ASIEN/INDIEN - BISCHOF VON AHMEDABAD (GUJARAT): „DER FUNDAMENTALISMUS NIMMT ZU, DOCH DIE KIRCHE IST LEBENDIG UND WIRD BEIM OBERSTEN GERICHTSHOF GEGEN DAS ANTI-BEKEHRUNGSDOKUMENT KLAGE ERHEBEN – INTERVIEW

Mittwoch, 28 Mai 2003

Vatikanstadt (Fidesdienst) – „Wir haben keine Angst. Unsere Sendung besteht darin, von Jesus Christus Zeugnis abzulegen, auch in Zeiten der Verfolgung. Das im Unionsstaat Gujarat verabschiedete Anti-Bekehrungs-Dekret ist verfassungswidrig. Als katholische Kirche werden wir zusammen mit hinduistischen Organisationen und Bürgerinitiativen beim Verfassungsgericht Klage erheben. Unser Glaube ist stark. Wir arbeiten für das Wohl der Nation“. In einem Interview mit dem Fidesdienst erklärt Bischof Thomas Macwan von Ahmedabad, dessen Diözese sich in Gujarat befindet, wie die katholische Kirche ihre Sendung lebt und dabei die Herausforderungen angeht, die sich ihr in einer mulitreligiösen und traditionsreichen Gesellschaft wie der indischen stellen.
„Der religiöse Fundamentalismus nimmt in Indien zu. Aus den großen Städten greift er in die Dörfer über. Seit der Teilung des Landes im Jahr 1947, als Indien (mehrheitlich hinduistisch) und Pakistan (mehrheitlich muslimisch) getrennt wurden, macht man sich Sorgen um die Zukunft religiöser Minderheiten. Doch damals wurde in der Verfassung eine säkulare Staatsform festgelegt. Heute nimmt der Fundamentalismus aus politischen Gründen zu, wobei er zur Schaffung eines Wählerkonsenses missbraucht wird. Jahrelang haben Hindu, Muslime und Christen friedlich zusammengelebt. Während der vergangenen zehn Jahre scheinen sich die Dinge geändert zu haben. In Gujarat haben politische Gruppen hinduistische und muslimische Gruppen zu politischen Zwecken gegeneinander aufgehetzt. Die Baratya Janata Party (Partei des Indischen Volkes), die die indische Union regiert und die sich auch im Unionsstaat Gujarat an der Regierung befindet, befürwortet die Ideologie eines ‚monoreligiösen’ Staates, doch dies widerspricht den Prinzipien der indischen Verfassung“.
Zwei Anzeichen lassen nach Ansicht des Bischofs auf eine Zunahme des Fundamentalismus schließen und darauf, dass dieser sich auch in politische Institutionen breit macht: zum einen die Tatsache, dass die Anti-Konversions-Bewegung bereits in verschiedenen Staaten Fuß gefasst hat; zum anderen, dass in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Vertreter und Einrichtungen christlicher Konfessionen von hinduistischen Fundamentalisten angegriffen wurden.
„Vor kurzem“, so Bischof Macwan, „haben drei Unionsstaaten (Tamil Nadu, Uttar Pradesch und Gujarat) ein Dokument zur Frage der religiösen Bekehrung verabschiedet, dass in Gujarat unter dem Namen ‚Dokument zur Religionsfreiheit’ läuft. Nach Angaben der Regierung soll dieses Dekret Zwangsbekehrungen vorbeugen. In diesem Zusammenhang haben wir die Regierung gebeten uns nur einen Fall der Zwangsbekehrung zu beweisen. Dies ist eine Praxis, die dem Christentum und Jesus Christus widerspricht. Jeder Mensch hat Anspruch auf Gewissensfreiheit und damit Anrecht auf einen Religionswechsel. Das in Gujarat verabschiedete Dokument sieht vor, dass ein Pastor oder Priester beim Bezirksgericht eine Genehmigung zur Spende der Taufe einholen muss. Dies verstößt gegen die Verfassung, die im Artikel 25 das Recht auf das freie Bekennen der eigenen Religion garantiert. Wenn alle anzuwendenden Regeln und Normen des Dekrets rechtskräftig sein werden, dann werden wir beim Verfassungsgericht klagen.“
Bischof Macwan hat sich vor 10 Tagen zu Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten des Unionsstaats Gujarat, wo die Baratya Janata Party im Dezember 2002 die Wahl gewonnen hatte, getroffen: Der Premierminister hat mir versichert, dass sich das Dokument zur Religionsfreiheit nicht gegen uns richtet, weshalb ich mir keine Sorgen machen sollte. Damit haben wir einen Dialog eingeleitet, doch dies wird nicht verhindern können, dass wir gegen das Gesetzt Klage erheben. Als Kläger wird unsere Bischofskonferenz zusammen mit anderen christlichen Kirchen, hinduistischen Gruppen und Bürgerinitiativen auftreten.“
Der Bischof beschreibt die derzeitige Lage wie folgt: „Die Unruhen, zu denen es im Februar 2002 nach dem Zugunglück in Ghodra zwischen Muslimen und Hindus gekommen war, haben tiefe Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. Menschen, die zuvor harmonisch und tolerant zusammenlebten, plünderten und mordeten unterschiedslos. In Ahmedabad hat es eine nicht wiedergutzumachende Spaltung zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften gegeben, deren Mitglieder heute auf den beiden gegenüber liegenden Ufern des Flusses in getrennten Vierteln leben. Diese Trennung führt zu weiteren Feindseligkeiten und Vorurteilen: unter den Hindus gilt heute jeder Muslim als Terrorist. Es existiert heute eine Mauer der Feindseligkeit wo bisher eine Atmosphäre des Einklangs herrschte.“
Wie steht es unterdessen um die Kirche? „Unsere Kirche ist klein aber trotzdem sehr lebendig. Wir werden erhalten die geistliche Unterstützung der Weltkirche. Wir lassen uns von Drohungen nicht einschüchtern. Gott hat uns gesandt, damit wir vom Evangelium Zeugnis ablegen und wir Christen werden dieser Sendung trotz der Verfolgungen nachkommen. In Gujarat beträgt der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung 0.42% und die Zahl der Gläubigen liegt bei etwa 150.000. Doch unser Glaube ist stark und tief verwurzelt. In unserer Trägerschaft befinden sich Einrichtungen des Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitswesens: diese Einrichtungen sind nicht konfessionsgebunden und zeichnen sich durch die Qualität der Dienstleistung und die große Hingabe des katholischen Personals aus, was uns auch alle Nichtchristen bestätigen, die diese Einrichtungen in Anspruch nehmen.
(PA) (Fidesdienst, 28/5/2003 – 66 Zeilen, 768 Worte)



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