VATIKAN - Kardinal Tagle zur Reise des Papstes nach Asien und Ozeanien: „Kleine Kirchen können uns etwas lehren“

Dienstag, 27 August 2024 papst franziskus   pastoralbesuch   ortskirchen   inkulturation   mission  

Von Gianni Valente und Fabio Beretta

Rom (Fides) - Vier Länder auf zwei Kontinenten und insgesamt fast 40.000 Kilometer Wegstrecke. Papst Franziskus wird am 2. September vom Flughafen Fiumicino abheben und seine längste und anspruchsvollste Reise beginnen, die ihn nach Asien und Ozeanien führen wird. Aber der Bischof von Rom verlässt seine Diözese nicht, um Rekorde zu brechen. Diese Reise - so Kardinal Luis Antonio Gokim Tagle - ist vielmehr „ein Akt der Demut vor dem Herrn, der uns ruft“. Ein „Akt des Gehorsams gegenüber der Mission“.
Während die Reise, in deren Rahmen Papst Franziskus Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur besuchen wird, näher rückt, erläutert der Pro-Präfekt des Dikasteriums für Evangelisierung (Sektion für die Erstevangelisierung und die neuen Teilkirchen) in einem Gespräch mit der Fides auch, warum die Reise des Nachfolgers Petri unter den Kirchen der „kleinen Herden“ für die gesamte Weltkirche wichtig ist und für alle von Interesse sein wird, denen der Frieden in der Welt am Herzen liegt.

Mit fast 88 Jahren steht Papst Franziskus vor der längsten und beschwerlichsten Reise seines Pontifikats. Was bewegt ihn dazu, diese „Tour de Force“ in Angriff zu nehmen?

LUIS ANTONIO TAGLE: Diese Reise nach Asien und Ozeanien war eigentlich schon für 2020 geplant. Ich war gerade in Rom angekommen, bei der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, und ich erinnere mich, dass es dieses Projekt bereits gab. Dann musste infolge der Covid-19-Pandemie alles gestoppt werden. Und ich war sehr überrascht, dass der Heilige Vater dieses Projekt wieder aufgegriffen hat. Es ist ein Zeichen seiner väterlichen Nähe zu dem, was er 'existentielle Peripherien' nennt.
Ich muss sagen, ich bin jünger als der Papst, und ich empfinde, dass diese langen Reisen anstrengend sind. Für ihn ist es ein Akt der Demut, selbst diese Müdigkeit in Kauf zu nehmen. Es ist keine Show, um zu zeigen, wozu man noch fähig ist. Als Zeuge sage ich, es ist ein Akt der Demut vor dem Herrn, der uns ruft. Ein Akt der Demut und des Gehorsams gegenüber der Mission.

Manche behaupten, dass auch diese Reise bestätige, dass der Papst den Osten bevorzugt und den Westen vernachlässigt...

KARDINAL TAGLE: Die Vorstellung, dass Papstreisen ein Zeichen dafür sind, dass der Heilige Vater einen Kontinent oder einen Teil der Welt „bevorzugt“ oder andere Teile vernachlässigt, ist eine falsche Interpretation der päpstlichen Reisen. Nach dieser Reise, Ende September, plant der Papst einen Besuch in Luxemburg und Belgien. Er hat auch viele Länder in vielen Regionen Europas besucht. Ich habe den Eindruck, dass er mit diesen Reisen die Katholiken in allen Kontexten ermutigen will. Man sollte auch bedenken, dass ein großer Teil der Menschheit in diesen Regionen der Welt lebt. In Asien leben zwei Drittel der Weltbevölkerung. Die Mehrheit dieser Menschen ist arm. Und viele Taufen finden gerade unter den Armen statt. Papst Franziskus weiß, dass es dort viele arme Menschen gibt, und unter den Armen gibt es diese besondere Anziehungskraft für die Person Jesu und für das Evangelium, selbst inmitten von Kriegen, Verfolgungen und Konflikten.


Andere weisen darauf hin, dass die Zahl der Christen in vielen Ländern, die der Papst besucht, im Vergleich zur Bevölkerung gering ist.

KARDINAL TAGLE: Bevor der Papst eine Reise antritt, hat er nicht nur Einladungen von Ortskirchen erhalten, sondern auch von zivilen Behörden und politischen Führern, die formell um einen Besuch des Bischofs von Rom in ihrem Land gebeten haben. Sie wünschen die Anwesenheit des Papstes nicht nur aus Gründen des Glaubens, sondern auch aus Gründen des Interesses der zivilen Behörden. Für sie bleibt der Papst ein starkes Symbol für das menschliche Zusammenleben im Geiste der Geschwisterlichkeit und für die Bewahrung der Schöpfung.

Welche Erfahrungen und Begegnungen haben Sie als Hirte der philippinischen Kirche und als Kardinal des Missionsdikasteriums mit den Ländern und Kirchen gemacht, die der Papst bald besuchen wird?

KARDINAL TAGLE: In Papua-Neuguinea habe ich auf Ersuchen von Kardinal Ivan Dias, dem damaligen Präfekten der Kongregation „de Propaganda Fide“, einen apostolischen Besuch in den Seminaren gemacht. Ich habe zwei Reisen in zwei Monaten unternommen und Seminare in Papua-Neuguinea und auf den Salomonen besucht. Ich habe auch Indonesien und Singapur besucht, aber ich war nie in Osttimor, obwohl ich viele Male mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Laien aus diesem Land zusammengetroffen bin. Für mich ist Asien eine „Welt, die aus verschiedenen Welten besteht“, und als Asiate sehe ich, dass Reisen in Asien den Geist und das Herz für weite Horizonte der Menschlichkeit und der menschlichen Erfahrung öffnen. Auch das Christentum ist in Asien auf eine für mich überraschende Weise verankert. Ich lerne so viel über die Weisheit und Kreativität des Heiligen Geistes. Ich bin immer wieder überrascht, auf welche Weise das Evangelium inmitten verschiedener menschlicher Kontexte zum Ausdruck kommt und verkörpert wird. Ich hoffe, dass der Papst, wir alle im päpstlichen Gefolge und auch die Journalisten diese neue Erfahrung machen können, die Erfahrung der Kreativität des Heiligen Geistes.

Welche Gaben und welchen Trost können die kirchlichen Gemeinschaften, die der Papst auf seiner bevorstehenden Reise besucht, der gesamten Kirche anbieten?

KARDINAL TAGLE: In diesen Ländern sind die christlichen Gemeinschaften fast überall eine Minderheit, eine „kleine Herde“. An Orten wie Europa genießt die Kirche immer noch einen gewissen kulturellen, sozialen und sogar zivilen „Status“ des Respekts. Aber auch in vielen Ländern des Westens kehren wir zunehmend zu dieser Erfahrung der Kirche als einer kleinen Herde zurück. Und es kann gut tun, einen Blick auf die Kirchen in vielen Ländern des Orients zu werfen, um zu sehen, wie man sich verhält, wenn man sich in einem Zustand der Kleinheit befindet. Die Erfahrung der ersten Apostel, der Jünger Jesu, wiederholt sich in diesen Ländern immer wieder. Ein Pfarrer in Nepal erzählte mir, dass das Gebiet seiner Pfarrei so groß ist wie ein Drittel Italiens: Er hat nur fünf Gemeindemitglieder, die über dieses große Gebiet verstreut sind. Wir befinden uns im Jahr 2024, aber der Kontext und die Erfahrung ähneln denen der Apostelgeschichte. Und die kleinen Kirchen im Orient können uns dazu etwas lehren.

Der erste Halt auf der Reise des Papstes ist Indonesien, das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt.

KARDINAL TAGLE: Indonesien ist ein Inselstaat mit einer großen Vielfalt an kulturellen, sprachlichen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten. Es ist auch das Land in der Welt mit der größten Anzahl muslimischer Einwohner. Und das große Geschenk des Heiligen Geistes an die indonesische katholische Gemeinschaft ist das friedliche Zusammenleben, das die Vielfalt nicht leugnet. Ich hoffe, dass der Besuch des Papstes der Geschwisterlichkeit unter den Gläubigen verschiedener Religionen neuen Auftrieb geben wird.

Haben Sie bei Ihren Besuchen konkrete Anzeichen für dieses geschwisterliche Zusammenleben gesehen?

KARDINAL TAGLE: Mir wurde gesagt, dass das Grundstück, auf dem die Katholische Universität steht, ein Geschenk des ersten Präsidenten ist. Eine starke Botschaft, um zu zeigen, dass im indonesischen Volk alle als Brüder und Schwestern akzeptiert werden. Ich erinnere mich auch daran, wie ich am Jugendtag in Asien teilnahm. Angesichts der geringen Zahl von Christen waren unter den Freiwilligen, die an der Organisation beteiligt waren, auch viele junge Muslime. Die Bischofskonferenz stellte mir zwei Assistenten zur Verfügung, beide Muslime, die ihre Aufgaben mit großer Ehrfurcht vor der Kirche erfüllten.

Zweiter Halt: Papua-Neuguinea

KARDINAL TAGLE: Die Kirche in Papua-Neuguinea ist eine junge Kirche, aber sie hat der Weltkirche bereits einen Märtyrer geschenkt, Peter To Rot, der auch Katechet war. Papua-Neuguinea ist ebenfalls ein multikulturelles Land, in dem verschiedene Stämme leben, die gelegentlich miteinander in Konflikt geraten. Aber es ist auch ein Land, in dem die Vielfalt ein Vorteil sein kann. Wenn wir unsere Vorurteile beiseitelassen, können wir sogar in Stammeskulturen menschliche Werte finden, die den christlichen Idealen nahe kommen. Und schließlich gibt es in Papua-Neuguinea Orte, an denen die Natur noch vollkommen unberührt ist. Vor zwei Jahren war ich dort bei der Einweihung einer neuen Kathedrale. Ich fragte den Bischof nach dem Wasser, und er sagte: „Wir können das Wasser aus dem Fluss trinken, es ist trinkbar“. Dank ihrer Stammesweisheit haben die Menschen dort es geschafft, die Harmonie mit der Natur zu bewahren und können direkt aus dem Fluss trinken. Etwas, das wir in den so genannten entwickelten Ländern nicht mehr haben.

Dritter Halt: Osttimor

KARDINAL TAGLE: Es ist bezeichnend, dass der Papst erst Indonesien und dann Osttimor besucht. Zwei Länder, die eine Geschichte des Kampfes hinter sich haben und nun Frieden gefunden haben. Ein zerbrechlicher Friede, aber dank beider scheint er von Dauer zu sein. In Osttimor sind die Beziehungen zwischen der örtlichen Kirche und der Regierung sehr gut. Die örtliche Regierung unterstützt auch kirchliche Bildungseinrichtungen. Und ich habe den Eindruck, dass die Kirche während des Unabhängigkeitskrieges einer der Bezugspunkte für die Bevölkerung war. Die Menschen in Osttimor sagen, dass ihr Glaube an Christus sie während der Jahre des Kampfes um die Unabhängigkeit gestützt hat.

Vierter Halt: Singapur

KARDINAL TAGLE: Es ist eines der reichsten Länder der Welt, und es ist ein Wunder, ein Volk zu sehen, das in nur wenigen Jahren und mit begrenzten Mitteln ein solches Niveau an Professionalität und technologischem Fortschritt erreicht hat, auch dank seines Sinns für Disziplin. Die Regierung von Singapur garantiert allen Glaubensgemeinschaften Freiheit und schützt sie vor Übergriffen und respektlosen Handlungen. Verstöße gegen Religionen werden streng geahndet. Die Menschen leben in Sicherheit, und das gilt auch für Touristen. Aber es ist ein Gleichgewicht erforderlich. Die Geschichte lehrt uns, darauf zu achten, dass die Anwendung von Gesetzen nicht im Widerspruch zu den Werten stehen darf, die sie eigentlich schützen sollen.

In diesen Ländern - vor allem in Papua-Neuguinea - wird die kirchliche Arbeit auch von Geschichten von Missionaren begleitet, die als Märtyrer starben. Aber manchmal wird die Arbeit der Missionare auch noch als Ausdruck des kulturellen und politischen Kolonialismus dargestellt.

KARDINAL TAGLE: Es gibt heute die Tendenz und die Versuchung, die Geschichte, insbesondere die Missionsgeschichte, mit den kulturellen Schemata von heute zu lesen und den Missionaren, die vor Jahrhunderten gelebt haben, unsere Visionen aufzuzwingen. Stattdessen muss man die Geschichte in aller Ruhe betrachten. Die Missionare sind ein Geschenk für die Kirche. Sie gehorchen Christus, der den Seinen aufgetragen hat, bis an die Enden der Erde zu gehen, um das Evangelium zu verkünden, und ihnen versprochen hat, dass er immer bei ihnen sein wird. Manchmal haben die Führer der Nationen während der Kolonisierung Missionare an verschiedene Orte gebracht. Aber diese Missionare zogen aus, um zu evangelisieren und nicht, um von den Kolonisatoren manipuliert und benutzt zu werden. Viele Priester, Missionare und Ordensleute handelten im Widerspruch zu den Strategien ihrer Regierungen und starben den Märtyrertod.

Was ist das geheimnisvolle Bindeglied, das Martyrium und Mission miteinander verbindet?

KARDINAL TAGLE: Vor zwei Jahren wurde eine Studie über Religionsfreiheit veröffentlicht. Es wurde festgestellt, dass in den Ländern, in denen es Einschüchterung und Verfolgung gab, die Zahl der Taufen stieg. Wo die reale Möglichkeit des Martyriums besteht, breitet sich also der Glaube aus. Und selbst diejenigen, die nicht gläubig sind, fragen sich: Woher kommt all diese Kraft, die Menschen dazu bringt, ihr Leben zu opfern? Es wird das Evangelium umgesetzt. Und unsere Aufgabe, auch die des Dikasteriums für die Evangelisierung, ist es, den Ortskirchen zu helfen, und nicht, ihnen eine andere Denkweise oder eine andere Kultur als die ihrige aufzuzwingen.
(Fides 27/8/2024)


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