Lahore (Fides) - Welche Rolle spielen die „zivilen Milizen“ oder „Bürgerwehren“ der islamistischen Partei „Tehreek-e-Labbaik Pakistan“ (TLP), die in den Straßen der pakistanischen Städte unterwegs sind, um Personen zu bestrafen, die der Blasphemie oder der Verunglimpfung des Islam beschuldigt werden? Diese Frage stellen sich Analysten und Vertreter der Politik und der Zivilgesellschaft angesichts eines Phänomens, das die pakistanische Gesellschaft erschüttert. Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, sozialen Organisationen und Religionsgemeinschaften verschiedener Glaubensrichtungen bitten in diesem Zusammenhang die Regierung um Aufklärung angesichts der „willkürlichen“ Aktionen von Gruppen, die die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen und die Sicherheit der Bürger und ihr Recht auf ein freies Leben bedrohen.
Drei der jüngsten Fälle haben in den pakistanischen Medien eine heftige Debatte ausgelöst. Es handelt sich dabei um Fälle, die mit dem Vorwurf der „Blasphemie in den sozialen Medien“ zusammenhängen, ein Bereich, dem die TLP-Mitglieder offenbar große Aufmerksamkeit schenken. In einem Fall geht es um den aus der Provinz Sindh stammenden Arzt Shah Nawaz Kumbhar, der beschuldigt wird, blasphemische Inhalte bei „Facebook“ geteilt zu haben.
Ein weiterer Fall betrifft den 50-jährigen Abdul Ali, Besitzer eines Hotels in Quetta in der Provin Belutschistan der ebenfalls festgenommen wurde, weil er in den sozialen Medien abfällige Kommentare über den Propheten Mohammed gepostet haben soll, und schließlich in Polizeigewahrsam starb. Der dritte Fall betrifft die 40-jährige christliche Krankenschwester Shagufta Kiran, Mutter von vier Kindern, die wegen Blasphemie auf WhatsApp mit dem Todesurteil bestraft wurde (vgl. Fides 20/9/2024). In diesen und anderen Fällen wurde die aktive Beteiligung von TLP-Mitgliedern festgestellt, die öffentlich oder durch Einschüchterungsversuche auftraten.
Die Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP) ist eine islamistische Partei, die von der Regierung im Jahr 2021 verboten wurde. Im Herbst desselben Jahres schloss die TLP eine Vereinbarung mit der pakistanischen Regierung, in der sie sich verpflichtete, die Verfassung zu respektieren und keine gewaltsamen Proteste zu unterstützen. Im November 2023 wurde sie von der pakistanischen Regierung offiziell wieder als „bei der pakistanischen Wahlkommission registrierte politische Partei“ anerkannt.
Die Regierung vereinbarte mit der TLP ein Abkommen „im Hinblick auf das übergeordnete nationale Interesse und die langfristige Perspektive, um sicherzustellen, dass es in Zukunft nicht wieder zu Gewalt kommt“. In dem Abkommen wurde festgelegt, dass Abschnitt 7 des Anti-Terrorismus-Gesetzes von 1997 (Anklage wegen terroristischer Handlungen) auf Personen anwendbar ist, die der Blasphemie gemäß Abschnitt 295-C des pakistanischen Strafgesetzbuches (Verunglimpfung des Propheten Mohammed) beschuldigt werden. Darüber hinaus einigten sich die beteiligten Parteien auf die Einrichtung einer Sonderabteilung mit der Bezeichnung „Counter Blasphemy Wing“ innerhalb der „Federal Investigation Agency“ (FIA), einer Ermittlungsbehörde der Bundespolizei. Die Abteilung wurde mit dem Ziel eingerichtet, die Fähigkeit zur Überwachung der „Entweihung von Religionen“ zu verbessern, aber da das Blasphemiegesetz in Pakistan so ausgelegt ist, gilt es in Wirklichkeit speziell für den Islam, insbesondere für im Internet verbreitete Inhalte.
Das Abkommen garantiert auch ein unparteiisches und schnelles Verfahren für Angeklagte, die wegen Blasphemie angeklagt sind, was „eigentlich vor außergerichtlichen Aktionen und Lynchmorden schützen sollte, die immer noch von Militanten durchgeführt werden“, stellt Farzana Imran von der christlichen Organisation „LEAD Pakistan“ (Legal Evangelical Association Development) fest und fordert die Behörden auf, die Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten und nicht zuzulassen, dass eine parastaatliche Miliz der „Moral- oder Religionspolizei“ die Arbeit der Polizei oder der ordentlichen Justiz behindert.
Muhammad Amir Rana, muslimischer Wissenschaftler und Mitbegründer des „Pakistan Institute for Peace Studies“, der als Kolumnist für pakistanischen Tageszeitung „Dawn“ schreibt, erinnert daran, dass die TLP im vergangenen Juli nach dem Freispruch eines Mitglieds der Ahmadiyya-Gemeinschaft (die im Islam als „ketzerisch“ gilt) zu Gewalt gegen den Obersten Gerichtshof Pakistans aufrief. Und er fragt: „Warum macht der Staat Kompromisse und toleriert eine Gruppe, die für Massengewalt, Vandalismus, die Tötung unschuldiger Bürger und die Beschädigung von Eigentum verantwortlich ist und die das internationale Image des Landes durch die Förderung des Extremismus befleckt?“
(PA) (Fides 27/9/2024)