VATIKAN - Kardinal Parolin: “Deshalb stehen wir im Dialog mit China”

Mittwoch, 31 Januar 2018 ortskirchen   mission   papst franziskus  

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Das von der italienischen Tageszeitung „La Stampa“ herausgegebene kirchliche Nachrichtenportal „Vatican Insider“ veröffentlichte am 31. Januar 2018 ein Interview mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, das wir hier wiedergeben.

Im Interview kommentiert Kardinalstaatsekretär Pietro Parolin die gegen den Heiligen Stuhl im Hinblick auf die Beziehungen zur Volksrepublik China erhobenen Vorwürfe: “Wir vertrauen darauf, dass die chinesischen Gläubigen, dank ihres Glaubens, erkennen, dass unser Handeln vom Vertrauen in den Herrn lebt und nicht der weltlichen Logik entspricht“

von Gianni Valente

Verschiedene Anzeichen (darunter auch undurchsichtige Operationen, wahre politische Manipulationen, Sabotage) deuten darauf hin, dass in den Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung der Volksrepublik China wichtige neue Entwicklungen bevorstehen könnten. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, einen hochrangigen Kurienmitarbeiter danach zu fragen, was dem Papst und dem Heiligen Stuhl diesbezüglich wirklich am Herzen liegt. Vor allem sollten zugunsten der chinesischen Gläubigen gewisse Verdachte und Annahmen ausgeräumt werden, indem man an kirchliche Anliegen erinnert, die über die politische Chronik hinausgehen. In diesem Sinne bat „Vatican Insider“ Kardinalstaatsekretär Pietro Parolin um ein Interview.



Eminenz, was können Sie uns zum Dialog zwischen dem Heiligen Stuhl und der Volksrepublik China sagen?

Bekanntlich gab es mit dem Aufkommen der Idee des ‚Neuen China’ für die katholische Kirche in diesem großen Land zunächst ernste Konflikte und akutes Leid. Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden jedoch Kontakte zwischen Vertretern des Heiligen Stuhls und des Volksrepublik China auf den Weg gebracht, die Höhen und Tiefen und wechselnde Entwicklungen erleben sollten. Der Heilige Stuhl hat stets einen pastoralen Ansatz verfolgt und versucht, Widerstände zu überwinden und sich einem respektvollen und konstruktiven Dialog mit den zivilen Autoritäten zu stellen. Papst Benedikt XVI. hat diese Haltung des Dialogs in seinem Brief an die chinesischen Katholiken im Jahr 2007 gut zusammengefasst: "Die Lösung der bestehenden Probleme kann nicht durch einen andauernden Konflikt mit den legitimen zivilen Autoritäten angestrebt werden". Im Pontifikat von Papst Franziskus geschehen die laufenden Verhandlungen genau in dieser Richtung: konstruktive Offenheit für den Dialog und Treue zur Überlieferung der Kirche.


Was erwartet der Heilige Stuhl konkret von diesem Dialog?

Zunächst einmal möchte ich eine Prämisse machen: in China, haben Katholiken vielleicht mehr als anderswo, es geschafft, einen authentischen Glauben zu bewahren, trotz vieler Schwierigkeiten und Leid, indem sie das Band der hierarchischen Gemeinschaft zwischen den Bischöfen und dem Nachfolger Petri erhalten haben, als sichtbare Garantie des Glaubens selbst. In der Tat betrifft die Gemeinschaft zwischen dem Bischof von Rom und allen katholischen Bischöfen das Herz der Einheit der Kirche: es geht nicht um eine private Angelegenheit zwischen dem Papst und den chinesischen Bischöfen oder zwischen dem Apostolischen Stuhl und den zivilen Autoritäten. In diesem Sinne, ist das Hauptziel des Heiligen Stuhls im laufenden Dialog der Erhalt gerade dieser Gemeinschaft getreu der ursprünglichen Traditionen und der Kontinuität der kirchlichen Disziplin. Sehen sie, in China gibt es doch keine zwei Kirchen, sondern zwei Gemeinschaften von Gläubigen, die berufen sind, einen allmählichen Weg der Versöhnung zur Einheit zu beschreiten. Es geht also nicht darum, einen fortwährenden Konflikt zwischen gegensätzlichen Prinzipien und Strukturen aufrechtzuerhalten, sondern darum realistische pastorale Lösungen zu finden, die es den Katholiken ermöglichen, ihren Glauben zu leben und das Werk der Evangelisierung im spezifischen chinesischen Kontext fortzusetzen.


Die Gemeinschaft, von der Sie gesprochen haben, betrifft auch die heikle Frage der der Bischofsernennungen, die viele Kontroversen auslöst. Würde ein mögliches Einverständnis in dieser Hinsicht, die Probleme der Kirche in China richtig lösen?

Der Heilige Stuhl kennt und teilt das große Leid, das viele Katholiken in China ertragen, und ihr großzügiges Zeugnis vom Evangelium. Für das Leben der Kirche bleiben viele Probleme bestehen, die nicht alle gleichzeitig gelöst werden können. Aber in diesem Rahmen ist auch die Frage der Wahl der Bischöfe von entscheidender Bedeutung. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass die Freiheit der Kirche und die Ernennung der Bischöfe in den Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Staaten immer wiederkehrende Themen waren. Sicherlich findet der Weg, der mit China in den gegenwärtigen Beziehungen begonnen wurde, schrittweise statt und ist immer noch vielen unerwarteten Ereignissen ausgesetzt oder neuen möglichen Notsituationen. Niemand kann guten Gewissens sagen, dass es perfekte Lösungen für alle Probleme gibt. Es braucht Zeit und Geduld, um die vielen persönlichen Wunden zu heilen, die in den Gemeinschaften auf persönlicher Ebene zugefügt wurden. Leider steht fest, dass es weiterhin Missverständnisse geben wird, und dass Mühe und Leid nicht ausgeschlossen sind. Aber wir sind alle zuversichtlich, dass wenn die Frage der Bischofsernennungen angemessen beraten wurde, die verbleibenden Schwierigkeiten nicht mehr dazu führen sollten, dass die chinesischen Katholiken nicht in Gemeinschaft miteinander und mit dem Papst leben können. Dies war schon beim heiligen Johannes Paul II. und bei Benedikt XVI. das zentrale Anliegen, was heute auch Papst Franziskus vorausschauend verfolgt.


Welche Haltung nimmt der Heiligen Stuhl dann tatsächlich gegenüber den chinesischen Autoritäten ein?

Es muss noch einmal gesagt werden: Im Dialog mit China verfolgt der Heilige Stuhl ein spirituelles Anliegen: vollständig katholisch und gleichzeitig authentisch chinesisch zu sein und sich als solches zu fühlen. Mit viel Ehrlichkeit und Realismus bittet die Kirche nur darum, den Glauben mit mehr Offenheit bekennen zu können und eine lange Zeit der Widersprüche endgültig zu beenden, damit Räume für größeres Vertrauen entstehen, die den positiven Beitrag der Katholiken zum Wohl der gesamten chinesischen Gesellschaft ermöglichen. Natürlich gibt es heute noch viele offene Wunden. Diese können nur mit dem Balsam der Barmherzigkeit geheilt werden. Und wenn jemand um ein kleines oder großes Opfer gebeten wird, muss jedem klar sein, dass dies um den Preis eines politischen Austauschs geschehen kann, sondern in einer evangelischen Perspektive des höheren Gutes stattfindet, des Gutes der Kirche Christi.
Wir hoffen, dass wir eines Tages, wenn der Herr will, nicht mehr von "legitimen" und "illegitimen", "geheimen" und "offiziellen" Bischöfen in der Kirche in China sprechen werden müssen, sondern uns als Brüder treffen und wieder die Sprache der Zusammenarbeit und Gemeinschaft lernen werden. Wie könnte die Kirche in China ohne diese gelebte Erfahrung den Weg der Evangelisierung neu beschreiten und anderen den Trost des Herrn bringen? Wenn man nicht bereit ist zu vergeben, bedeutet das unglücklicherweise, dass andere Interessen geschützt werden sollen: Doch das ist keine evangelische Perspektive.


Birgt eine solche Haltung nicht die Gefahr, dass der Eindruck entsteht, als ob man mit einem Schwamm die Leiden der Vergangenheit und der Gegenwart mit einem Mal auslöschen würde?

Nein, denn genau das Gegenteil ist doch der Fall. Viele chinesische Christen erinnern sich, wenn sie ihre Märtyrer verehren, die ungerechte Prüfungen und Verfolgungen erlitten haben, dass diese sich selbst in ihrer fragilen Menschlichkeit auf Gott verlassen konnten. Der beste Weg, dieses Zeugnis heute zu ehren und es in der Gegenwart fruchtbar zu machen, besteht doch darin, das gegenwärtige Leben der katholischen Gemeinschaften in China dem Herrn Jesus anzuvertrauen. Aber das darf nicht auf spiritualistische und körperlose Weise geschehen. Es geschieht vielmehr durch die Entscheidung für die Treue zum Nachfolger Petri mit einem Geist des kindlichen Gehorsams, auch wenn nicht alles sofort klar und verständlich erscheint. Zurück zu Ihrer Frage, es geht nicht darum, mit einem Schwamm, den Leidensweg so vieler Gläubiger und Hirten auf wunderbare Weise auszulöschen, sondern das menschliche und spirituelle Kapital vieler Prüfungen mit Hilfe Gottes für eine friedlichere Zukunft zu nutzen. Der Geist, der bisher den Glauben der chinesischen Katholiken bewahrt hat, ist derselbe, der sie heute auf dem neuen Weg begleitet.


Gibt es einen Vorschlag, eine besondere Bitte, mit dem sich der Apostolische Stuhl in diesem Moment an die chinesischen Gläubigen wenden möchte? An diejenigen denen, die sich über mögliche neue Entwicklungen freuen, aber auch an diejenigen, die verwirrt sind oder Einwände haben?

Dazu möchte mit großer Einfachheit und Klarheit sagen, dass die Kirche niemals die vergangenen und gegenwärtigen Prüfungen und Leiden der chinesischen Katholiken vergessen wird. All dies ist ein wertvoller Schatz für die Weltkirche. Deshalb sage ich zu den chinesischen Katholiken mit großer Brüderlichkeit: Wir sind euch nahe, nicht nur im Gebet, sondern auch mit unserem täglichen Engagement dafür, euch auf dem Weg der vollen Gemeinschaft zu begleiten und zu unterstützen. Wir bitten euch daher, dass niemand am Geist des Widerstandes festhält, um seinen Bruder zu verurteilen oder die Vergangenheit als Vorwand nutzt, um neue Ressentiments und Schließungen voranzutreiben. Im Gegenteil, wir möchten, dass jeder mit Zuversicht auf die Zukunft der Kirche blickt, über alle menschlichen Grenzen hinaus ".


Eminenz, glauben Sie wirklich, dass das möglich ist? Worauf gründet Ihr Vertrauen?

Von einer Sache bin ich überzeugt. Vertrauen ist nicht das Ergebnis von Diplomatie oder Verhandlungen. Vertrauen basiert auf dem Herrn, der die Geschichte leitet. Wir vertrauen darauf, dass die chinesischen Gläubigen dank ihres Glaubens erkennen, dass das Handeln des Heiligen Stuhls von diesem Vertrauen lebt, das nicht der weltlichen Logik entspricht. Es ist insbesondere Aufgabe der Hirten, den Gläubigen zu helfen, in der Führung des Papstes den sicheren Bezugspunkt zu erkennen, wenn es darum geht, den Plan Gottes unter den gegenwärtigen Umständen zu verstehen.


Ist der Papst darüber informiert, was seine Mitarbeiter in den Beziehungen mit der chinesischen Regierung tun?

Ja, der Heilige Vater verfolgt die derzeitigen Kontakte zu den Behörden der Volksrepublik China persönlich. Alle seine Mitarbeiter handeln in Absprache mit ihm. Niemand ergreift private Initiativen. Ehrlich gesagt scheint mir jede andere Art von Argumentation fehl am Platz.


In jüngster Zeit sind selbst innerhalb der Kirche kritische Äußerungen über die Haltung des Heiligen Stuhls im Dialog mit den chinesischen Behörden aufgekommen, die von einigen als echte "Kapitulation" aus politischen Gründen beurteilt werden. Was halten Sie davon?

Zunächst einmal denke ich, dass in der Kirche das Recht besteht, die eigene Kritik anzubringen und zu widersprechen, und dass der Heilige Stuhl die moralische Pflicht hat, dies anzuhören und sorgfältig zu prüfen. Ich bin auch davon überzeugt, dass Kritik unter Christen darauf abzielen sollte, Gemeinschaft zu schaffen und keine Spaltungen zu provozieren. Ich möchte ganz offen sagen: Ich bin auch davon überzeugt, dass ein Teil des Leids, das die Kirche in China erfährt, nicht auf den Willen der Einzelnen zurückzuführen ist, sondern auf die objektive Komplexität der Situation. Daher ist es legitim, unterschiedliche Meinungen zu den am besten geeigneten Antworten auf die Probleme der Vergangenheit und der Gegenwart zu haben. Das ist völlig in Ordnung. Ich denke jedoch, dass kein persönlicher Standpunkt als ausschließlich und als einzige Stimme dessen betrachtet werden kann, was für die chinesischen Katholiken gut ist. Deshalb bemüht sich der Heilige Stuhl, eine zusammenfassende Wahrheit und einen gangbaren Weg zu finden, um den legitimen Erwartungen der Gläubigen innerhalb und außerhalb Chinas zu entsprechen. Es braucht mehr Demut und einen Geist des Glaubens, um gemeinsam Gottes Plan für die Kirche in China zu erkennen. Es erfordert mehr Vorsicht und Mäßigung von allen, um nicht in sterile Polemiken zu verfallen, die der Gemeinschaft schadet und unsere Hoffnung auf eine bessere Zukunft zunichte machen.


Was meinen Sie damit?

Ich meine, wir sollten alle, die spirituelle und pastorale Dimension besser von der politischen unterscheiden. Beginnen wir zum Beispiel mit den Worten, die wir jeden Tag benutzen. Ausdrücke wie Macht, Verrat, Widerstand, Kapitulation, Zusammenstoß, Versagen, Kompromiss, sollten durch andere abgelöst werden, wie Dienst, Dialog, Barmherzigkeit, Vergebung, Versöhnung, Zusammenarbeit, Gemeinschaft. Wenn man nicht bereit ist, diesen Ansatz zu ändern, entsteht ein ernstes Problem: nämlich, dass nur in einer politischen Weise gedacht und gehandelt wird. In dieser Hinsicht erhofft der Heilige Stuhl für alle eine aufrichtige pastorale Umkehr, die vom Evangelium der Barmherzigkeit inspiriert ist, damit wir uns gegenseitig als Brüder annehmen, wozu uns Papst Franziskus immer wieder aufruft.


Was würden Sie den chinesischen Verantwortlichen heute gerne sagen?

Sehen Sie, in diesem Punkt möchte ich noch einmal auf die Worte von Benedikt XVI. und dessen Brief an die chinesischen Katholiken verweisen. Er erinnert daran, dass es nicht die Aufgabe der Kirche ist, die Strukturen oder die Verwaltung des Staates zu verändern, sondern den Menschen Christus, den Erlöser der Welt, zu verkünden, und dabei auf die Macht Gottes zu vertrauen. Die Kirche in China will den Staat nicht ersetzen, sondern einen offenen und positiven Beitrag zum Wohle aller leisten. Deshalb ist die Botschaft des Heiligen Stuhls eine Botschaft des guten Willens, mit dem Wunsch, den Dialog fortzusetzen, der aufgenommen wurde, um zum Leben der katholischen Kirche in China beizutragen, zum Wohle des chinesischen Volkes und für den Frieden in der Welt.


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