AMERIKA/VENEZUELA - Neue Erhebung zu Lebensbedingungen: Arbeitslosenrate auf Höchststand, extreme Armut nimmt zu

Freitag, 1 Oktober 2021 zivilgesellschaft   armut   arbeit   bildungswesen   politik   wahlen   ortskirchen  

cev

Caracas (Fides) - Im letzten Jahr hat die extreme Armut in Venezuela um mehr als 8% zugenommen. Auf dem Arbeitsmarkt gingen 1,3 Millionen Arbeitsplätze verloren und die Bildungsrate ist um 5% gesunken. Dies sind die Daten, die das Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung (IIES) der Katholischen Universität Andrés Bello (UCAB) in einer landesweiten Erhebung zu den Lebensbedingungen (ENCOVI) für das Jahr 2021 gesammelt hat. Im Rahmen der Erhebung wurden zwischen Februar und März in 22 Bundesstaaten insgesamt 17.402 Familien befragt. Die Studie stellt fest, dass die Armut in Venezuela auf dem "Niveau von 94,5%" verbleibt, während die extreme Armut weiter zunimmt und zwei Drittel der Familien des Landes betrifft, nämlich 76,6%, was einem Anstieg von 8,9 Prozentpunkten gegenüber 67,7% im letzten Jahr entspricht.
Bei der Präsentation der Studie, die auf YouTube und Zoom übertragen wurde, stellte der Rektor der UCAB, Pater Francisco José Virtuoso (sj), "mit großer Sorge fest, dass der Staat und die Politik diesen Studien wenig Aufmerksamkeit schenken... Wir sehen auch nicht, dass die internationalen Organisationen für Zusammenarbeit, abgesehen von ihrem Interesse, diese Zahlen zu kennen, diesen Input nutzen, um ihre Arbeit effektiver zu gestalten". Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen im November hofft Pater Virtuoso, dass diese Daten von den Kandidaten herangezogen werden, um ihre Aktionspläne zu überarbeiten und er rief die Bürger auf, sich mit diesen Informationen zu befassen und sie zu nutzen. "Wir hoffen deshalb auch, dass die Wählerinnen und Wähler … von den Kandidaten Leitlinien für die Bewältigung der in dieser Studie dargelegten ernsten Herausforderungen verlangen werden", betonte er.
Nach Aussage von Professor Luis Pedro España waren die Faktoren, die die Lebensqualität der Venezolaner im vergangenen Jahr am meisten beeinträchtigt haben, die Treibstoffkrise und die Schutzmaßnahmen gegen Covid-19. Die Kombination dieser beiden Faktoren hat dazu geführt, dass "die Hälfte der Venezolaner im produktiven Alter in die Nichterwerbstätigkeit gedrängt wurde und diejenigen, die weiterhin arbeiten, dies unter viel prekäreren Bedingungen tun als in den vergangenen Jahren". "Darüber hinaus ist im letzten Jahr die Zahl der Haushalte, die von mehrdimensionaler Armut betroffen sind - d. h. von Benachteiligungen oder Verschlechterungen in Bereichen wie Bildung, Wohnen, Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, Einkommen und Beschäftigung - von 64,8 % auf 65,2 % gestiegen, was einem Anstieg von 0,4 Prozentpunkten entspricht. Auch wenn der Prozentsatz niedrig erscheint, ist zwischen der ersten Erhebung 2014 und der diesjährigen Erhebung - also in weniger als einem Jahrzehnt - ein Anstieg der von mehrdimensionaler Armut betroffenen Haushalte um 25,9 Prozentpunkte zu verzeichnen, von 39,3 % auf 65,2 %“, erläutert er.
Ein weiterer Aspekt, den der Professor hervorhebt, betrifft die Ungleichheit und erinnert daran, dass " 10 % der Menschen mit dem höchsten Einkommen 40 % des gesamten nationalen Einkommens auf sich vereinen". Das Problem sei derzeit jedoch nicht die Ungleichheit, sondern die Produktion. "Wenn dieses Land nicht produziert, werden wir weiterhin arm sein. Damit dies geschehen kann, müssen wichtige Änderungen vorgenommen werden, damit Vertrauen geschaffen wird, damit Investitionen getätigt werden, damit wir Sicherheit haben, damit wir zuverlässige Institutionen haben. Es muss eine Reihe von Veränderungen geben, die heute nicht sichtbar zu sein scheinen“, beklagt er.
Frau Professor Anitza Freitez, Demographin und Koordinatorin des Umfrage-Projekts, wies auf die Folgen der Schließung von Bildungseinrichtungen aufgrund der Pandemie und die negativen Auswirkungen auf die Bildungsrate in allen Altersstufen hin, insbesondere in der Grund- und Hochschulausbildung. Zwischen 2019-2020 und 2021 sinkt die allgemeine Bildungsrate (für Personen im Alter von 3-24 Jahren) um 5 Prozentpunkte, von 70 % auf 65 %, und im Vergleich zu 2014 (73 %) beträgt der Rückgang 8 Prozentpunkte. Die sozialen Ungleichheiten in den Lernprozessen haben sich durch die Einführung des Fernunterrichts ebenfalls vergrößert, ohne dass den Lehrern und Schülern sowie den Familien die nötige Unterstützung zuteil wurde.
Ein weiterer Aspekt, der in der Studie behandelt wird, ist der der jüngsten Migration. Die meisten derjenigen, die Venezuela verlassen haben, etwa 5 Millionen, sind Männer; fast die Hälfte sind junge Menschen im Alter von 15 bis 29 Jahren, 90 %, wenn man die Altersgruppe der 15- bis 49-Jährigen betrachtet; der Hauptgrund für die Auswanderung ist nach wie die Arbeitssuche (86 %), der zweite Grund, der zunimmt, ist die Familienzusammenführung. Die jüngste Migration betrifft das gesamte soziale Spektrum. Zwei von drei Migranten haben einen regulären Status, entweder weil sie die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes erworben haben (12 %), eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung (16 %) oder eine befristete Genehmigung (33 %) besitzen. Drei von fünf schicken Geld- oder Sachleistungen in die Heimat, 57 % von ihnen ein- oder zweimal im Monat. Frau Professor Freitez stellte fest, dass "trotz der Pandemie der Prozentsatz der Rückkehrer recht gering ist: nur 5 % der Migranten, die das Land verlassen haben, kehren zurück".
(SL) (Fides 01/10/2021)


Teilen:
zivilgesellschaft


armut


arbeit


bildungswesen


politik


wahlen


ortskirchen