss einer Predigt des heilige Gregor von Nazianz mit folgenden Worten: „Wenn ihr, Diener, Brüder und Erben Christi, nun auf mich hören wollt, dann wollen wir, solange es noch Zeit ist, Christus besuchen, Christus heilen, Christus ernähren, Christus bekleiden, Christus beherbergen, Christus ehren, aber nicht nur durch Bewirtung, wie es einige getan haben, und nicht gleich Maria mit Salben und nicht bloß durch ein Grab wie Joseph von Arimathea, auch nicht durch Geschenke für die Beerdigung gleich Nikodemus, der ein heiliger Christ war, auch nicht mit Gold, Weihrauch und Myrrhen, wie es vor den Genannten die Magier getan hatten. Da der Herr der Welt Barmherzigkeit will und nicht Opfer, [...], so wollen wir ihm in den Notleidenden, […], Barmherzigkeit zeigen, damit sie, wenn wir von hier scheiden müssen, uns in die ewigen Zelte aufnehmen“.
(GV) (Fides 9/10/2025)